12.03.2021, 08:51
Mindens Spielmacher im Gespräch mit dem kicker, Teil II
Er ist fraglos eines der größten Talente, die der deutsche Handball gerade zu bieten hat: Juri Knorr (20) bringt viele Experten ins Schwärmen. Im großen kicker-Interview präsentiert sich der Spielmacher aufgeräumt, reif und reflektiert.
"Er hat alles, was es braucht", sagt DHB-Kapitän Uwe Gensheimer im Interview auf der Verbandsseite, wenn er über Juri Knorr spricht: "Er hat eine Explosivität, die nicht viele Spieler haben." Knorr ist für viele Experten der Spielmacher, auf den die deutsche Nationalmannschaft jahrelang warten musste. Lesen Sie hier den ersten Teil des großen Interviews vom Donnerstag...
Sie sind der erste 2000er in der deutschen A-Nationalmannschaft, haben mit Ihrer schwereren Corona-Erkrankung, verschiedenen Lehrgängen und der WM in Ägypten schon einiges mitgemacht. Was unterscheidet die Zeit beim DHB von der im Verein?
Alles ist deutlich größer. Dem Ganzen wird viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn man für die Nationalmannschaft ein Spiel macht, hat es gefühlt fast jeder gesehen. Mit einem Verein und gerade mit einem kleinen wie Minden ist das nicht zu vergleichen. Es ist eine sehr aufregende Zeit und ich probiere mir immer wieder in den Kopf zu rufen, das alles zu genießen. Bei allem Druck, den ich mir selbst mache, sage ich mir auch, dass das das ist, was ich mir immer erträumt habe.
Bei Ihrer ersten WM war Ihr Potenzial schon unverkennbar. Am meisten blieb das Spiel gegen Spanien im Kopf. Zwei, drei genialen Aktionen folgten Ballverluste. Wie bewerten Sie mit ein wenig Abstand das Turnier insgesamt und das Spanien-Spiel im Speziellen?
Beim Turnier habe ich keine so große Rolle eingenommen, aber ich war bis auf ein Spiel immer im Kader. Vereinzelt habe ich meine Einsätze bekommen. Natürlich sticht das Spanien-Spiel da heraus, damit wurde ich im Nachgang am meisten konfrontiert. Viele hatten dazu ihre eigene Meinung und haben sich darüber den Kopf zerbrochen, dachten auch, sie wüssten es besser. Ich habe das Spiel mit den Leuten, deren Meinung mir wichtig ist, besprochen - natürlich auch mit dem Bundestrainer. Die Fehler sind vielleicht ein bisschen leichtfertig und übermütig, allerdings würde ich es im Nachhinein wahrscheinlich wieder so machen. Ich komme richtig gut in das Spiel rein, es funktionieren direkt ein paar Dinge. Ich habe ein Gefühl von Flow, durch den ich womöglich leichtfertig wurde. Aber wenn nur einer dieser Pässe ankommt, bin ich vielleicht der gefeierte Held. Mit dem Risiko spiele ich besonders, das unterscheidet mich auch von anderen. Ich wollte in diesen fünf Minuten den Ball nicht einfach weiterspielen, sondern einen Eindruck hinterlassen. Ich wollte zeigen, was ich kann und mutig sein.
Die Olympia-Qualifikation in Berlin steht vor der Tür. Wie schätzen Sie die drei deutschen Gegner und die Chancen auf eine Teilnahme in Tokio ein?
Schweden und Slowenien sind natürlich sehr starke Gegner, dazu ist Algerien nicht zu unterschätzen. Wir sind nahezu in Bestbesetzung hier, da gibt es keine Ausreden mehr. Es heißt: alles oder nichts. Wir sind sehr optimistisch, weil wir das Potenzial und die Qualität haben. Aber bei drei Tagen und drei Spielen kann sehr schnell sehr viel passieren.
Ihr Vater nahm an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta teil. An welcher Stelle in Ihrer Ziele-Pyramide käme eine Olympia-Teilnahme?
Es wäre natürlich etwas ganz Großes, Olympia ist schon sehr besonders. Ob es in dem Sommer ist, muss man sehen. Wir müssen uns ohnehin erstmal qualifizieren und dann fahren, glaube ich, nur 14 Leute mit. Deswegen beschäftige ich mich damit nicht. Wenn ich aber auf die nächsten Olympischen Spiele blicke, hofft man schon, dass man da in einer anderen Rolle dabei sein kann.
Wie klar haben Sie grundsätzlich Ziele für Ihre Karriere für sich festgelegt? Gibt es eine Bucket List, die abgearbeitet wird oder lassen Sie lieber alles auf sich zukommen?
Sich konkret Ziele setzen, die man abarbeiten will, das ist fast unmöglich. Wie soll man dem Druck standhalten? Ich will einfach schauen, wie weit es gehen kann. Es gibt keine Titel, die ich unbedingt gewinnen will. Das ist nicht das, was mich antreibt. Es sind die Erfahrungen und Leute, die man auf dieser Reise trifft, die Freundschaften, die man schließt.
Wie bewerten Sie insgesamt die Perspektive der deutschen Nationalmannschaft - gerade auch im Vergleich mit Nationen wie den Dänen, den Schweden oder den Franzosen?
In Deutschland müssen wir uns nicht so große Sorgen machen, dass nichts nachkommt. Wir sind im internationalen Handball am breitesten aufgestellt, da kommen am meisten Talente nach. Auch das Potenzial der aktuellen Nationalmannschaft ist da, man kann theoretisch bei jedem Turnier um den Titel mitspielen. So wird es auch in den nächsten Jahren sein.
Mit Pekeler, Wiencek und Weinhold kommen ganz wichtige Stützen zurück ins Team. Konnten Sie ganz grundsätzlich teaminterne und -externe Kritik am Kieler Trio verstehen, auf die WM-Endrunde in Ägypten zu verzichten?
Es war deren Entscheidung. Ich nehme mir da gar nicht raus, das zu beurteilen. Jeder hat seine Familie und seinen persönlichen Hintergrund. Ich habe meine Entscheidung für mich getroffen. Für mich war es das erste große Turnier, das Größte, was ich bisher erleben durfte. Deswegen stand das nicht zur Debatte. Das genannte Trio hatte ganz andere Voraussetzungen. In der jetzigen Situation kann ich absolut nachvollziehen, wenn man komplett für die Familie da sein möchte.
Pekeler & Co. wurden in den sozialen Medien angefeindet, erhielten vermehrt Hassnachrichten. Im Fußball kämpfen Toni Kroos und einige Kollegen gerade mit einer Kampagne gegen solche üblen Beleidigungen im Netz. Ist das auch ein Grund, warum Sie beispielsweise die sozialen Medien nur recht wenig bespielen?
Ich hatte es besonders während der WM wahrgenommen. Sehr viele Menschen haben eine Meinung und wollen die kundtun. Jeder hat einen Kommentar zu bestimmten Situationen geschrieben, vielleicht auch zu meinem Spiel gegen Spanien. Wenn man sich zu viel damit befasst und zu viel in den sozialen Medien unterwegs ist, kann das einen sehr beschäftigen. Ich habe meine Lehren daraus gezogen und bin nur noch sehr wenig bei Instagram. Ich mache meinen Account, weil das irgendwie dazugehört, aber das ist kein großer Bestandteil meines Lebens.
Juri Knorr, Johannes Golla, Sebastian Heymann - im deutschen Handball kommen einige vielversprechende Talente nach. Sie sind nah an dieser Generation dran: Können Sie Namen nennen, die man jetzt noch nicht so auf dem Schirm hat, denen Sie aber den Sprung nach ganz oben zutrauen?
Ich würde da auf jeden Fall Lukas Stutzke nennen, der auch schon bei der WM dabei war. Ansonsten sind es einfach sehr viele Namen, etliche schaffen gerade auch den Sprung in die Bundesliga. Ich möchte keinen speziellen Namen darüber hinaus nennen, aber es sind sehr viele, denen ich das zutrauen würde.
Im Sommer wechseln Sie zu den Löwen, haben dort mit Andy Schmid einen der besten Spielmacher als Partner und Konkurrenten. Was erhoffen Sie sich von diesem Zusammenspiel und wo können Sie vielleicht am meisten profitieren?
Ich freue mich total auf die Zeit bei den Löwen, dort auch mit so großen Spielern zusammenzuspielen. Für mich war es sehr bedeutend bei meiner Entscheidung für die Löwen, dass er das unterstützt und voll dahintersteht, dass ich da hinkomme. Er hat mich bestärkt und auch motiviert, mir noch mit Tipps und Tricks zur Seite zu stehen. Andy ist genau wie Aron Palmarsson (spielt beim FC Barcelona, d.Red.) eines meiner größten Vorbilder und dass ich dann in seinen letzten Karrierejahren mit ihm zusammenspielen und von ihm lernen darf, ist eigentlich perfekt.
Beim jüngsten 26:26 gegen ihren baldigen Arbeitgeber erzielten Sie sieben, Schmid neun Treffer. Gab es hinterher einen Austausch zwischen Ihnen?
Wir haben vor allem vor dem Spiel gesprochen, danach nur ganz kurz. Für die Löwen war das Ergebnis auch nicht ganz so zufriedenstellend.
Ihr Vater Thomas (83 Länderspiele, 199 Tore) spielte unter Martin Schwalb beim HSV, Sie hätten das nun bei den Löwen getan. Wussten Sie bei Ihrem Vertragsabschluss davon, dass Schwalb in Mannheim nicht weitermachen wird?
Das wusste ich in dem Moment nicht direkt. Ich wusste, dass er seinen Vertrag nicht verlängert hat und es zur Debatte stand, dass er womöglich nicht weitermacht. Noch bevor es bekannt wurde, hat er es mir auch persönlich gesagt. Da hege ich jetzt keinen Groll und das hätte meine Entscheidung auch nicht beeinflusst.
Ikonischer beidbeiniger Sprungwurf, eine unglaubliche Körperlichkeit: Wenn Sie sich eine Eigenschaft Ihres Vaters aussuchen könnten, die sie unmittelbar adaptieren könnten - welche würden Sie wählen?
Ich habe viel von seiner Einstellung. Aber diesen unglaublichen Willen, alles zu geben, sich immer voll reinzuhauen, ohne Rücksicht auf Verluste, habe ich gerade noch nicht. Kombinieren würde ich das aber schon mit meinen eigenen Eigenschaften. Körperlich war er mir voraus, aber ich bin auch grundsätzlich ein anderer Spielertyp.
Welche anderen Sportler oder Sportarten inspirieren Sie? Und was inspiriert Sie vielleicht auch abseits vom Sport?
Neben Fußball besonders Basketball, ich interessiere mich sehr für die NBA. Luka Doncic ist für mich das Musterbeispiel, wie man in jungen Jahren so unfassbar viel Verantwortung übernehmen kann. Da kann ich mir einiges abschauen. Ansonsten sind es meine Familie und meine Freundin, die meine Richtung mit vorgeben und mir mit Ratschlägen zur Seite stehen.
Im ersten Teil des großen kicker-Interviews sprach Knorr über die prägende Erfahrung in Barcelona, zwei besondere Lehrmeister und wo die Talentförderung in Deutschland ansetzen müsste.
Interview: Maximilian Schmidt