11.03.2021, 09:14
Mindens Spielmacher im Gespräch mit dem kicker, Teil I
Er ist fraglos eines der größten Talente, die der deutsche Handball gerade zu bieten hat: Juri Knorr (20) bringt viele Experten ins Schwärmen. Im großen kicker-Interview präsentiert sich der Spielmacher aufgeräumt, reif und reflektiert.
"Er hat alles, was es braucht", sagt DHB-Kapitän Uwe Gensheimer im Interview auf der Verbandsseite, wenn er über seinen baldigen Vereinskollegen Juri Knorr spricht: "Er hat eine Explosivität, die nicht viele Spieler haben." Knorr ist für viele Experten der Spielmacher, auf den die deutsche Nationalmannschaft jahrelang warten musste. Dazu liegt dem Rechtshänder der Handball im Blut: Vater Thomas gewann vier deutsche Meisterschaften mit dem THW Kiel, spielte auch für Flensburg und den HSV. Bei der EM 1996 wurde der 83-malige deutsche Nationalspieler Torschützenkönig (41 Treffer). Bei seinem Sohn gerät er ins Schwärmen, attestiert ihm ein "optimales Gesamtpaket".
Herr Knorr, Bundesliga, WM, Bundesliga, Olympia-Quali, Bundesliga - im Handball geht es wie schon die letzten Jahre Schlag auf Schlag. Wie frisch fühlen Sie sich gerade noch körperlich und mental?
Ich kann nicht leugnen, dass mich die intensive Zeit schon mitgenommen hat. Da zähle ich auch die WM-Phase dazu, obwohl ich gar nicht so viele Einsätze hatte. Das waren sehr besondere, aber komplett neue Eindrücke für mich. Und dann kam ich schnell wieder in mein gewohntes Umfeld in Minden. Der Bundesliga-Alltag wartete direkt, einige Nachholspiele standen unmittelbar an. In dem straffen Terminplan waren es da auch ganz andere Ansprüche, die an mich gestellt wurden. Ich habe eine ganz andere Rolle als beim DHB, mich nimmt es dann auch noch mehr mit, wenn es nicht ganz so läuft. Dass aber alles sehr aufregend ist und großen Spaß macht, will ich gar nicht wegreden.
Beim Blick auf Ihre Vita springt einem die große Begabung für Handball und Fußball ins Auge. In welchem Alter haben Sie sich für den Handball- und gegen den Fußball-Traum entschieden und warum?
Da müsste ich 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein. Mit dem VfB Lübeck habe ich in der B-Jugend in der Regionalliga gespielt. Aber ich habe eine Entscheidung treffen wollen und zeitlich musste ich das auch. Auf dem hohen Niveau hat beides sehr viel Zeit in Anspruch genommen, ich konnte dem so nicht gerecht werden. Ich habe mich für Handball entschieden, weil es mir einfach mehr Spaß gemacht hat, was womöglich auch an der damaligen Mannschaft lag. Deswegen fiel mir die Entscheidung auch gar nicht so schwer.
In der D-Jugend des HSV spielten Sie gemeinsam mit Fiete Arp und Josha Vagnoman. Gibt es zu den Spielern oder zum Verein heute noch Kontakte?
Leider nicht so richtig. Ich habe vereinzelt ein bisschen Kontakt über WhatsApp oder Instagram gehabt. Vielleicht läuft man sich ja irgendwann nochmal über den Weg.
Ihr Vater hat beim NDR verraten, dass es auch "Anfragen von anderen großen Fußball-Vereinen" gegeben hat. Wer hat sich denn da konkret gemeldet?
Das weiß ich nicht genau. In der D-Jugend war ich Perspektivspieler beim HSV. Das heißt, dass ich ein- oder zweimal die Woche beim Training war und die Turniere mitgespielt habe. Mit dem Sprung in die C-Jugend hatte ich die Möglichkeit, dort ins Internat zu gehen, aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Da war eigentlich schon klar, dass es nicht in Richtung Fußball geht. In dieser Zeit gab es wohl auch Anfragen anderer Bundesligisten, aber damit habe ich mich nicht näher auseinandergesetzt.
Wie intensiv verfolgen Sie den Fußball und zum Beispiel auch die Bundesliga? Gibt es einen Lieblingsverein?
Ich verfolge die Bundesliga schon intensiv, das interessiert mich sehr. In meinem Freundeskreis ist es auch ein relevantes Thema. Ich mag an sich den BVB vom Spielstil und auch ihrem Konzept her. Ich finde es spannend, dass dort eine Art Benchmark gesetzt wird, um die talentiertesten Spieler in Europa zusammenzubringen.
Eine letzte Frage zum Fußball, die ich in der Vergangenheit auch schon Mimi Kraus oder Timo Kastening stellen konnte. Was kann der Handball aus Ihrer Sicht vom Fußball lernen - und umgekehrt?
Grundsätzlich kann der Handball sehr viel von der Professionalität des Fußballs lernen. Ich habe das beim HSV selbst mitgemacht. Schon in ganz jungen Jahren werden die besten Voraussetzungen geschaffen, um sich optimal zu entwickeln. Der Handball ist auf dem Weg dahin, es ist aber auch immer eine finanzielle Frage. Umgekehrt kann sich der Fußball sicherlich die Lockerheit und das familiäre Gefühl des Handballs zum Vorbild nehmen. Es geht dabei vordergründig darum, ein gesundes Maß aus Lockerheit und Professionalisierung zu finden. Junge Talente dürfen nicht unter dem Druck zerbrechen.
Nach lehrreichen Jahren in der Jugend wechselten Sie 2018 zum FC Barcelona, um dort die nächsten Schritte zu gehen. Gibt es Ihrer Meinung nach einen signifikanten Unterschied zwischen dem deutschen und dem spanischen Ansatz, Handball zu vermitteln?
Ja, es war eine Umstellung für mich. Abgesehen von den ganzen kulturellen Umständen ist der Ansatz schon ein anderer. Es geht um technisch sehr sauberen Handball und Details stehen im Vordergrund, um alle Vorgaben möglichst perfekt umzusetzen. Es wurden beispielsweise Laufwege im Training mit Tapestreifen aufgeklebt, und du durftest dich nur in diesem Bereich bewegen. Kleinigkeiten wurden sofort korrigiert.
Neben den Einsätzen bei der zweiten Mannschaft durften Sie am 4. Dezember 2018 auch Ihr Debüt für die Profis feiern. Mit Aron Palmarsson und Raul Entrerrios hat Barça herausragende Spielmacher in seinen Reihen. Was konnten Sie sich bei diesen beiden abschauen?
Extrem viel. Das war sehr aufregend und besonders für mich. Speziell diese beiden Spieler sind große Vorbilder für mich. Ich konnte es zum Teil gar nicht glauben, dass sie mir jetzt Tipps geben. Da konnte ich unfassbar viel mitnehmen, in dem Alter kann man keine bessere Erfahrung machen oder bessere Lehrmeister haben. Palmarsson hat mich in Barcelona auf jeden Fall am meisten beeindruckt.
Aus Perspektivgründen haben Sie sich 2019 für eine schnelle Rückkehr nach Deutschland entschieden. Wie fällt bis dato Ihr Fazit der ersten Bundesliga-Station in Minden aus?
Alles, weshalb ich mich für Minden entschieden habe, ist so eingetreten, wie ich es mir gewünscht habe - also sehr gut. Nach dem lehrreichen Jahr in Barcelona ging es darum, hier deutlich mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich konnte schnell daran wachsen, weil mir gerade auch als Spielmacher sehr viel Vertrauen geschenkt wurde.
GWD-Coach Frank Carstens setzt radikal auf Talente, da sind gerade einige vielversprechende Jungs dabei. Welche Rolle spielt er bei Ihrer jüngeren Entwicklung?
Minden hat sich auf die Fahne geschrieben, Talente weiterbringen zu wollen, was sie als Verein noch attraktiver macht. Marian Michalczik und ich sind Beispiele, wie junge Spieler hier die nächsten Schritte gehen können. Da spielt Frank natürlich eine große Rolle, weil er derjenige ist, der das umsetzt und lebt. Das Wichtigste ist, dass er uns Fehler zugesteht und uns trotzdem uneingeschränkt das Vertrauen schenkt.
Zwischen 2011 und 2013 war Carstens Co-Trainer bei der A-Nationalmannschaft, er kennt die Strukturen und Abläufe. War er auch eine Hilfe bei Ihren ersten Schritten im DHB-Team?
Wir haben uns schon ausgetauscht, er hat das auch begleitet. Trotzdem ist es wieder eine andere Situation unter Alfred Gislason, der Bundestrainer arbeitet anders als Christian Prokop, Dagur Sigurdsson oder auch damals Martin Heuberger. Frank hat mir zwei, drei Tipps gegeben, aber ich muss schon selbst herausfinden, wie ich mich in diesem Umfeld bewege.
Sie gehen sehr demütig mit sich und Ihrem Talent um. Aber welche Gefühle löst es bei Ihnen aus, wenn eine Trainer-Ikone wie Alfred Gislason Sie als "moderner Mittelmann" bezeichnet, "der Deutschland sehr viel Spaß machen wird"?
Das ist auf der einen Seite eine Bestätigung. Ich kann auch nicht leugnen, dass es mich freut, sowas zu hören. Aber auf der anderen Seite bedeutet das für mich, dass ich weiter an mir arbeiten muss. Er sagt sicherlich in einem Nebensatz, dass ich lange noch nicht am Ziel bin - und das sehe ich genauso. Ich will so weit kommen, wie ich es eben nur schaffen kann. Mich spornen solche Sätze bei meinem Lebenstraum nur noch mehr an.
Weltmeister Mimi Kraus schwärmte im kicker-Interview letztes Jahr von Ihnen, er konnte dabei nicht nachvollziehen, warum Sie nicht noch früher beim DHB-Team ein Thema waren: "In Frankreich oder Kroatien bist du mit 19 ein fertiger Spieler. Und ich weiß nicht, wieso bei uns dann immer vom Talent geredet wird." Würde es Ihrer Meinung nach jungen Spielern in Deutschland helfen, noch früher ins kalte Wasser geworfen zu werden?
Die Aussage ist natürlich etwas überspitzt formuliert. Ich sehe es nicht so, dass in anderen Ländern Talente mit 19 fertige Spieler sind. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass es Talente durch die Leistungsdichte in der Bundesliga schwer haben, schnell nach oben zu kommen. Die Vereine müssen Ergebnisse liefern. Da fällt es zum Teil schwerer, junge Spieler einzubinden. Am Ende ist es der Trainer, der den Kopf hinhalten muss, wenn es nicht läuft. Im Ausland ist es vielleicht einfacher, weil das Niveau in den Ligen nicht so hoch ist. In Deutschland haben wir das Luxusproblem, dass wir so eine große Masse an Talenten haben. Ein Ansatzpunkt in der Talentförderung wäre es, sich auch in Deutschland auf die Talente zu fokussieren, die das meiste Potenzial haben. Auf diese müsste man eben setzen und sie zu großen Spielern formen, wie es im Ausland mit weniger Talenten notgedrungen gemacht wird. In Minden wurde ich aber schon mit 19 reingeworfen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich zu spät zum DHB kam. Mit 20 Jahren bin ich hier gerade immer noch das Küken der Mannschaft.
Im zweiten Teil des großen kicker-Interviews lesen Sie am Freitag, wie Knorr das Spanien-Spiel bei der WM rückblickend bewertet, wie er über die deutschen Olympia-Chancen denkt, warum er soziale Medien meidet und wer ihn außerhalb vom Handball inspiriert.
Interview: Maximilian Schmidt