15.01.2021, 09:15
Diese 20 Spieler sollen es in Ägypten richten
Am Freitagabend startet die deutsche Mannschaft gegen Uruguay ins WM-Turnier. Nach den vielen Absagen bleibt die DHB-Auswahl eine kleine Wundertüte, doch ihr Potenzial deutete sie jüngst auch an - der Kader im Kurz-Portrait.
Alfred Gislason präsentierte sich während der Vorbereitung auf die WM-Endrunde in Ägypten wie man ihn kennt. Neben dem Feld strahlt er stoische Ruhe aus, vom brodelnden isländischen Vulkan am Spielfeldrand bleibt da nicht mehr viel übrig. Der 61-Jährige hat in seiner unglaublich erfolgreichen Karriere so viel mitgemacht, dass ihn kaum mehr etwas aus der Ruhe bringen kann. Auch die Flut an Absagen sei für den langjährigen Coach des THW Kiel kein Grund zur Beunruhigung - dann müssen es eben andere richten.
Die Handschrift von Gislason war besonders gegen Österreich jüngst erkennbar. Seine junge, aber keineswegs blutjunge Truppe (mit Knorr wurde nur einer nach 2000 geboren) soll hohes Tempo gehen, schnell von hinten rausspielen und die zweite Welle konsequent fahren. Im Positionsangriff, der durch das schnelle Spiel im Idealfall umgegangen werden soll, ist nach den Auftakthandlungen Geduld gefragt, um freie Nebenmänner zu finden oder gar ganz bis nach außen abzuräumen.
Der Bundestrainer bezeichnet ihn als seine "1A"-Lösung, Wolff ist die unumstrittene Nummer eins im deutschen Tor - der Wechsel nach Polen hat ihn definitiv vorangebracht. Mit mittlerweile über 100 Länderspielen und dem EM-Titel 2016 im Rücken strahlt er das Selbstbewusstsein aus, das es braucht, um auch große Spiele auf seine Seite zu ziehen.
Während Wolff mit der hauseigenen Konkurrenz zwischen den Pfosten immer wieder Probleme hatte, funktionierte das Duo Wolff/Bitter bei der vergangenen EM hervorragend. Auch Gislason vertraut auf den Routinier, der trotz nur zwölf absolvierter Partien die zweitmeisten Bundesliga-Paraden aufweisen kann (134).
52 Tage verbrachte Heinevetter seit Ausbruch der Corona-Pandemie gesund und unverschuldet in häuslicher Quarantäne. Womöglich auch mit Blick auf den fehlenden Rhythmus ist der stets spektakuläre Keeper aktuell nur dritte Wahl. Dass er dem DHB-Team an besonderen Tagen dennoch Spiele gewinnen kann, steht außer Frage.
Mit Schiller reist auch der viertbeste Torjäger der aktuellen Bundesliga-Saison (89 Treffer in 14 Spielen) mit nach Ägypten. Als Back-up für Kapitän Gensheimer ist der Göppinger eine gute Alternative, ein hervorragender Siebenmeterschütze und kann eine ähnliche Rolle spielen, wie sie Patrick Zieker bei der EM 2020 einnahm. Beim ersten der beiden Auftritte gegen Österreich beeindruckte Schiller.
In Abwesenheit vieler Führungsspieler lastet noch mehr Verantwortung auf den Schultern von Kapitän Gensheimer, der aktuell direkt hinter Schiller in der Bundesliga-Torschützenliste liegt (87 Treffer in 14 Partien). Ihn braucht es dauerhaft in Topform (über 900 Länderspieltore), um auch in der Hauptrunde noch ein Wörtchen mitreden zu können.
Böhm arbeitet Handball, lebt von seinem Willen und seinen Bewegungen im Eins-gegen-eins. 33 Tore in elf Bundesliga-Spielen (52 Prozent Wurfquote) schüren keine großen Hoffnungen, doch Hannovers Rechtshänder bringt auch eine nötige Portion Emotion ins Team und verteidigt in der 5:1 unter Gislason geschickt auf der vorgezogenen Position.
Immer eine schlechte Idee ist es, Kühn ins Laufen kommen zu lassen. Seine Wucht und Wurfkraft bringen dem deutschen Spiel dringend benötigte leichte Tore. Bei großen Turnieren hat der Melsunger in der Vergangenheit aber auch gerade gegen offensive Deckungsvarianten Schwächen offenbart.
Bis vor wenigen Tagen hatte Stutzke noch nicht damit gerechnet, mit nach Ägypten zu fliegen. Dissinger erwies sich aber nach mehreren Wochen ohne Training als "nicht bereit" für die WM - und wurde kurzfristig durch den gebürtigen Leverkusener ersetzt. 31 Tore in 15 Bundesliga-Spielen stehen für ihn beim BHC in dieser Saison zu Buche. Erst zwei Einsätze fürs DHB-Team sind Ausdruck der Unerfahrenheit - aber im Optimalfall auch der Unbekümmertheit.
Drux ist alleine schon altersmäßig dem Ruf des einstigen Jahrhunderttalents entwachsen. Trumpf sind beim Spielmacher Leidenschaft und seine große Stärke im Eins-gegen-eins. Er wird sich wohl hintenanstellen müssen, ist aber gerade gegen offensivere Deckungen eine tolle Option von der Bank.
Michalczik verletzte sich in der Vorbereitung auf die EM-Quali-Spiele gegen Österreich am Auge, erlitt sogar einen Einriss der Hornhaut. Zuvor hatte der Spielmacher bereits mit einer Corona-Infektion zu kämpfen gehabt. Beim zweiten Vergleich mit Österreich wusste er auch in der Abwehr zu gefallen. In Topform ist Michalczik eine echte Bereicherung fürs DHB-Team.
Weber hat seinen Weg in der Nationalmannschaft gemacht, dürfte als Spielmacher gesetzt sein. Er vereint Dynamik, Torgefahr und ein starkes Eins-gegen-eins. Bereits gegen Österreich harmonierte Weber gut mit Kreisläufer Golla.
Er gilt aktuell als größtes Talent im deutschen Handball, hat sich nach seiner Rückkehr aus Barcelona in Minden prächtig entwickelt und wechselt im Sommer folgerichtig zu den Löwen. In Österreich begeisterte er in der zweiten Hälfte mit bemerkenswert reifer Spielführung, wichtigen Toren und guten Anspielen.
Seinen Namen hatte vor der EM 2016 kaum einer auf dem Zettel, in den K.-o.-Spielen schwang sich Häfner aber zum Entscheider auf. In Abwesenheit von Weinhold ist er nun der Erfahrene und muss noch mehr Verantwortung übernehmen. Der Melsunger muss vor allem seine Fehlerquote möglichst geringhalten.
Schon 2020 profitierte Schmidt vom Ausfall von Semper, der nun mit einem Kreuzbandriss passen musste. Der Linkshänder hat eine Entwicklung hinter sich, spielt eine solide Abwehr, wird in den großen Spielen aber kaum den Entscheider geben können.
Eine der überraschendsten Nominierungen ist sicherlich die von Metzner, der beim HCE einige starke Spiele machte, in seinen Leistungen aber auch noch schwankt. Kommt der 2,07-Meter-Hüne mit Dampf und erwischt einen guten Tag, kann er das deutsche Angriffsspiel durchaus bereichern - das zeigte auch die Schlussphase im Heimspiel gegen Österreich.
Fast 100 Länderspiele hat Reichmann schon auf dem Buckel, seine Qualitäten sind unbestritten. Mit seiner Sprungkraft macht der Melsunger unmögliche Winkel möglich, zudem ist er eine sehr gute Alternative vom Siebenmeterpunkt, sollten die beiden Linksaußen schwächeln.
Er war der Senkrechtstarter der EM 2020 und wurde in der Folge sogar zu Deutschlands Handballer des Jahres gekürt. Mit Reichmann spielt Kastening mittlerweile sogar im Verein zusammen, sie ergänzen sich prächtig. Seine Unbekümmertheit sollte er sich auch in Ägypten bewahren.
Eine bemerkenswerte Entwicklung nahm auch Golla, der durch die Absagen von Wiencek und Pekeler von Gislason plötzlich als Kreisläufer Nummer eins deklariert wurde. Er hat sich nach einem Mittelfußbruch im Sommer stark zurückgekämpft und muss auch in der Abwehr im Mittelblock große Verantwortung tragen. Daran kann Golla gerade mit Blick auf folgende Turniere nur wachsen.
Ein zweiter Erlanger, der es überraschend wegen der Fülle an Absagen in den WM-Kader schaffte, ist Firnhaber. Gislason und er kennen sich gut aus der gemeinsamen Zeit beim THW Kiel. Seine Vorzüge liegen klar in der Abwehr, in der er neben Golla in Ägypten den Laden zusammenhalten soll. Im Angriff präsentierte sich "Flamme" in der Bundesliga wechselhaft, gegen Österreich aber durchaus mit Durchschlagskraft.
Durch den Ausfall von Kohlbacher rutschte er in den WM-Kader. Im ersten Spiel gegen Österreich bremste ihn ein schmerzendes Knie aus. Preuss hat bis dato noch keine zehn Länderspiele bestritten, wird in Ägypten aber sicherlich gebraucht werden, um Golla und Firnhaber Pausen zu verschaffen.
Maximilian Schmidt