15.01.2025, 10:50
Deutschland startet am Mittwoch in die WM
Bei Olympia hat toller Teamspirit den deutschen Handballern Silber eingebracht - Spielmacher Juri Knorr (24) hofft nun bei der WM auf mehr.
Am Mittwoch startet Juri Knorr mit dem deutschen Handball-Nationalteam gegen Polen in die Weltmeisterschaft - mit hochgesteckten Zielen. Nach der Silbermedaille bei Olympia soll auch bei der WM in Kroatien, Dänemark und Norwegen mindestens das Halbfinale erreicht werden. Der DVAG-Markenbotschafter blickt im Interview zurück auf Olympia und seine bisherige Karriere.
Herr Knorr, auf dem Handball-Court sind Sie Spielmacher - war das auch Ihre Position auf dem Fußballplatz?
Ich habe beim Fußball auf der Sechser-Position gespielt. Generell hat es mir nicht den meisten Spaß gemacht, auf der Außenseite langzulaufen und nur ab und an mal den Ball zu bekommen. Sei es jetzt beim Handball oder auch beim Fußball. Ich fand es immer cool, das Spiel vor mir zu haben, Entscheidungen zu treffen, zu sehen, wo sich Lücken in der Abwehr auftun - und die dann kreativ zu nutzen. Wahrscheinlich ist das meine größte Stärke, auch beim Fußball: meine Übersicht, einen klugen Pass zu spielen.
Wie kam es zu der Entscheidung für den Handball?
Erst mal war es familienbedingt. Mein Vater hat Handball gespielt - ich bin damit aufgewachsen, in den Hallen zu sein. Nach den Spielen von meinem Vater auf der Platte zu sein, dem Ball hinterherzulaufen oder ihn bei meiner Oma auf den Türrahmen zu werfen: Das war meines. Auch Fußball hat mich fasziniert, eigentlich alles mit einem Ball, aber Handball hat mir am meisten Spaß gemacht. Es ist ein sehr dynamischer Sport, bei dem immer etwas passiert.
Was fasziniert Sie besonders?
Beim Fußball kann das Spiel an dir vorbeilaufen und du hast sprichwörtlich nicht so viel in der Hand oder am Fuß. Beim Handball bist du immer involviert ins Spielgeschehen und kannst kreativ sein, kannst auf so viele verschiedene Arten und Weisen Spaß haben. Das hat mich, glaube ich, nie ganz verlassen. Auch heute versuche ich im Training natürlich die Sachen umzusetzen, die der Trainer und das taktische Konzept vorgeben - aber eben auch Spaß zu haben.
Dass Ihr Vater Handball-Nationalspieler war: Fluch oder Segen?
Segen. Weil er vom Charakter her nicht das ist, was man im ersten Moment vielleicht denkt: Dieser Trainervater, der seinen Sohn nach dem Spiel anruft und sagt, was er alles falsch gemacht hat. Mein Vater ist stattdessen sehr zurückhaltend gewesen. Ich denke mir manchmal, dass er mich sogar zu positiv sieht. Aber er war immer an meiner Seite, wenn ich ihn gebraucht habe. Und er hat ein Problem damit, wenn er sieht, dass mir mein Leben und mein Beruf als Handballprofi manchmal zu schaffen machen. Es gab auch Phasen, in denen es mir nicht so gut ging.
Welche Situationen meinen Sie?
Eine Profisportler-Karriere hat natürlich Höhen und Tiefen. Ich hatte auch meine Tiefen. Sportlich wie auch menschlich, abseits des Platzes. Da möchte ich jetzt gar nicht so sehr ins Detail gehen. Aber natürlich war die Hinrunde nach meinem Wechsel zu den Löwen 2021 eine sehr schwierige sportliche Phase. Da ist es gut, Menschen in seinem Umfeld zu haben, auf die man vertrauen kann. Egal, ob ich gerade als Handballspieler gut oder ob schlecht bin.
Gab es Kritik in der Vergangenheit, die Sie besonders getroffen hat?
Im familiären Umfeld nicht, da war immer der Ansatz: Das ist alles toll mit dem Handball, aber das ist nicht die Welt. Kritik von außen trifft mich manchmal. Wobei ich gar nicht weiß, warum. Diese Menschen kennen mich nicht so, wie ich mich kenne, wie mein engeres Umfeld mich kennt. Das könnte mir eigentlich egal sein.
Ist es aber nicht?
Ich bin ein sensibler und emotionaler Mensch und nehme das natürlich wahr und denke darüber nach. Das trifft mich dann auch für den Moment. Irgendwann setzt bei mir der Gedanke ein: Es wird immer andere Meinungen geben. Ich bin in der Unterhaltungsindustrie und eine Person des öffentlichen Lebens - da gehört das dazu.
Ein Höhepunkt Ihrer Karriere waren im Sommer Ihre zweiten Olympischen Spiele. Sie haben sich ins All-Star-Team und zum Gewinn der Silbermedaille gespielt. Wie war es in Paris?
Für uns Mannschaftssportler ist es das größte Turnier. Es war für mich der bisherige Höhepunkt und einfach eine geile Zeit.
Was war das Besondere?
Wir waren knapp zwei Wochen im olympischen Dorf, haben in einer Art WG zusammengewohnt, sehr viel Zeit miteinander verbracht, andere Sportarten angeschaut. Es war Sommer. Es war tolles Wetter. So sind wir auch durchs Turnier gegangen. Es lief einfach für uns. Wir hatten einen tollen Spirit in der Mannschaft.
Die Vorrunde hat das DHB-Team nach vier Siegen aus fünf Spielen auf Platz 1 abgeschlossen.
Und dann kam dieses Kracher-Spiel gegen Frankreich. Das war unglaublich…
… das Viertelfinale gegen den Olympia-Gastgeber …
... als ich in die Halle geschaut und diese Ränge gesehen habe … in einem Moment noch leer und im nächsten Moment beim Aufwärmen war das Stadion voll, die Menschen haben die Marseillaise gesungen und die Fahnen geschwenkt - und uns ausgebuht. Irgendwo dazwischen saßen zehn Leute von mir, Familie, Freunde. Die dann zu sehen und neben einem Karabatic, Dika Mem und Co. auf das Parkett zu gehen vor fast 30.000 Menschen - unglaublich. Und dann das Spiel noch obendrauf. Es wird sicherlich mit das größte Spiel gewesen sein, das ich je erleben durfte.
Das deutsche Team gewann in einem packenden Verlängerungskrimi letztlich mit 35:34.
Damit standen wir im Halbfinale, gewannen das auch noch irgendwie knapp gegen Spanien. Bei Olympia eine Medaille zu gewinnen, ist etwas Großes. Man hat gesehen, was das bei uns allen ausgelöst hat. Auch bei den Menschen um die Mannschaft herum. Peter Gräschus, unser Physio, der schon meinen Vater 1996 in Atlanta betreut hat, ist mir nach dem Abpfiff gegen Spanien fast mit Tränen in den Augen in die Arme gefallen. Das war ein wirklich schöner Moment, der bleibt. Das Finale (26:39 gegen Dänemark; Anmerkung der Redaktion) ist dann leider anders gelaufen, als wir uns das vorgestellt haben.
Wie lange haben Sie gebraucht, um die Final-Niederlage zu verdauen und zu realisieren: Ich habe Silber?
Schwierige Frage. Man geht diesen Weg gemeinsam über sieben Wochen, hat dann das ultimative Ziel mit dem Finale erreicht - und am nächsten Tag ist alles vorbei. Jeder geht seiner Wege. Klar, wir haben diese Medaille. Aber ich finde es schade, dass diese Zeit mit den Jungs so schnell vorbei war, nachdem man das Ende des Turniers erreicht hatte. Für mich persönlich sind da zwei Gefühle. Einerseits bin ich dankbar und stolz, diese Medaille gewonnen zu haben. Auf der anderen Seite ärgere ich mich ein wenig, diesen ganz besonderen, großen Moment eines Olympischen Finales ein wenig vergeigt zu haben. So eine Chance kommt nicht so schnell wieder.
Wie lange hält so ein Hoch nach Olympia-Silber?
Nicht lange. Sechs Tage später bin ich zu den Löwen in die Vorbereitung gefahren. Ich bin ehrlich, ich kam da an und ich war nicht bereit dafür. Ich meinte zu meinem Zimmerkollegen David (Späth; Anm. d. Red.): Das kann doch nicht sein, dass wir jetzt irgendwo im Trainingslager sind, unsere Runden drehen und in irgendeiner stickigen Halle bei 30 Grad dem Ball hinterherlaufen.
Lassen Sie uns einen Blick auf Ihre Karriere werfen. Sie sind von Bad Schwartau aus nach dem Abitur für ein Jahr nach Barcelona, haben nach Ihrer Rückkehr in Minden den Sprung ins Nationalteam geschafft und wechseln nun nach vier Jahren bei den Rhein-Neckar Löwen als All-Star der letzten drei Großturniere und mit Olympia-Silber nach Aalborg. Spielt der Druck in Deutschland eine Rolle bei Ihrem Wechsel?
Sicherlich freue ich mich darauf, dass in der dänischen Liga die Aufmerksamkeit wahrscheinlich mehr auf den dänischen Spielern liegen wird. Aber ich weiß gar nicht, inwieweit das wirklich so kommt. Man hat ja in den jüngsten Entscheidungen gemerkt, welchen Anspruch Aalborg hat: jedes Jahr dänischer Meister zu werden und auch irgendwann - und besser bald - die Champions League zu gewinnen. Da ist auch Druck. In erster Linie freue ich mich aber beim Gedanken daran, dass im Sommer ein neues Abenteuer losgeht, eine neue Herausforderung. Und es ist schon sehr cool, bei diesem Verein und hoffentlich um die größten Titel mitzuspielen.
Sie sprechen die harten Entscheidungen bei Aalborg an. Der deutsche Cheftrainer Maik Machulla wurde im November entlassen.
Ich habe ihm daraufhin geschrieben, und ich glaube, wir hatten einen guten Austausch. Aber ich wusste nicht genau, was man in dem Moment sagen soll. Es ist eine bittere Situation.
Für Sie kam die Entlassung auch überraschend?
Ja, sehr. Damit hatte ich nicht gerechnet, er war ja nur wenige Monate im Amt. Ich dachte eigentlich, dass es in Aalborg schon seinen Lauf nehmen wird, trotz des Starts mit ein paar Schwierigkeiten. Aber: Ich weiß nicht genau, wie es intern lief. Mir wurde es vonseiten des Vereins erklärt, aber es tat mir einfach für Maik persönlich leid. Nun kann man allerdings auch sagen, dass sich daraus für ihn wieder etwas Positives entwickelt hat. (Machulla wird ab Juli 2025 Trainer der Rhein-Neckar Löwen; Anm. d. Red.)
Ändert das etwas an den Vorzeichen für Ihren Wechsel im Sommer?
Meine Entscheidung habe ich nicht davon abhängig gemacht, welcher Trainer im Amt ist, und sie bereits getroffen, bevor klar war, dass Maik Trainer in Aalborg wird. Aber als er vorgestellt wurde, war es für mich natürlich gut zu wissen, dass ich mit dem Trainer auch auf Deutsch kommunizieren kann. Und auch sonst habe ich ausschließlich Positives über Maik gehört. Aber ich habe meine Entscheidung so getroffen, wie ich sie - nach dem Austausch mit meiner Freundin und meiner Familie - für mich treffen wollte.
Wie haben Sie sich aus Ihrer eigenen Sicht generell in den vergangenen Jahren entwickelt?
Handballerisch glaube ich, dass ich darin besser geworden bin, an schlechten Tagen nicht katastrophal zu spielen, also nicht komplett den Faden zu verlieren. Menschlich habe ich viel von den Erfahrungen aus den Tiefpunkten und auch den Höhen gelernt. Ich glaube, ich bin im Umgang mit meinen Mitmenschen ein bisschen sanfter geworden. Heute bin ich ein bisschen zurückhaltender und weiß, irgendeinen Grund gibt es immer, dass jemand so oder so handelt.
Gibt es im Handball eine Fähigkeit, die Sie sich gerne aneignen würden?
Was mir als Erstes einfällt: ein wirklich sauberer Wackler zur Hand. Das ist jetzt sehr spezifisch, aber wirklich. Dass du als Rechtshänder eine Täuschung nach links machst und dann nach rechts gehst. In der Theorie kann ich es eigentlich, aber ich kriege es nicht so richtig umgesetzt. Obwohl ich trainiere und trainiere seit ich 15, 16 Jahre alt bin. Ich hoffe, irgendwann macht es klick - so wie in den anderen Bereichen.
Vielleicht bei der WM in Dänemark mit den Jungs ...
Ich freue mich auf dieses besondere Gefühl für Deutschland, für die Nationalmannschaft zu spielen. Das bekommt man auch von den Fans gespiegelt. Das ist schon cool. Man merkt, das löst noch mal etwas anderes aus. Wenn ich ein Kind mit meinem Trikot sehe, das macht mich stolz. Ich habe zu Hause ein Frankreich-Trikot, auf das ich noch den Namen Karabatic drucken lassen will. Ich bin eigentlich auch noch dieses kleine Kind mit dem Trikot.
Interview: Ann-Sophie Kimmel, aufgezeichnet von Christian Ciemalla