11.01.2023, 11:51
Teil 2 des Gesprächs mit dem Weltmeister von 2007
Pascal Hens (42) hat den deutschen Handball eine ganze Zeit lang als Führungsspieler mitgeprägt. Im zweiten Teil des großen kicker-Interviews spricht der Weltmeister von 2007 über Julian Köster, klassische Shooter - und einen missglückten Startschuss einer bemerkenswerten Karriere.
Das Faible für TV-Formate, sein neues Kinderbuch, ein Job beim DHB und Spieler für "entscheidende Momente": Wenn Sie den ersten Teil des kicker-Interviews verpasst haben, hier entlang.
Neben Juri Knorr gilt auch Julian Köster als große Nachwuchshoffnung, er spielt auf "Ihrer" Königsposition auf halblinks. Wie sehen Sie seine Entwicklung - auch in der Bundesliga, wo er mit Aufsteiger Gummersbach begeistert?
Er hat das schon als Zweitligaspieler bei der EM 2022 überragend gemacht und ist auf der Königsposition eine Art Rohdiamant. Hinten kann er alles spielen, vorne übernimmt er Verantwortung. Es war wichtig, dass er in Gummersbach geblieben ist, er ist genauso wie Juri bei den Löwen dort Führungsspieler. Julian wird uns in den nächsten Jahren noch viel Spaß bringen, seine Voraussetzungen sind außergewöhnlich. Allerdings ging es mir letztes Jahr alles etwas zu schnell. Gebt dem Jungen bitte Zeit, um sich weiterzuentwickeln. Man kann nicht einen Knopf drücken und sagen: Das ist jetzt unser Heilsbringer. So ein immenser Druck von außen ist nicht förderlich.
Köster war bei der EM 2022 21 Jahre alt, Sie haben Ihr erstes großes Turnier bei der EM 2002 mit 22 Jahren gespielt. Ihrer eigenen Karriere hat es nicht geschadet, dass Sie so früh mit dabei waren.
Das mag sein, aber das waren schon andere Voraussetzungen. Daniel Stephan und Markus Baur auf Mitte waren super erfahrene Spieler, die dir klar gesagt haben, was gemacht wird. Dazu Christian Schwarzer, Stefan Kretzschmar und Volker Zerbe in ihrer absoluten Hochzeit. Die haben mich als jungen Kerl da einfach durchgeleitet und ich konnte von ihrer Erfahrung profitieren, viel lernen. Das war für Julian nicht so, es gibt diese Hierarchien wie früher nicht mehr.
Diese klassischen Shooter wie Sie oder beispielsweise Lars Kaufmann es früher waren, werden immer seltener. Wie hat sich das Spiel auf der halblinken Position verändert?
Das Spiel hat sich leider generell ein bisschen verändert. Es wird immer mehr isoliert, es geht viel um diese Eins-gegen-eins-Spieler, die vielleicht nochmal an den Kreis tippen. Es geht viel um Kleingruppen. Dazu das Tempospiel mit der neuen schnellen Mitte, was ich ja generell gut finde. Aber dieses "Handball spielen", richtige Spielzüge, wird leider immer weniger. In einer Phase hatten wir beim DHB-Team zum Beispiel auch einmal 40 bis 50 Spielzüge, für jeden Gegner etwas Neues. Mittlerweile geht es mit Tempo nach vorne und man versucht, die Unordnung mit Eins-gegen-eins-Situationen auszunutzen. Das wirklich Spielerische steht ein bisschen hinten an, was ich schade finde.
Bei der WM 2023 heißen die Gegner Katar, Serbien und Algerien, in der Hauptrunde würde unter anderem Norwegen warten. Was trauen Sie dem DHB-Team in Polen und Schweden zu?
Darüber habe ich mir bisher noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Natürlich ist alles möglich, aber wir sind aktuell nicht der Favorit. Diese Rolle sollte man aber jetzt auch einmal so annehmen. Das Team muss in einen Lauf kommen und schauen, wie weit es einen trägt im Turnier.
Gislasons Vertrag läuft noch bis 2024. Wen könnten Sie sich als Nachfolger vorstellen?
Aus Spekulationen halte ich mich lieber raus. Aber da der Name eh schon gefallen ist, kann ich sagen: Florian Kehrmanns Arbeit in Lemgo ist außergewöhnlich. Aber auch Sebastian Hinze (Rhein-Neckar Löwen, d.Red.) oder Torsten Jansen (HSV Hamburg, d.Red.) leisten sehr gute Arbeit. Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn Alfred mal aufhört.
Was ist mit Magdeburgs Meistertrainer Bennet Wiegert?
Benno ist natürlich auch nicht zu vernachlässigen, hat über Jahre hinweg eine saustarke Arbeit geleistet, darüber brauchen wir nicht diskutieren. Aber bei all diesen Namen stellt sich die Frage, ob sie sich in einer solchen Rolle überhaupt sehen. Und wenn Alfred sagt, er kann sich noch fünf weitere Jahre vorstellen und es passt, dann wird es mit ihm weitergehen.
Denken Sie, Gislason tritt zurück, sollte die WM missglücken?
Ich glaube nicht, dass er deshalb die Flinte ins Korn werfen würde. Er ist ein Kämpfer, so kennt man ihn auch auf dem Handballfeld.
Nikola Karabatic ist 38, Mikkel Hansen 35 und Domagoj Duvnjak 34 Jahre alt. Wäre der Däne Mathias Gidsel von den Füchsen Berlin in der Lage, eine ähnliche Ära zu prägen wie diese noch aktiven Welthandballer?
Ja, keine Frage. Er ist ein überragender Typ mit einer überragenden Einstellung. Mental ist er schon sehr weit und scheut sich auch nicht, seine Meinung zu sagen. Mathias Gidsel wird in meinen Augen irgendwann definitiv Welthandballer sein. Er hat alle Voraussetzungen dazu.
2024 ist die EM in Deutschland, 2027 sogar die WM. Sie haben bei der Heim-WM 2007 mit dafür gesorgt, dass in Deutschland eine Euphoriewelle losgetreten wurde. Wie nachhaltig war der Hype rund um den Handball damals wirklich?
Handball ist auf eine gewisse Weise ein Eventsport. Wenn das Turnier losgeht, kann man definitiv eine Euphoriewelle bei den Zuschauern lostreten. Es kommt natürlich darauf an, wie erfolgreich man ist, die sportliche Leistung muss dafür stimmen. Bei uns war es damals ein riesiger Hype, aber er hat nicht so lange angehalten, wie man es sich erhofft hat - auch weil es nicht die TV-Präsenz von heute gab.
Hätten Sie eigentlich nach Ihrem ersten Bundesligaspiel gedacht, dass Sie mal einer der prominentesten Handballer werden würden? Ihr damaliger Klub Wallau-Massenheim hat die Partie ja im Grunde trotz Ihrer fünf Tore allein Ihretwegen verloren.
(lacht) Ich war damals in der zweiten Mannschaft und wurde ohne Spielgenehmigung für die erste Mannschaft eingesetzt, die Punkte für den Sieg wurden uns deswegen am Grünen Tisch aberkannt. Ich war trotzdem sehr glücklich über mein Spiel, denn das war echt gelungen und ich wusste das mit der fehlenden Erlaubnis natürlich noch nicht. Aber ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht daran gedacht, dass ich 20 Jahre später solche Titel erreichen würde.
Interview: Christoph Laskowski