07.04.2020, 07:58
Weltmeister von 2007 im Gespräch mit dem kicker, Teil 2
Abschlussstark, nervenstark, meinungsstark: Noch immer zählt Michael "Mimi" Kraus (36) zu den beliebtesten Handballern in Deutschland. Der Weltmeister von 2007 nimmt im zweiten Teil des kicker-Interviews unter anderem die häufig kritisierten "Fußball-Millionäre" in Schutz, mit denen er nicht tauschen wollen würde.
Kraus hat die Bundesliga in den letzten zwei Jahrzehnten mitgeprägt. Mit dem HSV Hamburg feierte der wurfgewaltige Spielmacher den Champions-League-Titel (2013) und die deutsche Meisterschaft (2011). Mit Frisch Auf Göppingen sollte er später auch noch den EHF-Pokal (2016) holen. Speziell aber mit frechen Auftritten in der Nationalmannschaft spielte sich Kraus nachhaltig in die deutschen Herzen. Beim WM-Titel 2007 war der 128-malige deutsche Nationalspieler (401 Tore) eine prägende Figur und schaffte es sogar ins Allstar-Team des Turniers. 13 Jahre später hat sich für den dreifachen Familienvater einiges geändert - seine klare, direkte Art hat sich Kraus aber behalten.
Bevor es losgeht: Hier können Sie den ersten Teil des Interviews nachlesen!
So sicher wie große Handball-Turniere jeden Januar kommen Artikel, was der Fußball alles vom Handball lernen kann. Etliche Punkte davon machen Sinn, aber drehen wir den Spieß trotzdem mal um: Was kann der Handball denn im Gegenzug vom Fußball lernen?
Professionalität. Alleine das Marketing beim Fußball, das Auftreten gegenüber Sponsoren. Fußball ist ein Erlebnis, du gehst mittlerweile zum Fußball und triffst dort Geschäftsentscheidungen. Das heißt: Du gehst in die Loge, hast das gemeinsame Interesse Fußball und dort Business Talk. Die Pflege von Sponsoren - natürlich ist das alles eine Budget-Frage. Alleine wenn ich die Fernsehgelder sehe, da kann der Handball davon träumen. Aber gerade bei diesem Thema Sponsoren haben wir schon noch Luft nach oben. Womit wir definitiv aufhören müssen: Wir vergleichen uns mit Fußball. Das hat für mich immer einen Geschmack von Neid. Diese Eigenschaft ist ganz schlimm für mich. Es ist Volkssport Nummer eins und man muss es auch so sehen: Es verdienen nicht alle Bundesliga-Spieler fünf, zehn oder 15 Millionen Euro. Und die Jungs können nicht einfach mit ihren Freunden in einen Club gehen und mal fünf Pils trinken. Weil das geht im Zeitalter von Social Media direkt viral. Und dann wundern sich die Leute auch wieder: 'Wie kann denn das sein?' Das nervt mich so sehr. Die Jungs haben auch ein Leben. Ich sage, das Geld ist auch ein Stück weit Entschädigung. Die Jungs müssen sich zum Teil, weil die Leute so komisch sind, ein großes Grundstück kaufen. Damit sie auch ihre Familie schützen können. Lasst die Jungs ihre Kohle verdienen, deshalb geht es mir nicht schlechter. Bei den Ablösen muss man sich sicherlich Gedanken machen, weil das für den Otto Normalverbraucher schon eine Frechheit ist, wenn da von 200 Millionen für einen Spieler gesprochen wird. Das ist absurd. Aber Angebot und Nachfrage, der Markt gibt es her. Deshalb muss sich jeder fragen, der auf Facebook kommentiert: Wie oft gehst du denn ins Stadion? Das ist ja ein kleiner Teil davon. Deswegen gönne ich den Jungs jeden einzelnen Cent. Sie sollen verdienen, was sie verdienen.
Handballinteressierte Fußball-Fans stöhnen zum Teil auch auf, dass nicht wie im Fußball ein Spieltag zelebriert wird, sondern der THW Kiel auch mal vier Wochen später seine Partie des 14. Spieltags nachholt. Sehen Sie das als Problem?
Definitiv. Mit "Sky" kam da jetzt einigermaßen eine Linie rein, aber das muss man auch verhindern in Zukunft. Bei uns ist alleine schon die Kommunikation mit den anderen Verbänden wie der EHF sehr mangelhaft. Dadurch gibt es solche Überschneidungen überhaupt erst. So geht es für die Vereine oft gar nicht anders. Und unser Zeitplan im Zusammenspiel mit der Nationalmannschaft ist in puncto Belastung auch eine Katastrophe. Alleine jedes Jahr ein Turnier zu spielen, EM, WM, Olympia. Selbst ich kriege die letzten fünf oder sechs Weltmeister im Handball überhaupt nicht mehr zusammen. Das entwertet diese Titel so wahnsinnig. Andererseits weiß ich schon, dass wir den Januar nutzen müssen, weil da Fußballpause ist, um medial nach oben zu kommen. Das ist mir schon klar, aber es wird halt leider auf dem Rücken der Spieler ausgetragen. Es ist nach wie vor so, dass die Finalspiele einfach die schlechtesten Spiele sind.
Wie sieht es grundsätzlich bei Ihnen mit Interesse am Fußball aus: Haben Sie einen Lieblingsverein? Läuft bei Ihnen auch mal die Samstags-Konferenz oder schauen Sie nur Länderspiele?
Mit drei Kindern läuft relativ wenig Konferenz. (lacht) Ich bin eher der Sportschau-Typ, die Zusammenfassung schaue ich mir gerne an. Aber dass ich jetzt jemand bin, der 90 Minuten im Stadion sitzt - da habe ich so viele andere Hobbys, dass ich das nicht tue. Aber ich kenne mich im Fußball schon aus, weil ich ja auch einige Kumpels im Fußball habe.
Mit wem aus der Fußball-Szene sind Sie denn verbandelt?
Richtig intensiven Kontakt habe ich mit Christian Gentner, aber schon seit Jahren. Wir waren früher regelmäßig sonntags zusammen bei einer Regenerationseinheit. So kommt man unweigerlich mit verschiedenen Spielern in Kontakt. Mario Gomez kenne ich auch noch von früher. Wir haben uns zu seiner ersten Stuttgarter Zeit kennengelernt.
Wir sind fast durch. Wenn Sie auf Ihre lange, bewegte Laufbahn zurückblicken: Was war Ihrer Meinung nach das beste Spiel überhaupt von Ihnen und warum?
Sicherlich eines der besten war mein 18-Tore-Spiel gegen Hannover vor zwei Jahren. Da gab es aber auch noch andere: Im EHF-Pokal-Finale in Schaffhausen mache ich alleine in der zweiten Halbzeit zwölf Tore, auch die zweite Halbzeit im Champions-League-Finale fällt mir da ein, dazu kommt das Olympia-Viertelfinale gegen Island 2008. Ach, da waren einige Spiele dabei. Es gab so viele gute Ligaspiele, aber die bringe ich nicht mehr alle zusammen. Es ist sicherlich nicht so, dass Mimi Kraus nur ein gutes Spiel hatte. (lacht)
Wie sieht es grundsätzlich bei Ihnen aus: Soll es über den Sommer hinaus weitergehen?
Aktuell habe ich noch Vertrag bis 2021, aber darin eine Option. Wir setzen uns zeitnah zusammen und regeln das. Aber ich habe auch immer gesagt, dass ich die Entscheidung über meine Zukunft nicht mehr alleine treffe, sondern im Sinne der Familie. Und sollte da nur annähernd der Eindruck entstehen, dass meine Familie in irgendeiner Weise zu kurz kommt, dann werde ich meine Karriere beenden - obwohl ich körperlich noch zwei Jahre dranhängen könnte. Wenn man um 17 Uhr ins Training fährt und die Kinder einen mit großen Augen angucken, dann ist das schon übel. Das wiegt kein Geld der Welt auf.
Sie bereiten sich schon intensiv auf die Karriere nach der Karriere vor. In Göppingen basteln Sie gerade an Ihrer Zukunft. Was entsteht da und wie kam die Idee?
Das ist ein riesiger industrieller Athletik-Club. Ich bin ja schon immer Fitness-Freak. Das macht mir einfach unglaublich Spaß. Wenn ich nicht Handballer wäre, würde ich Cross Fit auf Wettbewerbsebene betreiben. Der Athletik-Club wird aber nichts mit Schickimicki, da wird es auch Ninja-Elemente, Powerlifting, Gewichtheben, CrossFit oder Hyrox geben. Parallel dazu bauen wir in Göppingen auch noch einen Ninja- und Trampolin-Park.
Dann jetzt wirklich zur allerletzten und ich glaube für Sie nicht unbedeutenden Frage: Wer ist unter den aktuellen und ehemaligen deutschen Handballern der Social-Media-König?
(Denkt länger nach) Also, was das klassische Social Media angeht, dann natürlich der Mimi Kraus. (lacht)
Ein Stefan Kretzschmar ist da auch keine Konkurrenz?
Kretzsche hat eine ganz andere Zielgruppe. Wenn du dir mein Profil anschaust, führe ich bewusst weg vom Handball. Über den Handballer Mimi Kraus findest du bei Google sowieso alles. Da hast du irgendwann auch begrenzt Content. Und es gibt so viel mehr Hobbys, die ich habe: Kaffee, Ernährung und ich bin halt einfach auch ein Quatschkopf. Es ist eine nette Spielerei und lässt viel Raum für Kreativität. Kretzsche ist im Handball-Bereich aber schon Influencer. Er postet regelmäßig, ist Brand Ambassador für eine große Sportfirma und er macht ja nichts anderes, als Leute zu beeinflussen. Und das ist die Definition eines Influencers, auch wenn er sich definitiv dagegen wehren würde. Aber im klassischen Sinne ist Kretzsche ein Handball-Influencer. (lacht)
Hier kommen Sie zu Teil eins des Interviews, in dem Kraus über das DHB-Team, Alfred Gislason, Christian Prokop - und Martin Schwalb als idealen Bundestrainer spricht.
Interview: Maximilian Schmidt