03.04.2020, 07:23
Deutschlands Handballer des Jahres spricht im kicker, Teil 1
Er ist der große Senkrechtstarter im deutschen Handball: Der Name Timo Kastening (24) ist spätestens seit der vergangenen EM auch dem breiten Publikum ein Begriff. Im ersten Teil des großen kicker-Interviews spricht der Rechtsaußen über Hannover, die MT Melsungen, den besten Trainer seiner Karriere - und seine Mitgliedschaft beim FC Bayern.
Mit seinen unbekümmerten, beeindruckenden Leistungen bei der vergangenen Handball-EM spielte sich Timo Kastening in die Herzen der deutschen Fans. In der Bundesliga ist er eine der großen Konstanten in Hannover, geht im Sommer aber den nächsten Schritt in Melsungen. Im kicker-Interview präsentiert sich der schnelle Rechtsaußen offen, ehrlich und humorvoll.
Die wichtigste Frage vorneweg: Am Montag vor einer Woche wurde Ihr negatives Ergebnis des Tests auf das Coronavirus bekannt. Geht es Ihnen und Ihrer Familie auch heute gesundheitlich gut?
Uns geht es allen gut. Da gibt es keinen, der irgendwelche Symptome hat oder sich kränklich fühlt.
Weil Jannik Kohlbacher, mit dem Sie im Rahmen des DHB-Lehrgangs in Aschersleben zusammen waren, am 16. März positiv auf das Coronavirus getestet wurde, musste die deutsche Nationalmannschaft in häusliche Quarantäne. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das wurde erstmal rausgehauen, dass wir alle in Quarantäne mussten. Gefühlt hat aber jedes Gesundheitsamt etwas Anderes gesagt. Das war alles ein wenig durcheinander. Nichtsdestotrotz hat man sich der Situation angepasst und ist nicht mehr groß vor die Tür gegangen. Meine Eltern haben einen Landwirtschaftsbetrieb, so dass ich mich zumindest auf dem Hof bewegen konnte. Es war trotzdem ein schönes Gefühl, als man negativ getestet wurde.
Nun hätte an diesem Wochenende ein großes Saison-Highlight mit dem Final Four im DHB-Pokal steigen sollen. Gerade mit Blick auf die einmalige Atmosphäre dort, diese vier Kurven, die in unterschiedliche Farben getaucht sind. Sind Sie froh, dass das Final Four - zumindest vorerst - nicht ohne Zuschauer steigen muss?
Ja, absolut. Wenn man aufs Datum schaut und weiß, wir hätten jetzt das Final Four gespielt, ist es natürlich extrem schade, dass es überhaupt abgesagt werden muss. Die Gründe kennen aber alle und das sollte mittlerweile auch jeder verstanden haben. Es macht mich trotzdem traurig, dass man seinem Beruf nicht nachgehen kann. Man weiß auch gar nicht, ob es überhaupt stattfindet, auch wenn es gerade noch einen Ausweichtermin gibt.
Im Pokal-Halbfinale ginge es ausgerechnet gegen die MT Melsungen, zu der Sie im kommenden Sommer wechseln werden. Wie denken Sie da über eine Schlagzeile wie: Überragender Kastening verbaut der MT mit zwölf Toren das erste Pokalfinale der Vereinsgeschichte?
Da hätte ich nichts dagegen, die MT kann das Pokalfinale dann ja gerne mit mir erreichen. (lacht) Es ist natürlich kein Spiel wie jedes andere, das ist doch normal. Aber nach zwei Finalniederlagen mit Hannover will ich im dritten Anlauf unbedingt den Pokal in die Höhe stemmen. Das wäre ein absoluter Traum, gerade wenn man den Verein dann verlässt.
Hinter Ihrem nächsten Arbeitgeber liegt bislang eine turbulente Saison: Stark schwankende Leistungen, eine 12-Tore-Niederlage in Kiel, ein Ultimatum an Coach und Mannschaft - und mittlerweile auch ein Trainer-Wechsel. Wie haben Sie die Entwicklungen bei der MT verfolgt?
Aus der Ferne ist das immer schwer zu beurteilen. Natürlich bin ich auch in Kontakt mit Kai Häfner. Aber wir spielen hier in Hannover eine super Saison. Ich kann in Melsungen eh nichts groß verändern, mit meiner Meinung ist keinem geholfen. Ich sollte mich ausschließlich um Hannover kümmern. Trotzdem schaue ich natürlich, wie spielt die Mannschaft, was gibt es für Unruhen, was läuft gut. Natürlich nimmt man das auch wahr.
In Niedersachsen geboren, aufgewachsen und immer dort Handball gespielt. Nun verlassen Sie mit dem Wechsel nach Melsungen erstmals Ihre Komfortzone. Was erwarten Sie sich von Ihrem Engagement bei der MT?
Das war einer der Gründe, warum ich gewechselt bin. Unabhängig davon, dass Hannover wirklich mein Herzensverein geworden ist. Ich hatte mir immer gewünscht, mindestens einmal in meiner Karriere für einen anderen Verein zu spielen. Damit man auch selbst aus seiner Komfortzone herauskommt. Ich erwarte mir einen Schub in der Persönlichkeitsentwicklung und eine sportliche Weiterentwicklung. Ich will auch über den Tellerrand hinausschauen und mich in einem anderen Umfeld beweisen. Da freue ich mich tierisch darauf, weil ich glaube, dass die Mannschaft - so wie sie zusammengestellt wird - auch in Zukunft die Chance hat, die ganz großen Teams anzugreifen. Der Verein kann sich noch entwickeln und ich mich auch.
Julius Kühn, Tobias Reichmann, Kai Häfner - ab Sommer auch noch Silvio Heinevetter und Timo Kastening. Wie gefällt Ihnen die Personalpolitik der "MT Deutschland"?
Es ist natürlich super, wenn man mit Spielern zusammenspielt, die man schon kennt. Ich bin trotzdem immer auch der Meinung, dass man einen guten Mix aus Internationalen haben sollte - weil das den Handball ausmacht. Wenn ich an Hannover denke, ist es einfach geil, Spieler vom Balkan, aus Spanien oder Estland zu haben. In Melsungen kann das aber ein Vorteil sein, gegen Julius Kühn habe ich beispielsweise schon in der Jugend gespielt.
Noch spielen Sie aber in Hannover und sind dort zu einem starken Bundesliga-Rechtsaußen und Nationalspieler gereift. Was macht die Recken so besonders?
Es ist ein Verein, der jetzt elf Jahre in der Bundesliga spielt und sich immer weiterentwickelt hat. Es war nie der ganz große Sprung, aber da war immer ein klarer Plan, ein ruhiges Umfeld und man ist stetig gewachsen. Das tat mir in meiner Entwicklung sehr, sehr gut. Ich konnte mich mit dem Verein weiterentwickeln. Du hast hier nicht die ganz große Erwartungshaltung, wie in Magdeburg oder Melsungen. Für uns war es dennoch ein harter Kampf, da hinzukommen. Andere Vereine mit höherem Etat würden gerne da stehen, wo wir jetzt stehen.
Sie haben es erwähnt, Hannover setzt auf die eigene Jugend. Wie Sie hat es auf Ihrer Position nun Jannes Krone aus den Nachwuchsmannschaften zu den Profis geschafft. Was unterscheidet die Recken diesbezüglich vielleicht von anderen Bundesligisten?
Manchmal wird geschrieben, Vereine müssten mehr auf die Jugend setzen. Aber wenn du keine Talente hast, brauchst du nicht auf die Jugend setzen - wir sind hier in der stärksten Liga der Welt. Ich finde, in Hannover haben wir einfach viele gute, talentierte Spieler. Die Jungs wollen das unbedingt, trainieren mit Iker (Romero, Co-Trainer, d.Red.) auch noch 25 Minuten nach dem eigentlichen Trainingsende weiter. Das heißt aber nicht, dass in den nächsten drei Jahren die Durchlässigkeit genauso gegeben ist. Die Mischung ist in Hannover wirklich gut, denn du brauchst dazu erfahrene Spieler hinter denen sich die Talente in schlechten Zeiten ein bisschen verstecken können.
Welchen Anteil an Ihrer persönlichen Entwicklung, aber auch der des Vereins haben Trainer Carlos Ortega und sein Assistent Iker Romero?
Da kann ich für mich persönlich sprechen, Carlos hat einen unheimlich großen Anteil. Er ist ein absolut fantastischer Trainer, der Handball lebt und verstanden hat wie kein Zweiter - ich habe noch nie so jemanden erlebt. Deswegen ist es für mich eine absolute Ehre, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich glaube, er ist ein Trainer, der bei jedem Top-Klub der Welt arbeiten könnte. Wenn man es auch in Kombination mit Iker Romero sieht, ist glaube ich der ganze Verein froh, die beiden hier zu haben.
Was macht die "spanische Schule" aus und wie hilft Sie dem Spiel Ihrer Mannschaft?
Die Spanier mussten laut Carlos schon immer mehr mit dem Kopf machen, weil sie körperlich nicht so stark sind - so ist sein System auch ausgelegt. Es ist systematisch als "Freestyle" festgehalten. Das ist ein Unterschied zur deutschen Schule, wo vorne ein Grundsystem herrscht, es aber nicht bis ins letzte Detail geplant ist. In der Abwehr spielen wir deutlich antizipativer, weil du im spanischen Handball auch nicht die körperlichen Voraussetzungen hast.
Apropos "spanische Schule": Sie haben jüngst wieder angefangen, Ihr Spanisch aufzufrischen. Das könnte neben der besseren Verständigung im Sommer-Urlaub ja auch andere Vorteile haben. Ist beispielsweise ein Wechsel zum FC Barcelona oder das Ausland generell ein Traum von Ihnen?
Wenn es die Ligen im Ausland dann noch gibt schon. (lacht) Generell fand ich früher spanische Klubs wie Valladolid oder Ademar Leon klasse. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, irgendwann nochmal ins Ausland zu wechseln. Einfach diese Erfahrung zu machen, eine andere Sprache zu lernen. Als deutscher Spieler erwischt man sich schon manchmal, wenn man von Mitspielern fordert: 'Jetzt lern mal Deutsch.' Sich selbst in die Situation zu bringen, sich anpassen zu müssen, eine neue Sprache lernen zu müssen. Da hätte ich schon Bock drauf. Ich weiß aber auch, was ich an Deutschland habe, wie geil die Liga ist und dass ich mit Melsungen jetzt einen Top-Verein gefunden habe.
Sie spielen jetzt seit Jahren in der Bundesliga, haben einen besonderen Blick darauf. Im Sommer wechselt Sander Sagosen nach Kiel, das mit Filip Jicha in dessen Premierensaison womöglich die deutsche Meisterschaft geholt hat. Glauben Sie, dass der THW mittelfristig wieder der große Dominator im deutschen Handball werden kann oder ist die Spitze dafür mittlerweile einfach zu eng zusammengerückt?
Als Spieler habe ich das Gefühl, dass der THW gerade alles dafür tut, sich wieder abzuheben. Auch wie es sich gerade wieder anfühlt, gegen den THW zu spielen. Da beziehe ich mich auf das derzeitige Zusammenspiel zwischen Abwehr und Torwart, nächstes Jahr kommt noch Sagosen für den Angriff dazu. Ich glaube trotzdem, dass Flensburg der erste Verfolger bleiben wird. Sie haben eine unfassbare Qualität mit vielen jungen Spielern, die ein großes Pensum gehen können. Auf Dauer glaube ich aber, dass der THW wieder eine gewisse Vormachtstellung erreichen kann.
Harter Cut: Viele wissen vielleicht nicht, dass Sie in einem Hannoveraner Vorort mit einem Nachbarn namens Dieter Hecking aufgewachsen sind. Gibt es da heute noch Kontakt und drücken Sie dem HSV auch die Daumen?
Ich bin mit seinen Söhnen, Aaron und Jonas, sehr gut befreundet. Wir haben wöchentlich, phasenweise auch täglich Kontakt. Wenn die beiden hier sind, treffen wir uns auf einen Kaffee oder ein Bierchen. Mit Dieter habe ich weniger Kontakt, allerdings war ich letzte Saison mit Jonas auch mal in Gladbach, als er da noch Trainer war. Wir sehen uns schon und ich drücke ihm auch die Daumen. Da ist schon noch so eine Sympathie vorhanden.
Wie sieht es grundsätzlich bei Ihnen mit Fußball aus: Wie intensiv verfolgen Sie die Bundesliga und für welchen Verein schlägt Ihr Herz?
Superintensiv, ich bin riesiger Fußballfan. Ich bin auch Mitglied beim FC Bayern München, gemeinsam mit Tim Suton (ebenfalls deutscher Nationalspieler, d.Red.) bin ich zuletzt beigetreten. Unser Herz schlägt für den großen FC Bayern. Mir gefallen einfach die Werte, die sie sportlich vermitteln. Sie wollen maximalen Erfolg um jeden Preis. Das gefällt mir, weil nur so wirst du wirklich erfolgreich.
Bevor wir zu Ihrem steilen Aufstieg in der Nationalmannschaft kommen eine Frage noch: So sicher wie große Handball-Turniere jeden Januar kommen Artikel, was der Fußball alles vom Handball lernen kann. Etliche Punkte davon machen Sinn, aber drehen wir den Spieß mal um: Was kann der Handball denn im Gegenzug vom Fußball lernen?
Der Handball kann auf jeden Fall lernen, noch professioneller zu werden. Speziell die Liga muss sich fragen, wie ziehe ich das Ganze größer auf, wie wird es noch interessanter für ein breiteres Publikum. Viele andere Sportarten wären trotzdem froh, wenn sie so ein Standing wie der Handball hätten. Ich finde es deswegen auch immer anstrengend, mit dem Fußball verglichen zu werden. Weil Fußball ist ein geiler Sport - und Handball auch.
Im zweiten Teil des kicker-Interviews lesen Sie alles über Kastenings Karriere in der Nationalmannschaft, seine Meinung zum Rauswurf von Christian Prokop und die Qualitäten von Alfred Gislason.
Interview: Maximilian Schmidt