13.01.2024, 20:23
Siebenmeter in der Schlusssekunde
Die erste Sensation der Handball-EM ist perfekt: Die Färöer haben gegen Norwegen den ersten EM-Punkt in ihrer Geschichte geholt. Der Underdog feierte nach einer Energieleistung ein 26:26 (12:13).
Aus Berlin berichtet Julia Nikoleit
Die Fankurve der Färöer sorgte bereits vor dem Anpfiff für einen Gänsehaut-Moment, als sie die Nationalhymne nahezu a cappella intonierte. Und mit dem Anpfiff war die Unterstützung von der ersten Minute ebenso lautstark wie inbrünstig: Die über 5000 Anhänger des EM-Neulings feierten eine begeisterte Handball-Party in der Berliner Mercedes-Benz Arena.
Und ihre Mannschaft gab den Färingern im ersten Durchgang auch allen Grund zum Jubeln: Das Team um Elias Ellefsen á Skipagøtu, der offensiv Dreh- und Angelpunkt war, hielt die Partie tatsächlich bis zur Pause offen. In der Defensive präsentierte sich der Underdog gegen die favorisierten Norweger bissig und packte konsequent zu, in der Offensive setzte Peter Bredsdorff-Larsen durchgängig auf den zusätzlichen Feldspieler.
Mit Erfolg: Zwar gingen die Norweger, bei denen Jonas Wille im Vergleich zum Auftaktsieg gegen Polen personell rotiert hatte, zwischenzeitlich immer wieder in Führung, doch absetzen konnte sich der Favorit nicht. Selbst die beiden Drei-Tore-Führungen der Norweger (10:7, 17. und 12:9, 23.) fingen die Färinger wieder ein: Kurz vor der Pause glich Oli Mittun zum 12:12 (27.) aus.
Die Norweger bestraften ihrerseits zwar die Fehler der Färinger - und trafen im ersten Durchgang zweimal ins leere Tor -, doch der unangenehm zu spielende Außenseiter bot aufopferungsvoll Paroli. Ein Faktor bei den Männern von der Insel war zudem Keeper Nicholas Satchwell, der zur Pause auf eine Quote von nahezu 60 Prozent kam.
Mit einer besseren Chancenauswertung wäre sogar eine Führung möglich gewesen. Torbjörn Bergerud vereitelte mehrere gute Möglichkeiten, zudem setzten die Färinger drei Bälle ans Aluminium. Die Norweger spielten ihre physische Überlegenheit hingegen zu selten aus und retteten mühsam eine 13:12-Führung in die Pause.
Nach Wiederanpfiff traf der eingewechselte Harald Reinkind zwar direkt zum 14:12 (31.), doch die Färöer antworteten mit einem Kempa über Hákun West av Teigum. Mit einer weiteren starken Parade ermöglichte Satchwell seiner Mannschaft die Chance zum Ausgleich, doch Bergerud parierte auf der Gegenseite ebenso spektakulär gegen den freien Wurf vom Kreis.
Auch in der folgenden Phase blieb die Partie eng: Die Färinger ackerten in der Defensive und machten den Norwegern das Leben schwer. Petur Mikkjalsson glich nach einer Parade von Satchwell zum 16:16 (37.) aus - und in der Fankurve der Färinger saß niemand mehr. Nach dem 17:17 (39.) zog Wille die Auszeit.
Seine Mannschaft verstrickte sich vorne in Zweikämpfe mit den bissigen Färingern und kam so kaum zu unbedrängten Würfen. Die Färinger hingegen spielten das Spiel ihres Lebens und setzten immer wieder Nadelstiche: Vilhelm Poulsen traf zum 20:20 (45.). Der Außenseiter agierte weiterhin mit dem siebten Feldspieler und ließ sich einfach nicht abschütteln.
Zehn Minuten vor dem Ende war das Spiel beim Stand von 23:23 weiter ausgeglichen und es wurde nun hitziger auf dem Feld. Oli Mittun ging nach einer Abwehraktion von Petter Överby unsanft zu Boden und die Schiedsrichter entschieden nach einem Videobeweis auf eine Disqualifikation.
Nach der Energieleistung ließ die Konzentration bei den Färingern in der Schlussphase merklich nach. Die Färinger spielten in Überzahl ihren Rechtsaußen frei, doch Bergerud parierte. Und auf der Gegenseite kassierte Skipagøtu eine unnötige Zeitstrafe aufgrund eines Abstandsvergehens beim Freiwurf.
Die Paraden von Bergerud schienen Norwegen nun auf Kurs zu bringen. Blonz sorgte per Siebenmeter drei Minuten vor dem Ende für das 26:23. Doch die Färinger gaben weiterhin nicht auf, kamen unter dem Jubel ihrer Fans noch einmal auf - die Zeit schien für Norwegen zu laufen, die letzte Minute war angebrochen.
Norwegen verpasste allerdings den entscheidenden Treffer und 23 Sekunden vor dem Ende kam der Underdog zum Anschluss: Roi Berg Hansen traf nach einer Parade von Pauli Jacobsen zum 25:26, die Halle eskalierte - Norwegens Coach Wille versuchte, mit einer Auszeit etwas Ruhe in das Spiel seiner Mannschaft zu bringen.
Elf Sekunden musste Norwegen noch überstehen. Der Favorit führte mit einem Tor, war in Ballbesitz - doch Färöer drückte Norwegen mit einer offensiven Deckung in die eigene Hälfte - und der Wahnsinn näherte sich dem Höhepunkt als Skipagotu ein Steal gelang. Reinkind konnte den Kieler auf dem Weg zum Ausgleich nur mit einem Foul stoppen und die Schiedsrichter entschieden sofort: Zeitstrafe und Siebenmeter. Skipagotu trat an, verwandelte zum Ausgleich und startete die Handball-Party.
Färöer: Jacobsen (vier Paraden), Satchwell (sieben Paraden); E. Ellefsen a Skipagotu 5/3, Horn Rasmussen 5, West av Teigum 4, Berg Hansen 3, Mittun 3, Poulsen 3, Johansen 1, Mikkjalsson 1, Mortensen 1, R. Ellefsen a Skipagotu, Hoydal Hildarson, Krogh, Mikkelsen, Mittun
Norwegen: Bergerud (vierzehn Paraden), Säveras; Blonz 8/5, Johannessen 6, Gullerud 3, Reinkind 3, Röd 3, Sagosen 2, Björnsen 1, Aga Eck, Barthold, Gröndahl, Gulliksen, Lyse, O`Sullivan, Överby
Zuschauer: 13.571 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Arthur Brunner / Morad Salah
Strafminuten: 12 / 12
Disqualifikation: - / Överby (52.)