07.06.2022, 10:30
Löwen-Legende verlässt die Bundesliga nach zwölf Jahren
Mit Andy Schmid (38) verlässt im Sommer einer der besten Handballer des 21. Jahrhunderts die Bundesliga. Nicht nur bei den Rhein-Neckar Löwen wird der Schweizer Spielmacher eine große Lücke reißen. Ein Abschiedsinterview.
"Seine" Löwen, für die Schmid seit 2010 spielt, führte er 2016 und 2017 zu zwei deutschen Meistertiteln, 2018 zum deutschen Pokalsieg. Hätte Schmid darüber hinaus mit der Schweizer Nationalmannschaft noch internationale Erfolge feiern können, dann hätte bei der Wahl zum "Welthandballer des Jahres" im vergangenen Jahrzehnt kein Weg an ihm vorbeigeführt.
Schmid ist Spielgestalter, dabei aber auch Torgefahr in Person. Videos seiner blinden Anspiele an den Kreis werden in der ganzen Handball-Welt geteilt und gefeiert. Im Sommer zieht es ihn nach zwölf Jahren bei den Löwen zurück nach Luzern, wo fortan die Familie noch stärker im Vordergrund stehen soll. Im Abschiedsinterview mit dem kicker präsentiert sich der bemerkenswerte Sportler auch als außergewöhnliche, sensible Persönlichkeit.
Herr Schmid, am Mittwoch steht Ihr letztes Heimspiel für die Löwen an. Wirkt das noch surreal oder hatten Sie schon Zeit, das für sich einzuordnen?
Beides ein bisschen. Ich habe schon eine lange Zeit gewusst, dass es irgendwann so weit kommt. Ich konnte mich also ein wenig darauf vorbereiten. Aber irgendwo trotzdem auch surreal. Zwölf Jahre bei den Löwen, das ist fast ein Drittel meines Lebens. Das ist einerseits mit Wehmut, aber andererseits auch mit Vorfreude verbunden auf einen neuen Lebensabschnitt, einen neuen Reiz, auf die Heimat.
Das Hinspiel in Kiel war ein besonderes. Dass Sie der THW verabschiedet hat, war eine besondere Geste, die Sie berührt hat und die man so vor allem aus der NBA kennt, von der Sie Riesenfan sind. Wie haben Sie diese Situation rückblickend wahrgenommen?
Das war einer der beeindruckendsten Momente in dieser Saison. Dass der größte Konkurrent der letzten Jahre, wahrscheinlich der größte Verein weltweit, mir so eine Wertschätzung in Form dieser Geste entgegenbringt, war unfassbar. Das zeigt irgendwo auch die Größe dieses Klubs. Es war eines der Highlights in diesem Jahr, muss ich wirklich gestehen.
Nach dem Spiel haben Sie auch gesagt: 'Fuck, vielleicht sollte ich doch länger in der Bundesliga spielen.' Kam dieser Gedanke in den vergangenen Monaten noch häufiger oder war das aus der Emotion heraus?
Das war schon eher eine direkte Emotion. Dieser Moment, in dem man vor 10.000 Leuten spielt, ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Es gehören viele Opfer dazu, die viele Leute nicht sehen. Das tägliche Training, das ständige Herumreisen, als Familie müssen wir viel zurückstecken. Ich sehe meine Familie in der Schweiz kaum, Oma und Opa sind weit weg von unseren Kindern. Das sind alles Dinge, die die Fans auf den ersten Blick nicht sehen. Ich kann das schon gut einordnen und weiß, dass das jetzt der richtige Moment ist.
Ein paar THW-Fans dürften zusätzlich dankbar gewesen sein, weil Ihr Fehlwurf in letzter Sekunde in der vergangenen Saison den Kielern doch nicht die Meisterschaft kostete. War Ihnen in dem Moment die Trageweite des Wurfes eigentlich bewusst, das Spiel in Flensburg war ja bereits aus?
Vom Ergebnis wussten wir nichts, wir haben auch nicht groß dorthin geschielt. Wir sind selbst eine Mannschaft, die schon mal den Titel wegen eines anderen Ergebnisses nicht gewonnen hat. So ist der Sport halt. Im Nachhinein war mir die Tragweite natürlich schnell bewusst, dass mein Wurf die Flensburger zum Meister gemacht hätte. Da macht man sich aber nicht großartig Gedanken.
Lassen Sie uns Ihre Bundesliga-Zeit gerne von hinten aufrollen. 2011 haben Sie nach eigener Aussage mit sich gerungen, nach einer schwachen Saison bei den Löwen zu bleiben. Sie sind phasenweise auf der Tribüne gesessen und wurden in einer Handball-Zeitschrift zum "Absteiger des Jahres" gewählt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Das ist schon immer noch sehr präsent, das war wahrscheinlich die schwierigste Zeit meiner Karriere. Ich bin damals mit großen Vorschusslorbeeren von Dänemark nach Deutschland gewechselt. Ich habe dann wirklich Mühe gehabt, mich hier einzufinden - einerseits in der Mannschaft, andererseits in der Bundesliga. Im Nachhinein war es einer der Schlüsselmomente, in dem man den Boden unter den Füßen gespürt hat und in dem man auch mal Dreck fressen musste. Ich konnte rückblickend etwas aus der Situation herausziehen, aber in dem Moment war das schon verdammt schwierig. Ich bin mit Bauchschmerzen und schlechtem Gefühl in die Halle, zum Training, zu den Spielen. Als Schweizer hat man zu dieser Zeit auch nicht gerade den großen Kredit gehabt. Man musste sich schon noch einen Tick mehr beweisen.
In der Folge ging es steil bergauf, den deutschen Meistertitel 2016 haben Sie im Magazin "Bock auf Handball" als "Befreiung" bezeichnet und das Gefühl des Nicht-Scheiterns überwog das des großen Titels. Wie viel Druck haben Sie sich in dieser Phase auch selbst gemacht?
Den größten Druck, den man sich nur vorstellen kann. Das war unglaublich. Ich hatte auch zu Hause wirklich Schwierigkeiten, Ruhe zu finden, einzuschlafen. Die letzten zwei Monate vor der Meisterschaft, als es auf die Zielgerade zuging, hat sich alles nur noch um die Spiele gedreht. Ich habe gewusst: Jetzt oder nie. Ich wusste, dass ich funktionieren musste, um diesen Titel zu gewinnen. Meine Rolle war wichtig, als Führungsspieler musste ich vorangehen.
Nach dem Pokalsieg 2018 wurden die Rhein-Neckar Löwen 2019 Vierter, 2021 Fünfter, aktuell ist es Rang zehn. Wie haben Sie die Entwicklung des Vereins in den letzten Jahren persönlich wahrgenommen?
Lehrreich. Einerseits für mich persönlich, andererseits war die Zeit das auch für den Klub. Wir haben gesehen, dass man ganz oben angekommen nicht einen Zentimeter zurückstecken darf. Es ist unglaublich schwierig, an der Spitze zu bleiben. Wir haben uns da vielleicht ein bisschen zu sicher gefühlt, haben uns zu sehr darauf ausgeruht, haben einen Tick weniger gemacht. Vielleicht haben wir gedacht, wir können jetzt auch noch diesen und jenen Spieler ersetzen. Irgendwann war es einfach zu viel. Man sieht, dass ein Gebilde im Teamsport sehr fragil sein kann. Während wir schwächer geworden sind, sind die anderen Mannschaften auch stärker geworden. Das war der Grund, warum wir einen kleineren Absturz erleiden mussten.
Mit Juri Knorr wurde ein potenzieller Nachfolger für Ihre Position geholt. Wie sehen Sie seinen Leistungsstand aktuell und was trauen Sie ihm noch zu?
Ich traue ihm extrem viel zu. Juri hat alle Möglichkeiten dieser Welt. Aber man muss auch Step by Step gehen. Er ist gerade mal 22. Wenn ich mich zurückerinnere: In dem Alter wusste ich noch gar nicht richtig, wie man Handball spielt. Von daher ist er schon sehr weit. Juri muss das Ganze aber auch demütig angehen. Es war ein Riesenhype um ihn, was nicht gerecht war. Er ist noch zu jung, um die ganze Last des deutschen Handballs zu schultern - nur weil auf dieser Position in Deutschland eine Vakanz herrscht. Er wird seinen Weg gehen, da bin ich überzeugt, aber es wird nicht von jetzt auf gleich gehen, sondern ein stetiger Prozess bleiben.
Den Löwen steht nach Ihrem Abgang ein noch größerer Umbruch bevor, mit Sebastian Hinze kommt auch ein neuer Trainer. Was muss in den nächsten Jahren passieren, damit die Löwen wieder mittelfristig in die HBL-Spitzengruppe vorstoßen können?
Es braucht einerseits auf jeden Fall Kontinuität, gerade was die Trainerposition angeht. Andererseits muss man in den nächsten drei Jahren noch ein, zwei, drei richtig gute Spieler dazu holen, die über längere Zeit hier bleiben. Es ist auch wichtig, dass man das Ganze wieder ein wenig demütiger angeht. Das haben wir ja schon gelernt. Als ich kam, wurden von allen Seiten große Töne gespuckt, dass wir diesen und jenen Titel gewinnen wollen. Man muss einfach im stillen Kämmerlein seine Arbeit erledigen, Schritt für Schritt gehen, die richtigen Entscheidungen treffen, kontinuierlich arbeiten. Dann kann man wieder oben angreifen. Es braucht aber auch Zeit und Geduld.
Wie beobachten Sie insgesamt die Entwicklung in der Bundesliga? Kiel und Flensburg bekommen deutlich mehr Konkurrenz, neben Meister Magdeburg verstärken sich besonders die Füchse im Sommer erneut sehr namhaft.
Es wird meiner Meinung nach die nächsten ein bis zwei Jahre ein Vierkampf um die deutsche Meisterschaft werden - mit genau diesen genannten Mannschaften. Dahinter hast du mit den Löwen, Göppingen und Melsungen drei Teams, die um die europäischen Wettbewerbe mitspielen. Viele Vereine machen einen guten Job, holen tolle Spieler dazu. Die Liga ist ohnehin ausgeglichener geworden. Viel wird von Verletzungen abhängen. Es wird aber definitiv spannender als in der Vergangenheit, als eigentlich nur zwei Teams um die Meisterschaft gekämpft haben.
Im zweiten Interview-Teil lesen Sie, was Andy Schmid über Angebote finanzkräftiger Vereine, seinen Spielstil, die Schweizer Nationalmannschaft und Urs Fischer sagt - und warum er am Titel "Die stärkste Liga der Welt" so seine Zweifel hat.
Interview: Maximilian Schmidt