02.06.2022, 20:42
"Schüler" Wiegert ist endgültig zum Lehrmeister aufgestiegen
Es hatte sich über Wochen, wenn nicht gar Monate angebahnt: Der SC Magdeburg hat am Donnerstagabend erstmals seit 2001 wieder die deutsche Meisterschaft gewonnen - und damit die Dominanz der beiden Schwergewichte aus dem Norden durchbrochen.
DDR-Meister wurde der SC Magdeburg zwischen 1967 und 1991 elfmal, anschließend feierte der Traditionsklub mit den handballverrückten Fans aber nur noch eine deutsche Meisterschaft. 2001 holte eine bemerkenswerte SCM-Mannschaft um Olafur Stefansson, Joel Abati, Stefan Kretzschmar, Henning Fritz und Bennet Wiegert den wichtigsten nationalen Titel. Im Jahr darauf führte Alfred Gislason, heute Bundestrainer, die Magdeburger gar zum Champions-League-Titel.
Über zwei Jahrzehnte später wurde ein einstiger Schüler zum Lehrmeister: Wiegert, natürlich in Magdeburg geboren, hat den Bundesligisten im Dezember 2015 übernommen und ihm sukzessive seine Philosophie übergestülpt.
Der ehemalige Linksaußen und der mit reichlich Emotionen aufgeladene Klub bewiesen Geduld, die Ernte folgte bereits ab 2016: In diesem Jahr holte Wiegert mit seinem Team den DHB-Pokal nach Sachsen-Anhalt. Im vergangenen Jahr wurde Magdeburg Ende Mai mit einem Sieg über Rivale Füchse Berlin (28:25) European-League-Sieger. Anfang Oktober wurde der Verein zudem mit einem sensationellen Sieg über Champions-League-Titelverteidiger Barcelona (33:28) Klubweltmeister.
Da war auch dem letzten Zweifler endgültig bewusst, dass Wiegert etwas Besonderes am Handball-Standort Magdeburg geschaffen hat. 16 Bundesliga-Siege feierte Magdeburg aus seinen ersten 16 Bundesliga-Spielen - darunter ein Statement-Erfolg beim THW Kiel (29:27). Erst im allerletzten Spiel des Kalenderjahres 2021 riss in Flensburg (27:30) die beeindruckende Serie.
Mit bemerkenswerter Ruhe und Souveränität verwaltete Magdeburg seinen Vorsprung in der Bundesliga, während die Konkurrenz die verschiedenen Belastungen deutlich schlechter wegsteckte. Dabei steht der Spielstil das SCM für das Gegenteil von Gelassenheit: Wiegerts Mannschaft stresst die Gegner, gönnt ihnen keine Verschnaufpause. Erste Welle, zweite Welle, schnelle Mitte - der Bundesliga-Spitzenreiter setzte auf Dauerdruck und Belagerungstaktik. Auch mit Blick auf die hohen Belastungen der letzten Wochen bekam Abstiegskandidat HBW Balingen-Weilstetten diese am Donnerstagabend beim entscheidenden 31:26 (15:15) nur bedingt zu spüren. 58 Pflichtspiele, 54 Siege - schlichtweg beeindruckend.
"Das, was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit und Entwicklung", betonte Wiegert im kicker. Der Star auf dem Weg zur Meisterschaft war trotz überaus talentierter Spieler wie Omar Ingi Magnusson fraglos das System, das viele beim SCM glänzen lässt. Auf Inspirationsquellen angesprochen sagt Wiegert: "Dass Alfred Gislason (SCM-Trainer von 1999 bis 2006, d. Red.) eine große Rolle gespielt hat mit seiner Akribie, ist kein Geheimnis. Er war damals seiner Zeit voraus und richtig innovativ. Aber den jetzigen Spielstil habe ich grundsätzlich über die Jahre allein entwickelt, da ich selbst etwas Innovatives entwickeln wollte."
Was ihm bestens gelungen ist.
Auf dem langen, harten Weg zurück an die nationale Spitze wusste der SCM in diesem Jahr auch mit Rückschlägen umzugehen. Der größte war dabei fraglos das verlorene Pokalfinale gegen den THW Kiel (21:28) Ende April in Hamburg. Dem kicker hatte THW-Superstar Sander Sagosen nach dem Endspiel mit Blick auf den Bundesliga-Endspurt gesagt: "Wenn sie Eier haben, schaffen sie das." Magdeburg zeigte sich aber von allen Aussagen unbeeindruckt, zog sein Ding gnadenlos durch. Und wurde hochverdient deutscher Meister. Auch die erst in der Verlängerung knapp verpasste Titelverteidigung in der European League brachte Magdeburg nicht mehr ins Wanken.
"Dem SCM muss man das Kompliment machen, dass sie ohne jeden Zweifel die beste Kaderplanung der letzten Jahre hatten. Sie greifen den THW und die SG an, während andere ein Stück weit ehrfurchtsvoll zuschauen", schrieb Bob Hanning in seiner letzten kicker-Kolumne. "Magdeburg wird im nächsten Jahr das Team sein, das es zu schlagen gilt."
"Es ist eine toll zusammengestellte Mannschaft, aus der man ganz viele Namen hervorheben kann", erklärte "Sky"-Experte Kretzschmar: "Die Bilder in Magdeburg sind pure Emotionen. Bei aller Liebe für den Sport, diese Bilder würde man in Kiel oder Flensburg nicht sehen. Wer heute nicht mitfeiert, wird die Nacht seines Lebens verpassen. In der Magdeburger Halle wurde heute Geschichte geschrieben."
Die Dominanz der Nordklubs aus Kiel und Flensburg, die die letzten vier Titel unter sich ausmachten, ist durchbrochen. Mit Blick auf die namhaften Neuzugänge bei den Füchsen Berlin (unter anderem Dänemarks Supertalent Mathias Gidsel) dürfte die deutsche Meisterschaft im kommenden Jahr womöglich sogar noch umkämpfter werden. Eine gute Nachricht für den neutralen Zuschauer.
In Magdeburg sieht Wiegert derweil keine Parallelen zur Meistermannschaft: "Mein Team mit dem von 2001 auf eine Stufe zu stellen, wäre falsch. Damals hatten wir auf jeder Position absolute Weltklassespieler, so weit sind wir noch nicht." Dass diese aktuelle Magdeburger Mannschaft noch mehr Potenzial hat, ist unbestritten - und das ist keine gute Nachricht für die Konkurrenz.
Maximilian Schmidt