08.06.2022, 10:00
Löwen-Legende über Angebote, Breitenreiter und Unions Erfolgstrainer
Mit Andy Schmid (38) verlässt im Sommer einer der besten Handballer des 21. Jahrhunderts die Bundesliga. Nicht nur bei den Rhein-Neckar Löwen wird der Schweizer Spielmacher eine große Lücke reißen. Ein Abschiedsinterview.
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Sie wurden fünfmal Liga-MVP, gehören fraglos zu den besten Spielmachern unserer Zeit. Wie oft haben in Ihrer Zeit bei den Löwen finanzkräftige Vereine aus dem Ausland angeklopft?
Eigentlich überraschend wenige. (lacht) Ich habe immer relativ frühzeitig meine Verträge verlängert. Ich habe auch aus Selbstschutz einige Anfragen im Keim erstickt. Ich wollte nie in diese Lage gebracht werden, in der ich mir wirklich Gedanken machen muss, ob ich gehen möchte. Ich hatte hier alles, meine Familie und meine Kinder fühlen sich sehr wohl. Das ist für mich viel entscheidender als ein paar Euros mehr. Ich bin ein sensibler Zeitgenosse, weswegen diese weichen Faktoren für mich wichtiger sind. Ich habe es aus diesen Gründen nie darauf ankommen lassen.
Bald steht das Final Four in der Champions League an. Kiel trifft dabei auf Barcelona, womöglich auch Veszprem oder Kielce. Die drei Kontrahenten haben mittlerweile andere finanzielle Möglichkeiten und deutlich geringere Belastungen. Wie sehen Sie die Entwicklung im internationalen Vergleich?
Schon heikel für die Bundesliga, das muss ich ganz ehrlich sagen. Es ist unbestritten, dass die HBL das attraktivste Produkt im Welthandball ist. Beim Claim "Die stärkste Liga der Welt" habe ich meine Zweifel. Es ist sicherlich die ausgeglichenste Liga, aber sie ist auch eine harte Mühle. In Zukunft werden sich das vielleicht weniger Spieler antun. Das zeichnet sich ja schon ab. Zum Beispiel die skandinavischen Vereine, die jetzt noch dazukommen. Man kann nicht einfach sagen: Die verschwinden sicher in ein, zwei Jahren wieder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich skandinavische Vereine auf Experimente einlassen. Die HBL muss sich bewusst sein, wie hart diese Saison mit 34 Spielen ist. Die Anziehung der Liga war früher definitiv stärker als jetzt.
Ihre Art, Handball zu spielen, ist einmalig. Zu der Mischung aus Schlag- und Sprungwürfen kommen noch diese unnachahmlichen blinden Anspiele an den Kreis dazu. Wie viel ist davon Training und wie viel Intuition?
Gute Frage. Es ist schon viel Intuition. Ich mache mir aber auch zu Hause viele Gedanken, welche Möglichkeiten es gibt und dann probiere ich es im Training. Es ist aber nicht so, dass wir das im Training 100-mal durchgehen. Das sind im Spiel kleine Absprachen, die man trifft. Man muss auch mutig sein, mal auf die Schnauze fliegen, Dinge scheitern sehen. Das ist ein Zusammenspiel von vielen Faktoren.
Einen großen Sprung nach vorne hat die Schweizer Nationalmannschaft gemacht, bei der WM 2021 waren begeisternde Auftritte dabei. Spannende Schweizer Spieler wie Lenny Rubin sind Teil der Bundesliga. Wie hat es die kleine Handball-Nation geschafft, den Rückstand auf die führenden Teams zu verkleinern?
Du hast schon einen der Gründe genannt. Nämlich, dass mehr Spieler den Schritt ins Ausland gewagt haben. Die Schweizer Liga und die Schweizer Spieler werden attraktiver. Alles wurde dadurch auch noch professioneller, vor allem die Spieler. Es gibt nicht mehr so viel Kumpels, Kino, Freundin, Studium und Arbeit nebenher. Das hat dazu geführt, dass man den Abstand verringern konnte.
Vor wichtigen Entscheidungen erstellen Sie häufig detaillierte Listen mit positiven und negativen Aspekten. Was sprach vielleicht auch sportlich für die Rückkehr in die Schweiz im Sommer? Und was dagegen?
Sportlich spricht eigentlich nicht viel dafür, in die Schweiz zurückzugehen. Mittelfristig gesehen vielleicht, dass ich gerne ins Trainer-Business einsteigen möchte. Es spricht viel dafür, dass ich dort meine ersten Schritte gehen kann. Aber es ist mehrheitlich schon eine Entscheidung für meine Kinder und meine Frau. Dieser Zeitpunkt passt jetzt besonders, weil mein größerer Sohn die vierte Klasse abschließt und auf eine weiterführende Schule geht, mein kleiner eingeschult wird.
Sie sprechen es an, Sie sind leidenschaftlicher Vater und haben sogar ein Handball-Kinderbuch geschrieben. Wenn Sie Ihrem 15-jährigen Ich oder Sohn einen einzigen Rat mit Blick auf eine potenzielle Handball-Karriere geben könnten. Welcher wäre es?
Nie in großen Schritten denken. Natürlich darf man einen Traum in sich tragen, mal bei einem bestimmten Verein spielen zu wollen. Aber man muss auch darauf vorbereitet sein, dass schlechte Momente und Rückschläge kommen werden. Das ist ganz normal in einer Karriere. Es ist wichtig, Geduld zu bewahren und nicht zu viel in der Zukunft zu leben.
Wie steht es eigentlich um Ihre Fußballbegeisterung? In der Schweiz drücken Sie, glaube ich, dem FC Luzern die Daumen?
Ich bin natürlich Luzern-Anhänger, weil ich dort früher auch oft als Kind im Stadion war. Ich bin einfach sportbegeistert, schaue viel Fußball-Bundesliga und Champions League. Aber es gibt keinen Verein in der Bundesliga oder im internationalen Fußball, den ich so richtig supporte.
Mit André Breitenreiter hat gerade ein deutscher Trainer in der Schweiz mit dem FC Zürich einen Riesenerfolg gefeiert. Wie wurde seine Arbeit in der Schweiz wahrgenommen?
Es war schon sehr überraschend, dass der FC Zürich den Titel holen konnte, weil sie eigentlich niemand auf dem Zettel hatte. Die Trainer haben aber doch oft das Ziel, in der Bundesliga zu trainieren. Das sieht man jetzt an ihm, er verlässt die Schweiz nach nur einem Jahr für den Job in Hoffenheim. Das ist schon schade. Aber der Schweizer Fußball hat im letzten Jahrzehnt einen enormen Sprung gemacht. Es ist klar die Sportart Nummer eins in der Schweiz.
Andersherum feiert mit Urs Fischer ein Schweizer Trainer Riesenerfolge bei Union Berlin, er ist in Deutschland ein Sympathieträger. Fischer wird wohl gerade für seine unaufgeregte Art in dem hektischen Business gefeiert. Wie ist sein Standing in der Schweiz?
Er war schon mehrmals als Nationaltrainer im Gespräch. Er ist für mich so ein typischer Schweizer. Wie du schon sagst, ist er sehr unaufgeregt. Fast schon zu ruhig und langweilig, aber das ist vielleicht gerade das, was man in Deutschland manchmal braucht. Deswegen sind die Schweizer womöglich auch gerne gesehen, weil sie das Bodenständige und Demütige mitbringen. Mit Fischer und Union passt es sehr gut, aber er hat sicherlich auch den perfekten Verein. Ich weiß nicht, ob es bei einem großen Verein funktionieren würde oder ob er da aufgefressen würde von den Medien, wenn es mal nicht läuft.
Interview: Maximilian Schmidt