11.01.2022, 12:57
Füchse-Boss spricht auch über seine auffälligen Pullover
Im ersten Teil des Interviews mit dem kicker sprach Bob Hanning (53) unter anderem über Johannes Golla, Alfred Gislason und die Talentförderung. Die Themen diesmal: Zwei ehemalige Füchse, das "Jahrzehnt des Handballs" - und Herzensklub Hertha BSC.
Nach acht ereignisreichen Jahren machte Hanning im vergangenen Herbst beim DHB als Vizepräsident Schluss. In seinem Buch "Hanning. Macht. Handball." gibt der Füchse-Boss interessante Einblicke in die Handball-Szene. Für den kicker, für den er ab Donnerstag in einer Kolumne seinen stets kritischen Blick auf Nationalmannschaft und Bundesliga richten wird, nahm sich Hanning im Vorfeld der EM eine Stunde Zeit.
Ist es Ihrer Meinung nach realistisch, dass Sie Dagur Sigurdsson eines Tages nochmal zu einem Comeback bei den Füchsen bewegen können?
Man soll im Leben nie nie sagen. Wir haben nach wie vor ein sehr gutes Verhältnis und ich würde eine Rückkehr von Dagur nie ausschließen. Aber ich bin aktuell unglaublich glücklich, dass wir Jaron Siewert haben.
Apropos Füchse-Comeback: Silvio Heinevetter hat noch keinen Verein für die kommende Saison. Ist eine Rückholaktion ein Thema?
Klares Nein. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und ich freue mich auch, wenn ich ihn sehe. Aber wir haben uns ja bewusst dagegen entschieden. Wir wollten einen anderen Weg gehen. Oftmals merkt man erst, wenn man geht, was man an einem Verein hat. Ich glaube, das hat er in seinen Interviews jetzt auch durchklingen lassen.
In den vielen jüngsten Vertragsverlängerungen bei den Füchsen ist eine Systematik zu erkennen. Die Mannschaft soll über Jahre reifen. Wann wandert die Schale erstmals in die Hauptstadt?
Die Luft oben ist sehr, sehr dünn. Mit den Punktverlusten vor der EM-Pause haben wir gesehen, dass wir gut beraten sind, wenn wir handeln, statt zu reden. Ich hoffe, dass wir mit Gidsel und Darj den Unterschied machen können. Die Zielsetzung muss auf jeden Fall sein, unter die Top 3 zu kommen. Man weiß aber, wie eng das ist mit Kiel, Flensburg, Magdeburg. Auch Melsungen wird kommen, da bin ich mir sicher. Die Rhein-Neckar Löwen darf man nie abschreiben. Ich hoffe, dass wir den Erfolg ein Stück wahrscheinlich gemacht haben. Wir haben jetzt sehr viel Geld ausgegeben. Wir haben fast jeden Wunsch erfüllt, ohne auf das Thema Nachwuchs zu verzichten. Jetzt müssen wir uns alle daran auch messen lassen.
Berlin ist das Stichwort, wenn man an die Heim-WM 2019 denkt. Die war trotz Platz vier in puncto Aufmerksamkeit ein großer Erfolg. Die nackten Zahlen sagen aber, dass die DHB-Mitgliederzahl zwar von 2019 auf 2020 von rund 749.000 auf 755.000 gestiegen, in 2021 aber auf 730.000 gefallen ist. Hat das Heim-Turnier Ihrer Meinung nach rückwirkend wirklich etwas für den Handball in Deutschland verändert?
Das zu 100 Prozent, wenngleich ich mir trotzdem große Sorgen mache. Der Verband hat sich jetzt Gott sei Dank im Vorstand dem Thema Mitglieder angenommen. Neben den Erfolgen der Nationalmannschaft ist das das Wichtigste. Die Krise und die Aufrechterhaltung der Wettbewerbe haben wir im Spitzenhandball sehr gut gemeistert. Bei den Landesverbänden sehe ich das schon ein Stück kritischer. Wettbewerbe wurden viel zu früh geschlossen. Die gesellschaftliche Verantwortung ist es eigentlich, das so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Kinder müssen in die Schule, Kinder müssen getestet Handball spielen dürfen. Dass es D-Jugendliche gibt, die mit Handball angefangen, in den letzten anderthalb Jahren vier Spiele gemacht haben und sich deswegen etwas anderes suchen, ist fatal. Meine größte Sorge ist, dass wir die Breite verlieren. Wir müssen mutiger sein und schauen, dass wir den Spielbetrieb aufrechterhalten.
Was war Ihrer Meinung nach die beste und was die schlechteste Entscheidung in acht Jahren DHB?
Wir haben die letzten acht Jahre ganz große Räder gedreht. Wir haben eine komplette Strukturreform hingekriegt, sind vom Ehren- zum Hauptamt gekommen. Ich habe mich sozusagen selbst abgeschafft. Wir können uns mittlerweile den Hauptsponsor aussuchen. Wir sind öffentlich-rechtlich zu sehen, haben Heim-EMs und -WMs in allen Bereichen. Wir hatten nur nicht den sportlichen Erfolg, den ich mir gewünscht hätte.
Und die schlechten Entscheidungen?
Ich halte die Entscheidung Christian Prokop nach wie vor für richtig - nur zum falschen Zeitpunkt. Dafür übernehme ich die volle Verantwortung, das war mein Trainer, meine Idee. Die war für die Weiterentwicklung unserer Sportart gut, aber sie war noch nicht soweit. Das ist so wie mit dem Sponsoren-TV. Da haben sie gefragt: Was machen die da? Hinterher ist es der Vorreiter von allem. Am Anfang wurde Werbung noch auf Banden getackert. Heute stehen wir finanziell so gut da wie nie, da kann man sehr zufrieden auf das blicken, was wir erreicht haben. Sportlich kann ich nicht zufrieden sein. Mit Blick auf die Absagen hat es aber auch an Zusammenhalt gefehlt. Wenn man das Spiel gegen die Ägypter gewinnt, was man gewinnen muss, stehst du im Halbfinale von Olympia und alle wären erstmal zufrieden gewesen.
Junioren-WM 2023, Männer-EM 2024, Frauen-WM 2025, Männer-WM 2027: Das "Jahrzehnt des Handballs" steht in Deutschland an. Viel mehr Aufmerksamkeit für den Handball geht fast nicht. Was muss der DHB tun, um sicherzustellen, dass man das Maximum aus diesen vier Großereignissen rausholt?
Wir müssen in Mitglieder-Entwicklung investieren, das ist das größte Thema. Jetzt muss man die Gelder investieren, um nachhaltig vorne dabei zu sein. Man muss zwingend das Thema Handball in den Schulen angehen, wir müssen die Vereine und Verbände, die mutig vorangehen, unterstützen. Wir müssen in die Basis rein. Ich befürchte, dass wir 100.000 Mitglieder und Mannschaften verlieren. Am Ende des Jahrzehnts müssen wir die Turniere nutzen, um das aufzuhalten. Dass wir vielleicht 50.000 verlieren, aber 250.000 neue Mitglieder dazugewinnen.
Sie schreiben im Buch, dass Sie 1999 von Harald Schmidt gelernt haben, dass Handball auch Unterhaltung sein muss. Bunte Pullover, die Inszenierung als Napoleon - Sie selbst haben das Spiel offenbar verstanden. Wieso schafft es in Deutschland keiner, einen Starkult um sich zu bilden, wie es ein Nikola Karabatic oder Mikkel Hansen schaffen?
Du siehst, wenn du dich grundsätzlich aus der Deckung wagst, wird es gefährlich. Das hat etwas mit unserer Gesellschaft zu tun, weil die Menschen gerne andere fallen sehen. Mutige Entscheidungen, Blick nach vorne, Verantwortung auch mal zu tragen. Wenn Gegenwind kommt, den auch zu nutzen - das trauen sich zu wenige. Das ist Sache der Vereine und Spieler selbst, Marken zu bauen. Aufmerksamkeit bekommst du aber nur, wenn du die Plattform bekommst - das fehlt oft. Ich fände es schön, wenn wir Spieler wie Mimi Kraus mehr in den Vordergrund stellen, mehr gewinnen würden, weil die auch dieses Suchtpotenzial haben. Da zähle ich auch einen Pascal Hens mit rein. Der Verband lässt sich aber gerne so führen, dass es bloß keine Extravaganz geben darf. Da sind Verbände verblendet.
Zum Abschluss noch zum Fußball: Sie sind seit Kindestagen glühender Anhänger von Hertha BSC, haben als Kind mal 700 Mark für Anrufe beim Verein ausgegeben - für Nachbesprechungen zum Spiel und Infos zum Kader. Wie oft haben Sie in den vergangenen Jahren die Liebe zu Hertha bereut?
Nicht einen einzigen Tag. Das Wort Leidenschaft beinhaltet das Wort Leiden. Das musste man sicherlich im Laufe der vergangenen Jahre häufiger. Aber ich erlebe lieber schwierige Phasen mit, als immer zu gewinnen. Eine gewisse Form von Masochismus habe ich mir beim Verband ja angeeignet (lacht). Irgendwann bekommt man aber auch etwas wieder.
Interessant ist sicherlich Ihre Management-Sicht auf die Dinge. Was müsste Hertha Ihrer Meinung nach machen, um mittelfristig zum oberen Drittel der Bundesliga zu gehören?
Ich glaube, dass sie mit Ingo Schiller (Geschäftsführer Finanzen, d. Red.) - mit dem ich befreundet bin, um das gleich klar zu sagen - einen der herausragenden Finanzexperten haben. Er hat es geschafft, auch mit dem Windhorst-Deal, den Verein überhaupt erst in diese Lage zu bringen. Ich glaube, es ist im Laufe der letzten Jahre viel zu viel Geld für Mittelmaß ausgegeben worden. Mit Fredi Bobic hat man jetzt die Hoffnung, dass dieses Duo etwas bewegen kann. Deswegen bin ich jetzt wieder leidenschaftlich dabei und glaube, dass das Trio mit Gegenbauer, Schiller und Bobic die Chance hat, nochmal etwas zu bewegen. Da bin ich auch optimistisch.
Interview: Maximilian Schmidt