04.04.2020, 08:05
Deutschlands Handballer des Jahres spricht im kicker, Teil 2
Er ist der große Senkrechtstarter im deutschen Handball: Der Name Timo Kastening (24) ist spätestens seit der vergangenen EM auch dem breiten Publikum ein Begriff. Im zweiten Teil des großen kicker-Interviews spricht der Rechtsaußen ausführlich über die Nationalmannschaft.
Mit seinen unbekümmerten, beeindruckenden Leistungen bei der vergangenen Handball-EM spielte sich Timo Kastening in die Herzen der deutschen Fans. In der Bundesliga ist er eine der großen Konstanten in Hannover, geht im Sommer aber den nächsten Schritt in Melsungen. Im kicker-Interview präsentiert sich der schnelle Rechtsaußen offen, ehrlich und humorvoll.
Bevor es los geht: Hier können Sie den ersten Teil des Interviews nachlesen!
Während und nach der EM wurden Sie zurecht als der große Senkrechtstarter im deutschen Team gefeiert. Ihr Länderspiel-Debüt - ein 27:29 gegen die Schweiz Anfang März 2019 - ging allerdings nach eigener Aussage ziemlich in die Hose. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Im ersten Länderspiel wollte ich gleich zeigen, dass ich da bin. Und dann machst du so ein Gurkenspiel. Dann fährst du nach Hause und hoffst einfach, nochmal die Chance zu bekommen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass das eingetreten ist. Es war nun wirklich nicht abzusehen, dass ich überhaupt zur EM fahre - und dann auch noch so viel spielen darf.
Ein Jahr später sind Sie Deutschlands Handballer des Jahres und mit Sicherheit bei dem einen oder anderen Branchen-Riesen auf dem Zettel. Hatten Sie in der jüngsten handballfreien Zeit mal einen Moment, um das Jahr zu rekapitulieren?
Ich schaue sehr gerne zurück, weil mir Handball so viel Spaß macht. Wenn es dann in so einer Kurve verläuft, ist es umso schöner. Ich versuche das trotzdem immer vernünftig einzuordnen. Ich nehme das alles mit und genieße es. Wenn es so einen Hype um die eigene Person gibt, das freut einen. Trotzdem weiß ich auch, dass es in drei Monaten wieder jemand anderes ist. Man wird auch wieder schlechte Spiele machen und das bin dann genauso ich.
Mit der Junioren-Nationalmannschaft wurden Sie 2012 und 2014 jeweils Europameister. Hatten Sie sich damals eine realistische Chance eingeräumt, einmal Stammspieler der A-Nationalmannschaft zu werden?
Das war schon immer mein Ziel. Ich habe mir aber nie Ziele nach dem Motto gesetzt, dass ich mit 20 auf dieser Karrierestufe sein muss und mit 24 auf der nächsten. Dass es so gekommen ist, freut mich natürlich ziemlich.
Was hat Sie bei Ihrem ersten großen Turnier mit der Nationalmannschaft am meisten beeindruckt?
Man hat schnell gemerkt, dass die deutsche Nationalmannschaft gefühlt weltweit im Handball das größte Zugpferd ist. Es gab so viel Medieninteresse, jede Aktion wurde wie beim Fußball komplett auseinandergenommen. Das war für mich schon überraschend und beeindruckend.
Im Kroatien-Spiel war in Wien eine unglaubliche Stimmung in der Halle. Sie hatten bis dato ein makelloses Turnier gespielt, ehe auch Ihnen in der Schlussphase ein, zwei kleine Fehler unterlaufen sind. War angesichts der Bedeutung des Spiels da selbst bei Ihnen ein Punkt gekommen, wo diese beeindruckende Unbekümmertheit ein wenig weg war?
Ich denke, Sie spielen auf den Prellfehler im Angriff an. Domagoj Duvnjak hat in dem Spiel einfach fantastisch auf der Mitte gedeckt. Er hat es geschafft, in unsere Köpfe reinzukommen, speziell auch in meinen. Als Außen sollst du dann den Spielzug einleiten, wie die 100 Male davor, und auf einmal verprellst du dich. Das war zum Beispiel ein Fehler, der niemals passieren darf, aber er ist passiert. Und dass du danach nicht rumläufst als wärst du Ronaldinho, ist auch klar.
Den Namen Timo Kastening kennen seit der EM in Deutschland deutlich mehr Leute. Wie sah es während des Turniers mit Handy-Nachrichten aus - wie viele kamen da so im Schnitt nach einem Spiel?
Das war schon viel. Ich hatte morgens Zeit, ein paar Nachrichten zu beantworten. Tagsüber habe ich es weggelegt, bevor ich abends noch ein paar Antworten geschrieben habe.
Nicht nur sportlich haben Sie den Platz von Patrick Groetzki eingenommen. Sie sind auch Kabinen-DJ der DHB-Auswahl. Also können Sie sicher die Frage beantworten, welcher deutsche Nationalspieler den besten Musikgeschmack hat.
Das ist natürlich der DJ, oder nicht? (lacht) Nein, es gibt einige mit einem guten Musikgeschmack. Black Music, House oder Rock-Musik, am Ende lässt sich eine gute Mitte finden.
Und, um es ein wenig freundlicher zu formulieren: Wessen Musikwünsche werden am seltensten erfüllt?
Wünschen kann sich bei mir jeder Spieler etwas, es muss aber in die Playlist passen. Seitdem ich DJ in der Kabine bin, kann ich es auch verstehen, wenn die DJs in den Clubs meine Musikwünsche nicht spielen. (lacht)
Nach der EM, die mit dem fünften Platz abgeschlossen wurde, gab es einen Paukenschlag beim DHB: Wie bewerten Sie die Entlassung von Christian Prokop und vor allem die Art und Weise des Rauswurfs?
Für mich persönlich ist es schwer, da etwas dazu zu sagen. Ich habe gerne mit Christian zusammengearbeitet. Er hat mich erstmals in die Nationalmannschaft eingeladen. Wenn ein Alfred Gislason auf dem Markt ist, ist es aber normal, dass du als Verantwortlicher über diese Personalie nachdenkst. Gerade wenn du als größter Handballverband der Welt in den letzten vier Jahren keine Medaille geholt hast. Dann ist es auch legitim, etwas kritisch zu hinterfragen. Die Art und Weise, wie es medial aufgebauscht wurde, fand ich aber Christian gegenüber nicht fair.
So mancher wundert sich, dass sich Prokop trotz des Rauswurfs bis heute nicht öffentlich zu Wort gemeldet hat. Hat die Mannschaft dafür eine Erklärung? Gab es eine persönliche Verabschiedung zwischen Prokop und Team?
Bislang noch nicht, es ging aber auch direkt mit der Liga weiter und jetzt haben wir die Corona-Krise. Ich glaube, dass er erstmal ein bisschen Zeit für sich braucht. Ich glaube auch, dass er nicht damit gerechnet hatte, rauszufliegen. Man sollte ihm alle Zeit der Welt geben. Ich bin mir aber auch sicher, dass wir ihn wieder erleben werden.
Der DHB hat sich stattdessen für Alfred Gislason entschieden. Kannten Sie den neuen Bundestrainer vor dem ersten Lehrgang schon persönlich und welchen Eindruck hat Gislason in Aschersleben hinterlassen?
Ich kannte ihn auch nur von der Seitenlinie in Kiel - und sonst vor allem vom Fernseher aus, als ich noch kleiner war. Dementsprechend war es auch cool, ihn jetzt persönlich kennenzulernen. Er macht einen sehr guten Eindruck - autoritär, aber locker. Ich kann mir vorstellen, wenn alle an ihr Limit gehen und durchziehen, ist er der Letzte, der uns einen Vorwurf machen wird, wenn es nicht klappen sollte. Trotzdem merkt man, dass er für Titel und Rekorde steht und das auch ausstrahlt. Diese Titel-Mentalität ist etwas, was wir in der Nationalmannschaft gut gebrauchen können, um auch wieder entscheidende Spiele zu gewinnen. Ich glaube, da gibt es kaum einen besseren als Alfred, der sowas auf eine Mannschaft übertragen kann.
Ein nächstes Etappenziel der deutschen Nationalmannschaft ist die aktuell auf den Juni verschobene Olympia-Qualifikation in Berlin. Wäre eine Austragung ohne Zuschauer ein großer Nachteil?
Ich habe mit meinem slowenischen Teamkollegen Nejc Cehte gesprochen, der sagt: 'Dann hätten wir ja wirklich ein neutrales Spiel.' Die Slowenen würden natürlich sagen, dass es Chancengleichheit ist. Für uns wäre es aber schon fantastisch, wenn da 10.000 Zuschauer in deinem Rücken sind. So wie es aktuell aussieht, wird das in näherer Zukunft aber erstmal nicht klappen.
In der Max-Schmeling-Halle warten Schweden, Slowenien und Algerien. Wie bewerten Sie die drei Gegner?
Algerien kenne ich nicht, da werden wir uns mit Videos vorbereiten. Die Schweden haben eine Mannschaft, in der gefühlt alle Spieler bei einem Bundesliga-Topklub spielen. Und die Slowenen sind auf die Topvereine in Europa aufgeteilt. Das sind Weltklasse-Mannschaften. Schweden hat zuletzt enttäuscht (Platz 7 bei der EM 2020, d.Red.), sie wollen ihr neues Gesicht zeigen. Die Slowenen wollen ihr Niveau halten. An so einem Wochenende ist gefühlt alles möglich - von drei Siegen bis zu drei Niederlagen.
Jannik Kohlbacher, Johannes Golla, Timo Kastening - die Nationalmannschaft wird gerade sukzessive verjüngt. Wie bewerten Sie die Perspektive der DHB-Auswahl?
Also hauptsächlich bin ich gerne erstmal selber dabei. (lacht) Das ist nicht selbstverständlich. Aus unserem Jahrgang ist da mit Simon Ernst, Fabi Wiede, Paul Drux, Tim Suton oder einem Christopher Rudeck im Tor richtig viel Potenzial da. Am Ende ist es allerdings immer noch die Nationalmannschaft, wo Leistung und Qualität zählen müssen. Wenn ich 33 Jahre alt und immer noch gut bin, will ich ja auch noch im DHB-Team spielen.
Zum Abschluss würde mich von Ihnen noch interessieren: Welchen deutschen Nachwuchsspieler hat man gerade vielleicht noch nicht unbedingt auf dem Zettel, der aber Ihrer Meinung nach noch groß rauskommen könnte?
Damit muss man vorsichtig sein. Ich glaube, es gibt so viele Spieler, die gehypet werden, es dann aber nicht schaffen. Genauso gab es schon Spieler, die unter dem Radar fliegen, und auf einmal explodieren. Bei den Recken denke ich da an Veit Mävers auf der Mitte, der wirklich einen super Job macht. In der Bundesliga kann Veit in den nächsten Jahren schon den einen oder anderen überraschen. Da könnte ich mir vorstellen, dass man in Zukunft mehr von ihm lesen wird.
Hier kommen Sie zu Teil eins des Interviews, in dem Kastening über Hannover, Melsungen und seine Mitgliedschaft beim FC Bayern spricht.
Interview: Maximilian Schmidt