vor 19 Stunden
Deutsche Handballer über 70 Minuten knapp unterlegen
Die deutsche Mannschaft hatte am Mittwochabend die Chance, das WM-Halbfinale zu komplettieren. Doch es kam anders. Nach 70 Minuten feiert Portugal den größten Handball-Erfolg der Geschichte. Andreas Wolff wurde mit 21 Paraden "Player of the Match", es gab aber keinen zweiten überragenden deutschen Akteur in diesem Spiel.
"Nie ist Portugal so weit gekommen", hatte die Zeitung "A Bola" nach der erfolgreichen WM-Hauptrunde geschrieben. "Provokation" sei das Mittel, um die Südwest-Europäer aus der Ruhe zu bringen, meinte Ole Rahmel. Die Hoffnung auf das Halbfinale sollte dabei auf deutscher Seite unterstreichen, dass Juri Knorr nach Krankheit wieder im Kader war. Der Spielmacher war jedoch nicht in der Start-Sieben.
Die DHB-Auswahl begann mit Luca Witzke in der Spielsteuerung, machte aber nach ungeduldigem Aufbauspiel gleich dreimal Bekanntschaft mit dem schnellen Spielaufbau der Portugiesen. Hinten war immerhin Andreas Wolff mit fünf Reflexen in Serie präsent und das Tempo im Rückzug war in Ordnung, die Deckung insgesamt stabil. So hieß es nach fünf Minuten nur 1:0 für Portugal.
Sechs Minuten und acht Sekunden dauerte es, bis Renars Uscins beim 2:1 erstmals für Deutschland traf. Danach spielte Portugal erneut den Kreisläufer frei und die DHB-Auswahl verlor wieder schnell den Ball. Es war kein guter Start für die Gislason-Sieben, die den 1:4-Rückstand hinnehmen musste. Vorne fehlte gegen die aggressive Deckung eine Spielidee. Schon gingen erste Blicke zur Anzeige über dem Spielfeld.
Die Angriffsquote der DHB-Auswahl war bisher mit 17 Prozent indiskutabel schlecht. Juri Knorr machte sich warm. Alfred Gislason buzzerte nach dem 1:5 (11.) zur Auszeit, brachte den Löwen und forderte mehr Tempo im Spielaufbau, um die zwei Spezialisten-Wechsel der Portugiesen auszunutzen. Knorr setzte dann beim 3:6 (14.) den ersten Tempo Treffer für Deutschland. Wolff verfehlte danach aus 35 Metern das 4:6.
Der DHB-Torhüter verpasste zwar seinen ersten Torerfolg im Turnier, er hielt sein Team aber mit weiteren Paraden im Spiel und stärkte den Rücken. Uscins fand Knorr beim 5:7 (19.) auf dem anderen Flügel, die erste richtig starke Offensiv-Aktion, in der Mut belohnt wurde. Portugal sah den Vorsprung schwinden und verlangte das Time-out. "Wir sind jetzt im Spiel drin", feuerte Alfred Gislason seine Schützlinge an.
In Überzahl, Michalczik saß draußen, riss Portugal das Spiel nach Ungenauigkeiten wieder an sich. Zerbe hatte mit dem ersten Konter noch den 6:7-Anschlusstreffer geschafft. In Unterzahl kam Grgic und traf, dann fehlte aber zweimal die Zeit, um Wolff ins Tor zurück zu holen. Luis Frade erhöhte aus der Distanz auf 10:7 (23.). Er hielt den stark aufspielenden WM-Viertelfinal-Debütanten in diesem Moment vorne.
Die erste Spielhälfte blieb eine schwarze für die DHB-Auswahl. Davon zeugte auch eine Situation drei Minuten vor der Sirene, als Michalczik mit dem Ball aufs leere portugiesische Tor trabte, ohne dies zu nutzen. Die Portugiesen erfreuten derweil ihre Fans mit einem grandiosen Zusammenspiel - Köster und Golla fanden im Mittelblock kaum Mittel. Zerbe machte immerhin die Siebenmeter, beim 11:9 sein dritter.
Nach dem 13:9-Halbzeitstand hatte das deutsche Team in der Kabine neben der mangelnden Effizienz in Abwehr und Angriff auch mehrere strittige Stürmerfoul-Entscheidungen zu seinen Ungunsten zu diskutieren. Der Angriff funktionierte nach dem Seitenwechsel besser, und einer der wenigen technischen Fehler der Portugiesen und die folgende rote Karte gegen Frade waren Schläge ins Kontor des Gegners.
Frade hatte Uscins am Kopf erwischt. Portugal wechselte, bot neben Kiko Costa auch wieder Bruder Martim Costa auf. Eine weitere fragwürdige Stürmerfoul-Entscheidung folgte, diesmal gegen Zerbe, der sich bei dem Foul verletzte. Bei Gollas 16:14-Konter (38.) arbeitete die DHB-Auswahl weiter daran, das Momentum auf ihre Seite zu ziehen. Alvarez antwortete vom Kreis, sicherte die Führung ab.
Köster bediente dann Golla in Unterzahl zum 16:17-Anschlusstreffer (41.), Zerbe kehrte zurück und biss ebenfalls auf die Zähne. "Die wissen nicht, was sie spielen sollen", fand Gislason in der folgenden Auszeit, die Portugal beantragt hatte. Bei der DHB-Auswahl kam hingegen jetzt die Achse Knorr-Golla vollends zur Entfaltung. Zerbe nutzte den nächsten Siebenmeter zum 18:18-Ausgleich. Die Spannung war zum Greifen.
Die portugiesische Bank handelte sich in der Folge eine Zeitstrafe ein. Da kurz zuvor Silva Wolff am Kopf getroffen und hinausgestellt worden war, brachte dies die Westeuropäer für fast vier Minuten in doppelte Unterzahl. Da Wolff weiterhin stark parierte, war der folgende Zerbe-Doppelschlag zum 20:18-Führungswechsel gut. Frühzeitig zog Paulo Pereira die dritte Auszeit für Portugal.
Knorr hatte zuvor mehrere Glanz-Würfe gezeigt und legte beim 21:19 (49.) eine weitere nach. Hinten zeigte Wolff Glanz-Paraden, seine 14. und 15. folgten alsbald. Doch seine Vorderleute nahmen diese Impulse in dieser Phase nicht auf, unvorbereitete Würfe vereitelten, dass der Vorsprung wuchs. Stattdessen erzielte Pedro Portela den 22:22-Ausgleich - und Deutschland war in doppelter Unterzahl.
Gislason unterbrach das Spiel, um Vorgaben zu machen. Knorr verwandelte beim 23:22 rotzfrech einen Freiwurf. Portugal antwortete sofort. Knorr verpasste dann 320 Sekunden vor Schluss das 24:23, doch hinten war Wolff wieder zur Stelle und dann verschaffte sich Köster Lufthoheit für die nächste Führung. Die Treffer fielen in schneller Folge. Der nächste Fehler konnte die Entscheidung bringen.
Wolff war weiterhin unzufrieden mit seinen Vorderleuten, die sich häufig Siebenmeter einhandelten. Die Partie wandelte weiter um das Remis. Köster erhielt dann 52 Sekunden vor Schluss gegen Kiko Costa eine Zeitstrafe. 22 Sekunden verblieben, nachdem Portugal über den rechten Flügel mit Portela zum 26:26 abgeräumt hatte. Eine Wurfchance gab es nicht mehr. Der Sieger wurde in der Verlängerung gesucht.
Die Viertelfinal-Siege der Kroaten und der Franzosen wurden am Dienstag ganz am Ende der regulären Spielzeit besiegelt. Andreas Wolff hatte die DHB-Auswahl mit seinen 18 Paraden in die Lage versetzt, das Halbfinale nach 70 Spielminuten zu erreichen. Allerdings brachte Martim Costa mit einem Doppelschlag zunächst Portugal mit 29:27 in Vorlage. Zur Halbzeit der Verlängerung hieß es 29:28 für Portugal.
Zerbe egalisierte beim 29:29 von der Markierung. Die Abwehrspieler bewegten sich nun besser, Wolff verzeichnete seine 21. Parade und Uscins sammelte den Abpraller auf. Im Angriff musste wieder mehr Geduld her, doch Uscins warf in den Block. Kreisläufer Iturriza Alvarez besorgte das 30:29, Mertens glich wieder aus. Die Zeit spielte jetzt für Portugal und tatsächlich warf Martim Costa zum 31:30-Sieg.
Portugal: Marques (7 Paraden), Capdeville (5 Paraden); Portela (4/2), Iturriza Alvarez (7), Silva (1), Fernandes (1), Branquinho, Areia (2/2), F. Costa (8/1), Salvador (2), Gomes, M. Costa (4), Oliveira, Frade (2), Brandao, Magalhaes
Deutschland: Späth, Wolff (21/2 Paraden); Lichtlein, Golla (5), Witzke, Knorr (7), Zerbe (9/7), Köster (3), Michalzik, Uscins (4), Dahmke, Mertens (1), Steinert, Fischer, Grgic (1), Kastening
Zuschauer: 7.475 (Unity Arena, Oslo)
Schiedsrichter: Lars Jörum (NOR) / Havard Kleven (NOR)
Strafminuten: 8 / 10
Disqualifikation: Frade (Portugal, 35.)
fcb