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06.02.2019 15:15 Uhr - 1. Bundesliga - Julia Nikoleit - handball-world

Über die Hemmschwelle Kabinentür, Kommunikation und Zeitstrafen: Bastian Roscheck und Stefan Schneider im Doppelinterview

Stefan Schneider und Bastian Roscheck nach dem Interview in LeipzigStefan Schneider und Bastian Roscheck nach dem Interview in Leipzig
Quelle: jun
Gut drei Wochen, nachdem sich Bastian Roscheck und Stefan Schneider auf dem Spielfeld begegneten, sehen sich die beiden abseits des Parketts wieder. Im Cafe Grundmann in Leipzig treffen sich der Bundesligaspieler des SC DHfK Leipzig und der Bundesligaschiedsrichter aus dem Elitekader des Deutschen Handballbundes Ende November zu einem Doppelinterview. Es entsteht schnell ein lebhaftes Gespräch - über Zeitstrafen und Kommunikation, über Kritik in den Sozialen Netzwerken, die Kabinentür als Hemmschwelle und den Wunsch des DHB, Ex-Spieler als Schiedsrichter zu gewinnen. "Für mich ist es keine Option", schließt Roscheck den zweiten Karriereweg aus. Neben Unterschieden entdecken sie jedoch auch Gemeinsamkeiten, denn für beide gilt: "Der Handball gibt den Rhythmus vor"

Der Deutsche Handballbund hat in den vergangenen Monaten kundgetan, ehemalige Spieler als Schiedsrichter gewinnen zu wollen. Was haltet ihr - als aktiver Spieler sowie aktiver Spitzenschiedsrichter - von dieser Idee?

Stefan Schneider:
Ich halte ich das Thema aufgrund des Schiedsrichtermangels, den es nun einmal in allen Ligen gibt, für interessant. Vielleicht bietet es tatsächlich für den ein oder anderen Spieler eine Perspektive nach dem Sport. Aus Sicht von uns Schiedsrichtern - ich habe mich natürlich auch bei den Kollegen umgehört - kann es für die Wahrnehmung nur gut sein, wenn ein Ex-Profi pfeifen will, gerade, wenn er durch sein Auftreten als Spieler einen positiven Eindruck in der Handballwelt hinterlassen hat.

Grundsätzlich glaube ich zudem, dass man von der andere Seite einfach mehr wissen muss - wir haben im Vorgespräch ja schnell gemerkt, dass manche Dinge einfach gar nicht bekannt sind. Wenn man sich mit Spielern abseits des Spielfeldes austauscht, begegnet man sich einfach anders.

Bastian Roscheck:
Ich sehe das ähnlich. Mann hat im Umfeld eines Spieles mit ganz vielen Leuten Kontakt, aber die Schiedsrichter sind dafür zu stark abgeschirmt - gerade nach einem Spiel. Daher gibt es die Möglichkeit, differenziert über bestimmte Situationen zu sprechen, leider nicht - was gerade interessant wäre, wenn die Emotionen zuvor hochgekocht sind. Daher war dies ein Interviewtermin, den ich gerne mache.

Würdest du dir mehr Kontakt wünschen?

Bastian Roscheck:
Manchmal wäre das in der Tat gar nicht so schlecht. Die Trainer geben noch ihre Schiedsrichterbewertungen nach dem Spiel ab, aber manchmal gehst du auch als Spieler mit Gesprächsbedarf aus einem Spiel. Wenn die Kommunikation mit dem Schiedsrichter in zwei, drei Situationen nicht so gut war oder der Spieler auch mal eine Entscheidung einfach nicht verstanden hat, wäre es bestimmt gut, wenn man sich zwei Tage später zufällig beim Bäcker begegnen und in Ruhe sprechen könnte (lacht). Manchmal würde ein kurzes Gespräch helfen, um Missverständnisse und Unzufriedenheit aus der Welt zu räumen.

Stefan Schneider:
Da gibt es eine ganz einfache Lösung: Klopf nach dem Spiel an die Schiedsrichterkabine! Oder frag nach dem Spiel auf dem Feld kurz, ob du später noch einmal vorbeikommen kannst. Viele Trainer machen das auch bereits. Dabei ist entscheidend, wie man miteinander umgeht - der Ton macht die Musik.

Ich kann für mich und meine Kollegen nur sagen: Wir sind alle bereit, zu sprechen. Wenn es direkt nach einem sehr emotionalen Spiel nicht geht, vereinbart man ein Telefonat einige Tage später, das über den Schiedsrichterwart hergestellt wird. Das Klopfen nach dem Spielende ist jedoch der kürzeste Weg.

Bastian Roscheck:
Ich habe ja auch schon einmal bei deinen Kollegen angeklopft, Mir war im Spiel etwas passiert, was nicht passieren darf und deshalb bin ich danach hin und habe gesagt: "Sorry, Jungs." Eure Kabinentür ist jedoch trotzdem eine Hemmschwelle.

Stefan Schneider:
Anklopfen könnt ihr Spieler auf jeden Fall! Es gibt Spieler, die nach jedem Spiel - egal, ob sie gewonnen oder verloren haben - in der Schiedsrichterkabine vorbeikommen. Dann gibt es kurz den üblichen Handschlag.

Keiner von uns kann ein Spiel perfekt machen


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Im Vorgespräch habt ihr euch bereits über die Schiedsrichter im Fußball unterhalten, die sich ja noch einmal in anderen Sphären bewegen als die DHB-Schiedsrichter. Welche Bedeutung hat die Kommunikation, die im Handball ja noch möglich ist?

Stefan Schneider:
Mit dem Thema wachsen wir Schiedsrichter auf. Je höher man kommt, umso wichtiger ist die Kommunikation. Manchmal ist eine Entscheidung nicht die richtige, aber die Art und Weise, wie du sie kommunizierst, ist entscheidend. Ein Spieler, der Schiedsrichter werden will, müsste diese Kommunikation mit den Beteiligten neu lernen, denn er wechselt ja - das muss man klar sagen - die Seite.

Was macht die Kommunikation so speziell?

Stefan Schneider:
Wir versuchen viele Dinge - gerade am Anfang eines Spiels - durch Gestik und Mimik zu lösen; auch Anbrüllen ist als eine härtere Gangart unter Männern durchaus möglich. Dadurch kannst du als Schiedsrichter viel gewinnen - ohne gleich eine Zeitstrafe zu zeigen. Wenn ich einem Abwehrspieler wie Bastian sage: "Lass die Hand vom Trikot" - und er zieht nächsten Angriff wieder dran, geht er halt raus (Bastian nickt) und ich kann sagen: "Ich habe es dir eben gesagt." So hat er auch keine Chance, die Zeitstrafe als falsch darzustellen, denn er hat die Ermahnung ja explizit bekommen.

Bastian Roscheck:
Genau! Ich fühle mich durch einen Schiedsrichter, der mit mir spricht, viel abgeholter als bei einem, der einfach nur Entscheidungen trifft. Das Handballspiel ist so schnell, da macht jeder Fehler. Ich mache Fehler, die Gegenspieler machen Fehler, die Schiedsrichter machen Fehler. Keiner von uns kann ein Spiel perfekt machen, das geht einfach nicht; daher macht die Kommunikation alles aus.

Ich denke, wir Spieler neigen dazu, in der Emotion des Spiels vieles in Situationen hineinzuinterpretieren. Als Schiedsrichter kannst du aber nicht immer jedem gerecht werden. Du wirst wahrscheinlich nie aus dem Spiel rausgehen und sagen: "Jeder hat sich von mir gut verstanden gefühlt", oder? (Stefan schüttelt den Kopf)

Eben, das funktioniert einfach nicht, dafür ist Handball einfach zu emotional. Ich denke, der Schiedsrichter muss ganz genau abwägen, wann man sich mit einem Spieler unterhält und wann man einfach mal lauter werden musst. Das müsste man als Spieler, der in den Schiedsrichterberuf wechselt, tatsächlich erst einmal lernen, das wäre extrem. Das ist doch bestimmt, ein Gefühl, was ihr über die Jahre entwickelt habt, oder? Ihr habt unten angefangen und seid mit den Aufgaben gewachsen - und das würden die Ex-Spieler ja nicht, oder?

Nein, Ex-Spieler sollen als Quereinsteiger wohl direkt auf DHB-Ebene einsteigen ...

Bastian Roscheck:
Dann muss man natürlich extrem gucken, wie es mit dem Management eines Spieles funktioniert. Natürlich haben die Spieler in der 1. oder 2. Bundesliga gespielt, wodurch ihnen wahrscheinlich viele aktive Spieler zunächst automatisch mit Respekt begegnen, aber das heißt ja nicht, dass man ein Spiel in der Hektik gut leiten kann ...

Hättest du automatisch Respekt, wenn ein ehemaliger Spieler als Schiedsrichter angesetzt ist?

Bastian Roscheck:
Es kommt darauf an, wer kommt (beide lachen). Ich glaube, es wäre ein Vorteil, dass du einige Spieler aus deiner aktiven Karriere kennst und weißt, wen man wie packen muss. Das muss man als Schiedsrichter, der neu in eine Liga kommt, ja erst einmal lernen. Dennoch müssen die Ex-Spieler natürlich das Schiedsrichter-Handwerk beherrschen. Sonst mag es vielleicht eine Zeit lang gut gehen, aber spätestens, wenn die Emotionen hochkochen, ist es egal, ob man sich früher gut verstanden hat oder nicht ...

Welchen Vorteil hätte ein Ex-Spieler, der Schiedsrichter werden will, aus eurer Sicht sonst noch?

Stefan Schneider:
Ich glaube, dass der größte Vorteil das Spielverständnis ist. Dass muss ein Schiedsrichter, der ja im Regelfall selbst nicht hoch gespielt hat, erst einmal lernen. Es ist allerdings auch logisch, dass die meisten Schiedsrichter nie höherklassig gespielt haben kann, denn sie mussten sich irgendwann zwischen Spielen und Pfeifen entscheiden - mal ganz davon abgesehen, dass ich die Leistung gar nicht hätte bringen können (schmunzelt). Lars Geipel hat, meine ich, Regionalliga gespielt und dann eben aufgehört, weil er pfeifen wollte. Die wenigsten Schiedsrichter im Spitzenbereich haben so hoch gespielt. Ein ehemaliger Spieler hat daher eine ganz andere taktische Ausbildung und kann ein Spiel ganz anders lesen.

Bastian Roscheck:
Ja, nimm alleine das Zeitspiel! Viele langjährige Spielmacher wissen genau, wie sie ein Zeitspiel ausreizen können - ohne, dass ein Pfiff kommt. Natürlich werdet ihr Schiedsrichter geschult, aber wenn du es fühlst, ist es etwas anderes. Auch das Erfassen von Situationen ist ein wichtiger Punkt. Ein Spieler erkennt vielleicht aus dem Gefühl, welche Situation ein Siebenmeter und welche ein Freiwurf ist. Dass dann jedoch mit dem richtigen Pfiff und dem richtigen Stellungsspiel zu verknüpfen, lernt keiner innerhalb von ein paar Tagen.

Stefan Schneider:
Jedem neuen Schiedsrichter - egal, auf welchem Niveau - fehlen die Routinen, die bei uns über die Jahre eingefahren sind. Wenn ein Tor fällt, reagiert mein Körper automatisch - die Hand geht hoch, ich pfeife zweimal. Wer neu dazukommt, muss das alles einzeln abrufen.

Alles unter einen Hut zu bringen, verdient Respekt


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Kai Wandschneider hatte unlängst im Interview gelobt, dass es im Schiedsrichterwesen keine Cliquenbildung gibt - eben, weil es keine ehemaligen Spieler gibt. Geriete das aus eurer Sicht in Gefahr?

Stefan Schneider:
Wir sprechen ja nicht über 20 Personen, sondern über Einzelfälle. Daher ist die Gefahr aus meiner Sicht nicht gegeben. Der Ex-Spieler, der sich für die Pfeife entscheidet, kann auch nur erfolgreich sein, wenn er sich von dem Gedanken, Spieler zu sein, löst! Sobald der Verdacht aufkommt, dass er seinen ehemaligen Mitspielern einen Vorteil gibt, wird seine Schiedsrichterkarriere schneller vorbei sein, als sie angefangen hat.

Bastian, wäre das Pfeifen nach der Karriere eine Möglichkeit für dich?

Bastian Roscheck:
Für mich ist es keine Option, weil ich - wenn ich mit meiner Profikarriere durch bin - einfach froh bin, nicht mehr ständig durch Deutschland zu touren ...

Stefan Schneider:
... zumal du als Schiedsrichter nicht einmal mehr Heimspiele hättest (lacht).

Bastian Roscheck:
Das stimmt, du musst jede Woche fahren! Das schreckt mich wirklich total ab. Du hast also nicht nur eine Doppelbelastung aus dem 40-Stunden-Job plus dem Pfeifen, sondern musst auch noch fahren und hat, wenn es gut läuft, auch noch Familie. Das alles unter einen Hut zu bringen, verdient Respekt. Wie viele Jahre machst du es schon?

Stefan Schneider:
Schiedsrichter bin ich seit 1993, Bundesliga pfeife ich seit der Saison 2000/2001 - und ich könnte theoretisch noch bis 2026.

Bastian Roscheck:
Du hast also schon mehr als eine komplette Spielerkarriere mit Reisen verbracht und weißt ganz genau, wie es ist - und du hast auch noch einen riesigen Druck! Wenn meine Karriere beendet ist, werde ich es genießen, dass ich nicht mehr jedes Wochenende liefern muss.

Es ist jetzt schon so: Wenn ich weiß, dass wir eine Woche ohne Spiel haben, bin ich viel gelöster. Das kennst du sicherlich auch, oder? Wenn du pfeifen musst, musst du ja auch präsent sein und darfst nicht so viele Fehler machen. So ist es bei uns auch. Daher steht es für mich nicht zur Debatte, mir das nach meiner Karriere noch einmal zehn, fünfzehn Jahren anzutun.

Bastian hat die Dreifachbelastung aus Job, Pfeifen und Familie schon angerissen. Stefan, kannst du darauf eingehen, wie das machbar ist?

Stefan Schneider:
Im Gegensatz zu einem möglichen Ex-Spieler, der quer einsteigt, bin ich mit dieser Belastung gewachsen. Mit meinem Schiedsrichterpartner pfeife ich seit 1995 zusammen. Wir haben damals auch unsere berufliche Wahl so getroffen, dass der Job mit dem Pfeifen zu verbinden ist. Wir hätten beide in den letzten Jahren beruflich die Chance gehabt, mehr Geld zu verdienen oder uns noch einmal weiterzubilden, aber das haben wir hinten angestellt, weil wir weiter Schiedsrichter in der Bundesliga sein wollten.

Familiär ist die Belastung ebenfalls mit gewachsen. Meine Frau habe ich kennen gelernt, als wir schon Regionalliga gepfiffen haben und es war nie ein Thema, eine Entscheidung zwischen Pfeifen und Familie treffen zu müssen. Meine Frau und mein Kind unterstützen mich; es wird alles soweit möglich um die Schiedsrichtertermine herum organisiert.

Bastian Roscheck:
Das ist wie bei uns! Der Handball gibt den Rhythmus vor.

Stefan Schneider:
Einen großen Unterschied gibt es jedoch: Bei dir ist der Handball der Beruf, bei uns nicht.

Bastian Roscheck:
Das stimmt. Bei dir ist es ein Hobby, das über dem Beruf ist.

Stefan Schneider:
Es ist wirklich wie ein zweiter Job. Um Bundesliga pfeifen zu können, braucht jeder von uns verständnisvolle Arbeitgeber. Bei mir geht das relativ gut - ich muss meine Aufgaben einfach zu einer anderen Zeit erledigen. Bei meinem Gespannpartner ist das anders - wenn er nicht zur Baustelle fahren kann, muss jemand anderes fahren. Da muss das Verständnis und die Unterstützung der Kollegen vorhanden sein!

Bastian Roscheck:
Schreckt diese Belastung viele junge Schiedsrichter ab, den Weg nach oben zu gehen? Oder sind gar nicht so viele da, die von der Leistung aufsteigen könnten?

Stefan Schneider:
Rein von den Zahlen wären wahrscheinlich genug junge Schiedsrichter da, die den Weg gerne machen würden, doch ob die Qualität am Ende reicht, ist etwas anders. Außerdem sind die Zeiten einfach andere als bei uns damals. Ende der Neunziger gab es viele Fächer, die man heute studieren kann, gar nicht; auch Auslandssemester und diese ganzen Dinge waren so verbreitet. Ich glaube, dass daher heute die Einstellung zum Pfeifen anders ist, weil die Möglichkeiten abseits davon andere sind.

Wir freuen uns, wenn wir mit dem Spielausgang nichts zu tun hatten


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Wenn du die Qualität der jungen Schiedsrichter ansprichst: Was macht für euch einen guten Schiedsrichter aus? Vielleicht mag Bastian zuerst antworten ...

Bastian Roscheck:
Oftmals waren die Schiedsrichter am besten, wenn nach dem Spiel nicht viel über sie geredet wird (schmunzelt). Für mich ist die Kommunikation wichtig; das Thema hatten wir ja bereits. Fehler passieren jedem, aber mir ist es lieber, dass dann ein kurzer Dialog stattfindet als wenn einfach weiter eine Anweisung nach der anderen kommt. Dann fühlt man sich oft überhaupt nicht wahrgenommen. Übrigens: Ich bin sicher, dass wir in Deutschland von der Ausbildung her die besten Schiedsrichter haben. Das steht für mich außer Frage.

Stefan Schneider:
Es ist eigentlich tatsächlich am besten, wenn keiner über uns spricht (lacht). Natürlich freuen wir uns sehr, wenn in einem Spielbericht mal ein Lob vermerkt wird, aber wir freuen uns auch schon, wenn wir nicht erwähnt werden. Und wir freuen uns, wenn wir mit dem Spielausgang nichts zu tun hatten. Es gibt Spiele, in denen man 59 Minuten alles klasse macht - und am Ende interessiert das keinen, denn in der letzten Sekunde kommt dieser eine ominöse Pfiff und man steht plötzlich im Mittelpunkt. Du hast alles richtig gemacht, wenn hinterher jemand fragt: "Wer hat eigentlich gepfiffen?" (lacht).

Lob gibt es selten, Beleidigungen sind für euch allerdings eher an der Tagesordnung - gerade in den Sozialen Netzwerken. Wie geht man damit um?

Stefan Schneider:
Nicht immer alles lesen (schmunzelt). Ein Beispiel? Vor ein paar Jahren haben wir Flensburg gegen Göppingen gepfiffen, es war der 2. Spieltag. Das Spiel ging total in die Hose, Göppingen führte deutlich und verlor am Ende mit einem Tor. Ich habe die Kommentare zu dem Spiel in den Foren erst am Ende der Saison gelesen (lacht). Das Telefon war danach eine Woche auf lautlos und man hat in jedem Einzelfall entschieden, wen man zurückruft. Es ist oft so: Gibt es einen Aufreger, will jeder aus dem eigenen Dunstkreis etwas dazu loswerden. Das ging dir wahrscheinlich nach der letzten Europameisterschaft ähnlich, oder?

Bastian Roscheck:
Man kann sich davor nicht schützen. Die Leute wollen ihren Frust loswerden. Das geschieht nun einmal oft über die Sozialen Netzwerke, aber einiges davon finde ich ziemlich traurig für die jeweiligen Schreiber. Ein gutes Privatleben hilft in solchen Situationen, das ist das Wichtigste. Wenn der Tag nach dem Spiel frei ist, lege ich das Handy auch mal einen Tag beiseite. Die wichtigen Leute werden schon nochmal anrufen (lacht).

Stefan Schneider:
Genau - erst einmal abschotten und ein gutes privates Umfeld, das dich ablenkt. Das machen wir genauso.

Bastian Roscheck:
Oftmals weiß man es ja auch besser - und genau so muss man mit dem, was dort steht, umgehen. Man kann sich den Leute, die dort irgendetwas posten, ein Stückweit überlegen fühlen. Das geht einem Schiedsrichter wahrscheinlich oft nicht anders - er ist der einzige, der weiß, ob die Entscheidung nicht nur richtig war, sondern ob er sie auch richtig kommuniziert hat. Oft glaube ich auch, dass einigen einfach nur langweilig ist ...

Stefan, wir haben bereits über viele Themen gesprochen. Hast du noch eine Frage an Bastian, die du einem Spieler immer schon einmal stellen wolltest?

Stefan Schneider:
(überlegt kurz) Wie bereiten sich Mannschaften und Spieler auf uns vor? Es gibt immer wieder Trainer, die vor dem Spiel zu uns kommen und sagen: "Ach, ihr pfeift wieder?". Aber ein Trainer kann doch nicht wirklich glauben, dass ich denke, er hat sich nicht vorbereitet, oder? Denn auch Schiedsrichter pfeifen ja unterschiedlich und sind unterschiedlich veranlagt - bei dem einen Gespann darf ich mehr, bei dem anderen weniger ...

Bastian Roscheck:
Eigentlich läuft es genauso ab, wie du sagst - wir gucken einfach, wer pfeift. Wenn man ein paar Jahre dabei ist, weiß man, wer da kommt. Man weiß also beispielsweise: Mit den Jungs brauche ich nicht reden, sie ziehen ihr Ding durch. Das ist wie mit Gegenspielern, du musst dich einfach darauf einstellen.

Es wird auch nicht groß darüber gemeckert, sondern es geht in erster Linie darum, was erlaubt ist und was nicht. Jeder Schiedsrichter setzt seinen Schwerpunkt ja anders. Oder ändert ihr das von Spiel zu Spiel? Ich hatte mal ein Spiel, in dem ich für ein eigentlich normales Trikotziehen rausgeflogen bin. Dein Kollege hatte mich vorher auch ermahnt, es war also alles okay, aber wir hatten einfach das Gefühl, dass heute jeder fliegt, der das Trikot auch nur anfasst ...

Stefan Schneider:
Es gibt sicherlich Schwerpunkte, die vor der Saison gesetzt werden - wie aktuell das Berühren von Außenspielern. Was ebenfalls seit Jahren ein Thema ist - und auch die nächsten Jahre noch bleiben wird - ist das Kreisläuferspiel; da bist du ja auch mittendrin. Das ist für uns unglaublich schwer, denn du musst den Spieler erwischen, der anfängt und nicht den, der zum Schluss dranhängt.

Wenn man allerdings Schwächen in vergangenen Spielen hatte, die in der Analyse aufgefallen sind, achtet man verstärkt darauf und sagt sich: Wir müssen das Trikotziehen besser im Griff haben oder beim Passiv waren wir die letzten Spiele etwas spät dran, heute müssen wir das eher zeigen. Ob man diese Vorhaben dann aufgrund der Automatismen und der eigenen Spielphilosophie allerdings tatsächlich umsetzen kann, ist eine andere Frage...

Die Prämisse ist jedoch immer: Beide Seiten müssen gleich behandelt werden. Eine Spielweise ist nicht der Maßstab für die Spielweise der anderen Mannschaft - denn nur, weil das eine Team eine schnelle Mitte spielt, muss es das andere Team ja nicht auch machen. Wenn du in deinem Beispiel also für das Trikotziehen rausgegangen bist, hätte das auch auf der anderen Seite geahndet werden müssen?

Bastian Roscheck:
Ja, so war das definitiv auch.

Stefan Schneider:
Wir erwarten natürlich auch ein Stückweit von guten Spielern und guten Trainern, dass sie das erkennen und sich darauf einstellen. Dann musst du in so einem Spiel eben wissen: Da lasse ich jetzt mal die Hände vom Trikot ...

Bastian Roscheck:
Ich habe es zu spät gemerkt (lacht).

Stefan Schneider:
Eine Zeitstrafe ist ja auch noch in Ordnung ...

Bastian Roscheck:
Danach habe ich mir auch gesagt: "Okay, wenn ihr das so haben wollt, richte ich mich danach." Alles andere wäre ja auch dumm ...

Stefan Schneider:
Spieler reizen das ja auch aus - sie testen, was okay ist. Und wenn sie am Trikot ziehen und nichts passiert, machen sie weiter. Das ist ja logisch.

Bastian Roscheck:
Habt ihr individuelle Schwerpunkte, was bestimmte Spieler angeht?

Stefan Schneider:
Na ja, wir laufen ja nicht blind durch die Gegend. Es gibt Spieler, die immer wieder auffallend werden, daher gehen wir natürlich nicht unvorbereitet in die Partie. Denn auch die Gegenspieler gehen ja noch unvorbereitet in das Duell - und was passiert dann?

Bastian Roscheck:
Sie provozieren den Gegenspieler!

Stefan Schneider:
Genau - und sie erwarten, dass du bei einem Spieler, der immer hart spielt, schneller durchgreifst als bei einem, der in der Regel nicht auffällig ist. Ich sage in solchen Situationen immer: Auch ein sonst auffälliger Spieler muss das Foul erst einmal machen. Überspitzt gesagt: Nur, weil er in den letzten fünf Spielen fünf rote Karten bekommen hat, kann ich ihm ja nicht im sechsten Spiel präventiv eine zeigen, bevor überhaupt etwas passiert.

Man muss als Schiedsrichter immer unvoreingenommen reingehen - und wir reagieren letztendlich nur. Wir können nur kommunikativ agieren und eine Situation durch den Dialog unter Kontrolle zu bekommen. Wenn die Spieler das Foul dann aber doch machen, reagieren wir - und sie müssen sie mit den Konsequenzen leben.

Ohne Schiedsrichter wird nicht angepfiffen




Der Beruf Handballprofi auf der einen Seite, das Hobby Bundesligaschiedsrichter auf der anderen: Bastian, ist es für dich ein Problem, dass die Schiedsrichter - in Anführungszeichen - nur Amateure sind?

Bastian Roscheck:
Überhaupt nicht. Man geht respektvoll miteinander um, das ist kein Thema. Wir Spieler werden von Anfang an so erzogen, dass es für uns vollkommen normal ist. Für mich gehört der Schiedsrichter genauso zum Spiel wie die beiden Mannschaften oder der Ball - ohne Schiedsrichter wird nicht angepfiffen. Wenn ich als Spieler hingegen zu spät komme, fängt das Spiel trotzdem an (schmunzelt). Es würde es jedoch wahrscheinlich für die Schiedsrichter einfacher machen, wenn die Bedingungen besser wären.

Zum Beispiel?

Bastian Roscheck:
Mir fiele spontan eine Kürzung der Arbeitszeit ein. Ein 40-Stunden-Job plus Pfeifen ist ja eine extreme Belastung. Wenn der Verband die Differenz auffangen könnte, dass ein Schiedsrichter nur 30 Stunden arbeiten muss, wäre es wahrscheinlich angenehmer für euch - und wenn ihr morgens vor dem Spiel nicht mehr arbeiten müsstet, wäret ihr auch frischer, oder? Wenn man in der 1. Bundesliga von Optimierung spricht, wäre das aus meiner Sicht ein möglicher Ansatzpunkt.

Stefan Schneider:
Dass man morgens arbeitet und abends pfeift, ist eine Ausnahmesituation; das hängt stark mit der Liga zusammen, in der du pfeifst. Das Problem ist jedoch nicht allein die Anreise - auch die Rückfahrt kostet Kraft. Wenn du beispielsweise um drei Uhr nachts aus Stuttgart zurückkommst und morgens um halb sieben auf der Arbeit sein muss, schlaucht das. Wir müssen - auch unter dem Gesundheits- und Sicherheitsaspekt - schauen, was den Schiedsrichtern zuzumuten ist.

Bastian Roscheck:
Ja, das wäre unbedingt ein Punkt, über den man sprechen muss! Da ist der Handball wie so oft hinter dem Fußball ganz weit zurück und das wird sich wahrscheinlich nicht ändern.

Was wäre euer Wunsch für den Umgang miteinander?

Stefan Schneider:
Ich würde mir direkt von Bastian wünschen, dass er die Informationen aus diesem Gespräch, die er vorher nicht hatte, mitnimmt und in seinem Netzwerk streut. Im Umgang miteinander sind wir schon weit, aber am Ende reden wir über Sport und Ergebnisse. Auf der einen Seite stehen die Mannschaften, auf der anderen die Schiedsrichter und das dort nicht immer Einigkeit herrscht, ist klar. Man muss sich jedoch, wenn man sich das nächste Mal sieht, vernünftig begegnen können. Dafür ist es wichtig, die Dinge nicht miteinander rumzuschleppen, sondern sich zusammenzuraufen und die Dinge im Gespräch aus der Welt zu schaffen.

Bastian Roscheck:
Das ist aus meiner Sicht auch eine Pflicht von den Spielern. Der Schiedsrichter muss dem Spieler nicht hinterherrennen, wenn der Spieler Scheiße gebaut hat. Für mich ist es auf jeden Fall eine gute Erkenntnis, dass die Türen offen sind. Man weiß das als Spieler zwar, aber diese Möglichkeit zu nutzen, passiert in den seltensten Fällen.

Du hast eben das Wort Hemmschwelle verwendet ?

Bastian Roscheck:
Genau. Auch, wenn das Verhältnis im Handball zwischen Spielern und Schiedsrichtern grundsätzlich wirklich gut ist, ist diese Hemmschwelle aus meiner Sicht immer da. Diese Gesprächsmöglichkeit wahrzunehmen, wäre jedoch sinnvoll - und hilft vielleicht beiden Parteien in der Entwicklung. Für euch ist es ja auch wahrscheinlich einfacher, wenn ihr von den Spielern nach dem Abpfiff kurz gespiegelt bekommt, wie eine kritische Situation aus Spielersicht war, oder?

Stefan Schneider:
Klar, warum nicht? Du bist dir als Schiedsrichter ja auch nicht bei jeder Situation zu hundert Prozent sicher ?

Bastian Roscheck:
Wie denn auch? Ihr seid keine Roboter!

Stefan Schneider:
Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, im Spiel nachzufragen. Wenn man beim Werfer im nächsten Angriff mal fragt, ob der Kontakt vorher ein Foul war, kommt oft aufgrund der Nachfrage schon Verständnis: "Ja, hätte man pfeifen können, aber es ist okay." Allein die Nachfrage suggeriert, dass man als Schiedsrichter nicht den Anspruch erhebt, alles zu wissen. Der Austausch hilft beiden Seiten, er beruhigt das Gewissen.

Letztendlich ist es kein Bazar




Und er führt eventuell dazu, dass eine Entscheidung zurückgenommen wird - so, wie es beispielsweise das Gespann Thiyagarajah/Thiyagarajah in der Hinrunde mit einer Hinausstellung gemacht hat?

Stefan Schneider:
Genau, Alexander Petersson hatte damals gesagt, dass es keine Zeitstrafe für Minden war; auch Finn Lemke in Berlin hat schonmal den Arm gehoben und gesagt: Ich war dran, das gibt Einwurf statt Abwurf. Das ist gerade bei Abwehrspielern hilfreich, denn wenn ein Ball an den Fingerkuppen abrutscht, hört oder sieht man das nicht immer. Wir haben natürlich ein paar Mechanismen, worauf wir achten müssen, aber man ist sich nicht immer sicher. Ob Lemke den Arm auch in der letzten Spielminute bei Unentschieden gehoben hätte, weiß ich natürlich nicht (lacht). Letztendlich ist es aber auch kein Bazar - am Ende muss der Schiedsrichter die Entscheidung treffen und auch dabei bleiben.

Bastian Roscheck:
Es geht dabei auch um Hierarchie - ihr trefft die Entscheidung und wir überlegen nicht gemeinsam, wie wir durch das Spiel kommen.

Stefan Schneider:
Es gibt noch ein weiteres klassisches Beispiel: Ein Ball wird geblockt, der Torwart sprintet hin und du stehst als Torschiedsrichter auf der anderen Seite und siehst nicht, ob er noch am Ball dran war oder nicht. Fragst du den Torhüter dann?

Bastian Roscheck:
Normalerweise bekommst du die ehrliche Antwort, wenn du fragst.

Stefan Schneider:
Wenn ich den Torhüter aber frage und er mich linkt und sagt, er war dran, ohne es gewesen zu sein, frage ich beim nächsten Mal natürlich nicht und entscheide einfach - denn diese Chance kriegt jeder nur einmal.

Bastian, wie kommt es bei dir als Spieler an, wenn ein Schiedsrichter seine Entscheidung revidiert - ist das Souveränität oder Schwäche?

Bastian Roscheck:
Du kannst als Schiedsrichter einfach nicht alles sehen. Manchmal bist du beim Block so wenig dran, dass der Ball selbst in der Wiederholung die Flugbahn nicht verändert. Dann ist es das normalste der Welt, zu fragen.

Stefan Schneider:
Auf der anderen Seite ist es ja ähnlich: Wenn es eine Vorteilssituation gibt und der Ball reinknallt, aber du schon gepfiffen hast, entschuldigst du dich als Schiedsrichter. Es darf natürlich nicht fünfmal im Spiel passieren - und du kannst auch keinen Abwehrspieler fünfmal im Spiel fragen, ob er denn nun dran war oder nicht.

Bastian Roscheck:
Dann würde ich mich natürlich auch irgendwann fragen, ob der Schiedsrichter seine Kontaktlinsen überhaupt drin hat (lacht). Nein, im Ernst: Wenn du nachfragst, kriegst du oft eine gute Antwort. Keiner lügt dir gerne ins Gesicht. Da läuft man eher weg, um der Frage zu entgehen ...

Welche Abschlussworte wollt ihr - auch mit dem Gesprächsverlauf im Kopf - zu unserem Ausgangsthema noch loswerden?

Stefan Schneider:
Grundsätzlich wäre es aus meiner Sicht interessant, Ex-Spieler als Schiedsrichter zu erleben. Es gibt ja auch Beispiele; zwei ehemalige Erstligaspielerinnen haben angefangen, in Celle auf Landesverbandsebene zu pfeifen. Ich stelle ich mir allerdings noch schwieriger vor, wenn es zwei ehemalige Spieler betrifft und kein echter Schiedsrichter im Gespann dabei ist. Wenn du einen Ex-Spieler und einen klassischen Schiedsrichter hast, nimmt der eine den anderen mit mit.

Weil beide Kompetenzen verteilt sind?

Stefan Schneider:
Genau. Wenn du jedoch zwei Ex-Spieler im Gespann hast, fehlt zunächst die Schiedsrichterkompetenz. Am Ende reden wir aber auch hier über Ausnahmefälle. Jeder Spieler erlebt in seiner Karriere, wie es den Schiedsrichtern in den Hallen ergeht. Dass sich dann der Großteil nach dem Karriereende freudig meldet, um das auch zu erleben, kann ich mir nicht vorstellen (lacht).

Bastian Roscheck:
Du hast ja schon im Training immer wieder die Situation, dass mal ein Spieler pfeifen muss. Da habe ich auch echt schon alles gesehen - und das ohne Zuschauer und Druck.

Hast du es selbst auch ausprobiert?

Bastian Roscheck:
Ja - und ich glaube, ich bin nicht gut (lacht). Ich bin ein bisschen zu langsam, was die Entscheidungen angeht - und gerade, was Schritte angeht, bin ich als Abwehrspieler wirklich raus ...

Stefan Schneider:
Ich erinnere dich das nächste Mal dran (lacht)

Bastian Roscheck:
Wenn ich mal wieder fünf gemacht habe? (schmunzelt)

Stefan Schneider:
Oder wenn du dich beschwerst, weil der Gegenspieler fünf gemacht hat (schmunzelt). Ich sehe das schon kommen - und dann werden wir uns genau in so einer Situation beide angucken und uns an dieses Gespräch erinnern ...

Hinweis:

Ihr spielt 3. Liga oder höher, beendet demnächst eure Karriere und wollt Schiedsrichter werden? Dann meldet euch direkt bei DHB-Schiedsrichterwart Wolfgang Jamelle - einfach per E-Mail unter wolfgang.jamelle@dhb.de.

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