01.10.2024, 18:15
Nach spektakulärer Trainer-Kehrtwende
Da ist er, der erste Trainerwechsel der Bundesliga-Saison 2024/25: Martin Schwalb ersetzt Johannes Sellin als Cheftrainer des HC Erlangen. Ein normaler Vorgang im Sport? Oder nicht? Warum beim HCE das größte Chaos der Liga herrscht. Ein Kommentar.
Und täglich grüßt das Murmeltier beim HC Erlangen. Wieder mal tauschen die Mittelfranken den Trainer aus. Johannes Sellin muss seinen Cheftrainer-Stuhl räumen und für Martin Schwalb Platz machen.
Nach vier Trainerwechseln in vier Jahren hatte Sellin-Vorgänger Hartmut Mayerhoffer erst im Sommer 2023 übernommen und sollte endlich für Konstanz sorgen. Nach der Trennung von Mayerhoffer im April dieses Jahres wurde Johannes Sellin dann zum Chefcoach befördert. Nun erwischt es den Handball-Europameister von 2016.
Schon das Ende der letzten Saison war nicht überzeugend. Mit der Sommer-Vorbereitung waren die HCE-Verantwortlichen dann ebenfalls nicht zufrieden. Die Posse um Manuel Zehnder trug auch nicht gerade zur Beruhigung der Lage bei. Schlüsselspieler wie Spielmacher Nico Büdel fehlten lange Zeit verletzt. Der Zehnder- und eigentlich auch Büdel-Ersatz (so war es nach dessen Verletzung jedenfalls geplant) Marko Bezjak hing wochenlang in der Luft, bis es dann kürzlich Klarheit für die Magdeburger Legende und den HC Erlangen gab.
Auf dem Feld? Da ist Erlangen katastrophal in die neue Bundesliga-Spielzeit gestartet. Während der Auftritt in Flensburg durch die folgenden Leistungen der SG zumindest ein wenig eingefangen wurde, enttäuschte das Sellin-Team auch im Heimspiel gegen Eisenach. Gegen Stuttgart steigerten sich die Mittelfranken und verloren letztlich auf sehr unglückliche Art und Weise. In Berlin hielt der HCE zumindest kämpferisch (einigermaßen) gut dagegen. Unter dem Strich stehen aber 0:8 Punkte und der letzte Tabellenplatz.
Also: Alles ganz logisch? Die faktische Entscheidung, Sellin von seinen Cheftrainer-Aufgaben zu entbinden, ist nicht vorwiegend das, woran sich viele Beobachter reiben. Sondern: Die Kommunikation bis dorthin.
Johannes Sellin selbst hatte schon nach der Eisenach-Pleite deutliche Worte in Richtung seiner Mannschaft gerichtet. "Unser Überzahlspiel ist natürlich eine Katastrophe, daran müssen wir natürlich arbeiten. Und im Angriff muss man beim Handball auch irgendwann mal auf das Tor gehen, ansonsten wird es schwer", sagte der 33-Jährige am Dyn-Mikrofon. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass sein Team ihm offenbar nicht zugehört hat. "Den Zug zum Tor habe ich nicht gesehen. Das hatten wir besprochen in der Woche, anscheinend nicht genug", so Sellin.
Stefan Kretzschmar prangerte diese deutliche, öffentliche Kritik an. Danach hielten die Führungsspieler Büdel und Nikolai Link ("Jo hat tausendprozentige Rückendeckung") zu ihrem Trainer. Auch Geschäftsführer René Selke verteidigte Sellin. Der Präsident und Aufsichtsratschef des HC Erlangen, Carsten Bissel, sprach Johannes Sellin noch vor einer Woche das Vertrauen aus: "Wir sind von dem eingeschlagenen Weg überzeugt, und ich bin mir sicher, dass die Ergebnisse auch bald besser und die ersten Punkte geholt werden."
Jetzt ist seitdem bestimmt viel um den HCE herum passiert. Nun... der bis dato punktlose Abstiegskandidat hat beim Vize-Meister und Champions-League-Teilnehmer Füchse Berlin verloren. Nicht nur der 2016-Europameister und Ex-Erlanger Steffen Fäth empfindet das HCE-Vorgehen als "sehr merkwürdig". Das sind Fußball-Verhältnisse. Da werden derartige Treue-Bekenntnisse wie sie Bissel und Selke abgegeben haben, meist nur noch achselzuckend hingenommen.
Der HC Erlangen ist hier übrigens ebenfalls Wiederholungstäter. Auch der Mayerhoffer-Trennung war rund sechs Wochen zuvor noch ein Selke-Lob vorausgegangen. Da war die Halbwertszeit der Erlanger Rückendeckung also noch deutlich länger...
Der Klub selbst hat seine spektakuläre Kehrtwende in den ersten Sätzen seiner Pressemitteilung zum Trainerwechsel so versucht einzufangen: Es sei entscheidend gewesen, dass sich mit Schwalb "einer der erfolgreichsten und erfahrensten deutschen Handballtrainer" kurzfristig dazu bereit erklärt habe, das Amt zu übernehmen. Johannes Sellin soll übrigens im Trainerteam bleiben - in anderer Funktion logischerweise.
Bleibt für alle Beteiligten zu hoffen, dass beim HCE bald nicht mehr das größte Chaos der Liga, sondern tatsächlich mal mehr Weitsichtigkeit vorherrscht.
bec