vor 1 Tag
Duvnjaks Traum lebt
Kroatien steht im Finale der Handball-Weltmeisterschaft. Im Tollhaus von Zagreb spielte der Gastgeber gegen das favorisierte Frankreich eine entfesselte erste Halbzeit und brachte diesen Vorsprung kampfstark ins Ziel.
Als Spieler standen sie bis 2012 gemeinsam beim HSV Hamburg auf der Platte, am 30. Januar 2025 trafen sich Guillaume Gille und Domagoj Duvnjak dann unter ganz anderen Umständen wieder. Ersterer würde mit einem Sieg seiner französischen Nationalmannschaft den WM-Traum von Zweiterem zersplittern lassen.
Die Favoritenrolle war dabei an Les Bleus verteilt. Die Franzosen hatten bisher keinen einzigen Zähler abgegeben und mit Ägypten auch eine Mannschaft geschlagen, die ihrerseits über Kroatien triumphierte. Auf der Gegenseite sprach natürlich der Heimvorteil im Hexenkessel von Zagreb für die Hausherren.
Unter den wachsamen Augen von Tobias Tönnies und Robert Schulze legten die Kroaten - anders als gegen Slowenien und Ungarn - einen starken Start hin. In der 5:1-Formation mit Marko Mamic auf der Spitze schränkten die Gastgeber den wurfgewaltigen Rückraum der Franzosen effektiv ein und spielten ein konsequentes Tempospiel (3:1, 4.).
Frankreich wehrte sich seinerseits mit viel Geschwindigkeit und Wucht, musste aufgrund der mentalen und moralischen Willensleistung der Kroaten aber für jeden Treffer den längeren Weg gehen (3:3, 7.). So zogen die Südeuropäer den Vorteil mit einem Doppelschlag wieder auf ihre Seite und bauten diese Führung über Mateo Maras auf 7:4 aus (11.).
Les Bleus hatten gerade defensiv Probleme und fanden in ihrer aggressiven 6:0-Formation kein Mittel gegen die wurfgewaltigen Kroaten, die die Bälle reihenweise einschweißten. Auch Remi Desbonnet kam nicht in die Partie - als dann auch das französische Offensivspiel immer häufiger in der kompakten Deckung der Hausherren hängenblieb, kochte die Arena Zagreb auf. Nach einem Steal jagte der bockstarke Marin Jelinic den Ball zu seinem vierten Tor ins Netz, Guillaume Gille hechtete zum Timeout-Buzzer (9:5, 13.).
Im folgenden Angriff holten die Handballer der Grande Nation zwar einen Siebenmeter heraus, Dominik Kuzmanovic kickte den Ball aber unter frenetischem Jubel an den Pfosten, vorne legten die Kroaten das erste Plus-Fünf nach. Nicht nur Routinier Domagoj Duvnjak explodierte vor Freude, die komplette Halle schien in Ekstase versetzt.
Dieser Flow war den Schützlingen von Dagur Sigurdsson nicht mehr zu nehmen. Nach einem Lattenknaller von Ivan Martinovic jagte Viertelfinalheld Marin Sipic den Rebound in die Maschen, die französische Kempa-Antwort wurde durch zwei Rückraumraketen von Zvonimir Srna und Ivan Martinovic vergessen gemacht (14:7, 21.).
Guillaume Gille brachte nun Charles Bolzinger ins Tor, die Franzosen brauchten aber weiterhin jedes Tor als Bremsklotz für die komplett überlegenen Kroaten. Da diese Treffer zu selten fielen, buzzerte der französische Nationaltrainer nach dem Kontertor von Jelinic zum 16:8 schon zu seiner zweiten Auszeit (25.).
Kroatien war das egal, die Hausherren netzten zum 17:8 ins leere Tor. Frankreich stabilisierte sich erst nach einer Auszeit von Sigurdsson, da Gille auf eine 3:2:1 umstellte und auch das Überzahlspiel griffiger wurde. So kamen les Bleus immerhin zum 18:11 heran - dennoch brauchte der Europameister vor der euphorischen Kulisse in Zagreb ein Wunder.
Nach dem Seitenwechsel setzte sich der Trend aus den letzten zwei Minuten fort. Auch eine frühe rote Karte für Aymeric Minne, der bei einem Stürmerfoul mit dem Ellbogen austeilte, konnte die Mannschaft von Guillaume Gille nicht aus dem Tritt bringen. Zwar fanden die Kroaten in Überzahl auch durch Duvnjak Lösungen, in Gleichzahl aber konterte die 3:2:1-Formation die kroatische Rückraumwucht effektiv aus.
Und auch offensiv lief es. Zwar parierte Dominik Kuzmanovic einen Rückraumwurf von Nedim Remili, Ludovic Fabregas schlug den Abpraller aber geistesgegenwärtig ins Netz - die Hausherren wirkten in dieser Phase kurzzeitig ratlos (19:15, 36.). Kein Wunder also, dass die Kroaten in Überzahl wieder auf ihren Lenker Duvnjak vertrauten, der die eigene Ballbesitzphase nach einer Parade von Kuzmanovic vorne zum 21:15-Entlastungstor dirigierte (39.).
Parallel wurde es immer unschöner. Die Stimmung kochte weiter auf, es mehrten sich unnötige Foulspiele. All das konnte die Hausherren aber nicht aus dem Tritt bringen, weil Zvonimir Srna den Ball zweimal über die Linie zauberte. Gille holte Bolzinger wieder auf die Bank und brachte Desbonnet, und es wurde chaotisch: nicht nur verzockte Mamic mit einer Einzelaktion das Plus-Sieben, auch danach leisteten sich beide Seiten dumme Fehler - aber Dominik Kuzmanovic parierte beim Siebenmeter (24:18, 44.).
Der Grande Nation lief nun die Zeit davon. Ähnlich bedrohlich wie das monotone Ticken der Hallenuhr war einzig der unaufhaltbare Srna, der die französische Deckungsformation mit seiner Wucht immer wieder durchschritt. Gille reagierte und schob seine 3:2:1 immer weiter auf, die Franzosen verteidigten nun nahezu in einer offenen Manndeckung.
Das trug Früchte. Immer wieder sicherten sich les Bleus das Spielgerät, Nedim Remili tankte sich im Gegenzug zum 25:21 durch. Diesmal war es Dagur Sigurdsson, der sich zum Timeout gezwungen sah (47.). Ivan Martinovic markierte daraufhin die Entlastungstore zum 26:21 und 27:22 (51.).
Halle und Spielfeld glichen nun einem Tollhaus. Es ging wild hin und her, die Franzosen suchten den Abschluss schon nach wenigen Sekunden. Beim 27:24 waren es nur noch drei Treffer Differenz, zudem fingen sich die Hausherren eine doppelte Unterzahl ein (28:25, 54.). Sigurdsson schickte nun Igor Karacic auf die Platte.
Und das wirkte: der 36-jährige netzte, und Dominik Kuzmanovic vereitelte in bester Sprintermanier den direkten Gegenschlag ins leere Tor. Die Arena Zagreb kochte ein weiteres Mal auf, erst recht, als Kounkoud einen Gegenstoß an die Latte jagte. Nun war Kroatien in Überzahl, und Mamic kehrte auf die Spitze der 5:1 zurück.
Das brachte Frankreich ins Zeitspiel, aber Dika Mem verkürzte mit einer meisterhaften Aktion wieder auf drei Treffer. Kroatien aber kämpfte weiter, steckte nicht auf - und zog wieder davon. Egal, was Frankreich versuchte, der Vorsprung fiel einfach nicht unter drei Tore. Als dann Dylan Nahi zwei Minuten vor Ende die Hinausstellung sah, schien die Partie entschieden.
Kurz darauf war sie das auch. Der Ball flog zum 31:27 ins Netz, Frankreich vergab. Und Kroatien hatte schon Gewissheit, als Dagur Sigurdsson 59 Sekunden vor Ende zur Auszeit buzzerte. Mit einem 31:28-Halbfinalsieg stehen die Hausherren im Finale der Handball-Weltmeisterschaft und greifen nach der ersten Goldmedaille seit 2003 - für das Finale aber muss Kroatien nach Oslo.
Frankreich: Desbonnet (6 Paraden), Bolzinger (5/1 Paraden); Minne 3, Remili 1, Bos, Prandi 1, Richardson 1/1, Mem 8, Tournat 2, Grebille 1, Karabatic, Fabregas 4, Kounkoud 3, Nahi 2, Konan, Briet 2
Kroatien: Kuzmanovic (15/2 Paraden), Pesic; Duvnjak, Sostaric, Klarica, Simic, Srna 7, Maras 4, Mamic, Lucin 1, Martinovic 6, Susnja, Sipic 2, Glavas 3/1, Jelinic 7, Karacic 1
Zuschauer: 15.600 (Arena Zagreb)
Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Toennies (GER)
Strafminuten: 10 / 8
Disqualifikation: Minne (32.) / -
Maximilian Otte