22.01.2024, 20:21
Starke Reaktion und nun ein Matchball
Mit einer starken Leistung in Abwehr und Angriff, dafür aber erst mit späten Torwartparaden konnte sich Deutschland auf den zweiten Platz in der Hauptrundengruppe I der Handball-EM schieben und sich einen Matchball auf das Halbfinale erarbeiten. Überragender Spieler beim 35:28 (18:17) über Ungarn war Julian Köster mit acht Toren.
aus Köln berichtet Christian Stein
Ohne Timo Kastening, dafür nun mit Lukas Zerbe im Kader - aber zunächst auf der Bank - startete Deutschland in das wichtige Duell gegen die in der Hauptrunde der Handball-EM um einen Punkt besser platzierten Ungarn. Auch wenn Kai Häfner für den deutschen Auftakttreffer sorgen konnte, mit der ersten Parade machte Laszlo Bartucz klar, dass auf die deutsche Mannschaft kein Spaziergang wartete.
Die Kölner Lanxess-Arena war unterdessen direkt auf Betriebstemperatur, die Schützlinge von Alfred Gislason überzeugten mit einer besseren Trefferquote als noch gegen Österreich. Ungarns Offensive konnte die deutsche Deckung aber zunächst nicht stoppen. Auch Andreas Wolff fand in den ersten Minuten noch nicht ins Spiel, vor allem Mate Lekai und Richard Bodo trafen aus dem Rückraum - erzielten fünf Tore zum 4:6-Zwischenstand (8.).
Julian Köster mit seinem dritten Tor und der Vorlage auf Kai Häfner führten die DHB-Auswahl zum Ausgleich. Zuvor hatte der Linkshänder vom TVB Stuttgart im Duell mit Ungarns Kreisläufer Bence Banhidi den Ball selbst in der Deckung erobert. Als emotionaler Antreiber, der auch die Kommunikation mit der Halle suchte, fungierte Linksaußen Rune Dahmke, der all seine Erfahrung nutzte und zum 7:7 (12.) netzte.
David Späth rückte ins deutsche Tor, während einer Strafzeit von Köster knüpfte Sebastian Heymann nahtlos an die Leistung seines Gespannpartners an und überzeugte mit kraftvollen Durchbrüchen, die entweder zum Torerfolg wie beim 9:9 und 11:11 oder einem Siebenmeter vor dem 10:10 (16.) von Juri Knorr resultierten.
Um in der Partie jedoch die Führung zurückzuerobern, fehlten die Impulse durch die Keeper. Dafür ließ die Deckung viel weniger Würfe zu. Späth sammelte in der 20. Minute seine erste Parade gegen Gabor Ancsin und ließ die Arena erzittern, Heymanns Wurf rutschte dem eingewechselten Krisztian Palasics noch unter den Füßen durch zum 13:12 (21.). Der Schlussmann von Ciudad Logrono setzte seinen ersten Akzent jedoch wenig später gegen Jannik Kohlbacher.
Beide Mannschaften zeigten in der Schlussphase Nerven, die Führung wechselte hin und her und Chema Rodriguez nahm beim 16:15 drei Minuten vor dem Ende des ersten Abschnitts seine erste Auszeit. Alfred Gislason schickte Wolff für die letzten drei Minuten des ersten Spielabschnitts zurück auf die Platte.
Kurz darauf nahm auch der Isländer an der Seite des DHB-Teams seine Auszeit. Der Grund: Ungarns Deckung versuchte mit einer offensiveren 6:0-Variante den deutschen Rückraum zu stören. Doch anders als noch gegen Österreich funktionierte am heutigen Montag die Bewegung ohne Ball, die somit auch Anspiele den Kreis zum 18:17-Halbzeitstand ermöglichte.
Gleich nach Wiederanpfiff setzte Deutschland die ersten Akzente: Ungarns Offensive fand nach 17 Toren im ersten Abschnitt nun keinen Weg mehr durch das deutsche Abwehrbollwerk.
Chema Rodriguez drückte beim 20:17 für Deutschland bereits nach nur gut drei Minuten den Auszeit-Buzzer. 94 Prozent Wurfeffektivität hatte seine Mannschaft in Durchgang eins, nur einen einzigen Fehlwurf. Allerdings auch dort hatte man schon fünf weniger Würfe auf den gegnerischen Kasten gebracht. Und nun hakte es bei den Chancen und den Abschlüssen.
Nach fast 39 Minuten bekam auch Andreas Wolff einen Ball zu fassen - und wurde gleich von der gesamten Arena lautstark gefeiert. Den Abpraller hatte Rune Dahmke gefangen, Julian Köster beruhigte mit seinem fünften Tor zum 23:19 die Nerven. Das DHB-Team hätte sogar noch weiter davonziehen können, als Ungarn seine Angriffsmisere mit dem siebten Feldspieler beenden wollte, doch Knorr zog einmal von der Mittellinie neben das Tor.
Wolff war nun heiß gelaufen, legte binnen weniger Minuten zwei weitere Paraden nach. Und vorne wusste Julian Köster weiter zu überzeugen, die Erleichterung war Rune Dahmke bei seinem Tor zum 27:22 (48.) förmlich anzumerken. All die Last der letzten 48 Stunden nach dem Remis gegen Österreich schien nun vom Team abzufallen.
Das 28:22 von Christoph Steinert rief schon gut zehn Minuten vor dem Ende die letzte Auszeit der Gäste hervor, Deutschland war auf Kurs. Allerdings hatte auch Alfred Gislason wenig später noch einmal Redebedarf. Beinahe wäre danach Julian Köster ein Wechselfehler unterlaufen - das deutsche Team konnte den aber noch rechtzeitig vor der Spielfortsetzung korrigieren.
Bei Ungarn war Laszlo Bartucz unterdessen ins Tor zurückgekehrt, zudem versuchten die Gäste mit einer 5:1-Formation das deutsche Angriffsspiel zum Erliegen zu bringen. Doch auch hier war die Laufbereitschaft die Antwort: Rune Dahmke kreuzte teilweise hinter dem Rückraum und schuf so Räume. Spätestens als Steinert zum 30:24 (54.) netzte, schien der Sprung auf Rang zwei in der Hauptrundengruppe gesichert zu sein.
Die Miene von Chema Rodriguez verfinsterte sich, ratlos wirkte der Spanier fünf Minuten vor dem Spielende, zumal Julian Köster seine Leistung mit dem Kempatreffer zum 32:26 krönte. Deutschland ließ keinen Schlendrian mehr einkehren, spielte die Angriffe konzentriert auf den Punkt und versetzte die Kölner Arena in Verzückung.
Die Zuschauer hielt es längst nicht mehr auf den Sitzen, die größte Stehplatztribüne Deutschlands machte sich zur großen After-Show bereit. Als Alfred Gislason seine letzte Auszeit nahm, lief zum ersten Mal in den Tagen von Köln der WM-Song von 2007 "Wenn nicht jetzt, wann dann", den auch die komplette Halle weitersang. Das gleiche gilt in zwei Tagen: Mit einem Sieg gegen Kroatien kann das Halbfinale gebucht werden.
Deutschland: D. Späth (1 Parade), Wolff (9 Paraden); J. Köster 8, Golla 4, Heymann 4, Häfner 4, Knorr 4/2, Kohlbacher 4, Steinert 4/1, Dahmke 3, Fischer, Lichtlein, Mertens, Uscins, Weber, Zerbe
Ungarn: Bartucz (3 Paraden), Palasics (2 Paraden); Ancsin 6, Rosta 6, Bodo 4, Lekai 4/2, Fazekas 2, Imre 2, Banhidi 1, Boka 1, Ligetvari 1, Szita 1, Hanusz, Ilic, Sipos, Szöllösi
Zuschauer: 19.750 (Köln, ausverkauft)
Schiedsrichter: Lars Jorum / Havard Kleven (Norwegen)
Strafminuten: 6 / 2
Christian Stein