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25.09.2018 16:30 Uhr - 1. Bundesliga - jun

#Trainingsstunde: Wie wichtig ist ein Vorbild für den Nachwuchs - und was macht ein Vorbild aus?

"Der kommt aus unserer Region und kämpft auf dem Feld bis zum Schluss": Matthias Flohr 2014 im Trikot des HSV Handball"Der kommt aus unserer Region und kämpft auf dem Feld bis zum Schluss": Matthias Flohr 2014 im Trikot des HSV Handball
Quelle: Angela Grewe
Seit über zwölf Jahren arbeitet Maike Koberg als ausgebildete Sportmentaltrainerin und genauso lange zählt sie Handballmannschaften aus den unterschiedlichsten Leistungsklassen zu ihren Klienten. Die Hamburgerin arbeitete mit Mannschaften des Deutschen Handballbundes bereits genauso wie mit Frauenbundesligisten oder Jugendteams aus dem Leistungs- und Breitensport. Im Interview sprach Koberg, die einst selbst in der 2. Bundesliga aktiv war, für die aktuelle Ausgabe der #Trainingsstunde über die Bedeutung von Vorbildern und ihren Nutzen ...

Frau Koberg es wird oft von der Vorbildfunktion gesprochen, die Nationalspieler einnehmen? Was zeichnet diese Rolle aus?

Maike Koberg:
Eine Vorbildfunktion macht viel mehr aus als nur eine Medaille zu gewinnen. Es reicht auch schon, wenn Kinder in der Halle sind und die sagen: "Den Spieler sehe ich da immer auf dem Feld - da will ich auch hin, ich will das machen, was der macht."

Sprich: Schon der Linksaußen aus der eigenen Oberligamannschaft kann ein Vorbild sein?

Maike Koberg:
Genau! Ich arbeite mit vielen Kindern und Jugendlichen im Sportmentaltraining. Natürlich haben einige ihre Vorbilder und können Uwe Gensheimer, Felix Neureuther oder Angelique Kerber nennen. Andere wissen zunächst keine Antwort, weil sie sich mit dieser Frage noch nicht intensiv beschäftigt haben. Ich versuche sie dann, durch Fragen zu leiten, weil die Arbeit mit Vorbildern im Sportmentaltraining sehr hilfreich sein kann und möchte von ihnen wissen: Findest du irgendjemanden gut, der deine Sportart macht - und sei es aus deinem Verein oder deinem Umfeld? Dann kommen die Antworten auch langsam, aber es ist eben oft nicht der Medaillengewinner, der genannt wird.

Sondern?

Maike Koberg:
Ein erwachsener Sportler aus dem Heimatverein oder auch der eigene Trainer.

Was bringt ein Vorbild für die sportliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen - außer, dass sie ihm gerne nacheifern wollen?

Maike Koberg:
Ein Beispiel aus der praktischen Arbeit: Wenn ich mit jungen Sportlern arbeite und sie zu mir sagen "Maike, ich kann das nicht, ich schaffe das eh nicht, ich lerne das nie, die Bewegung klappt immer noch, ich treffe immer die falsche Entscheidung", dann frage ich sie: "Was würde dein Vorbild in dieser Situation tun?" Ich gehe im Coaching also bewusst über die dritte Person und häufig finden die Jugendlichen dann auch die Antwort und wissen, was sie daraus für sich mitnehmen können. Das ist wirklich faszinierend. Man kann oft richtig zuschauen, wie das Gehirn anspringt und sie Spaß daran haben, über diesen Menschen - ihr Vorbild - zu sprechen.

Einfach nur pauschal zu sagen, dass ein Spieler cool ist, hilft im mentalen Bereich nur wenig





Wer wurde Ihnen in Ihrer Arbeit mit Nachwuchshandballern oft als Vorbild genannt?

Maike Koberg:
Eine zeitlang wurde immer wieder Dominik Klein genannt. Bei den Hamburgern wurden auch zu großen Zeiten des HSV Handball oft keine Namen international sehr bekannter Handballern genannt, sondern Namen wie Matthias Flohr. Die Begründung? Der kommt aus unserer Region und kämpft auf dem Feld bis zum Schluss. Das hat auch bei vielen Kindern und Jugendlichen Eindruck gemacht. Ich habe ihnen dann immer Fragen mitgegeben, um sich genauer mit dem Vorbild zu beschäftigen und es für sich nutzen zu können bei der eigenen Entwicklung als Sportler: Wenn du ihm zuschaust, was genau findest du gut - und was kannst du für dich davon mitnehmen, wie er spielt? Das geht wirklich ins Detail.

Sprich: Es ist wichtiger, dass ein Vorbild greifbarer ist als dass es ein Superstar wie Lionel Messi ist?

Maike Koberg:
Es kann natürlich auch Lionel Messi sein, aber dann lasse ich mir immer genau beschreiben: Was genau findest du an ihm gut? Seine Bewegungsabläufe, seine Fähigkeiten, sein Verhalten oder seine Überzeugung? Einfach nur pauschal zu sagen, dass ein Spieler cool ist, hilft im mentalen Bereich nur wenig. Erst, wenn man sich damit auseinandersetzt - auf verschiedenen Ebenen - wird es hilfreicher - und man muss immer gucken: Passt das auch zu mir? Wenn ich pauschal rangehe und kopieren will, wird das häufig nichts.

Können Sie das an einem Beispiel ausführen?

Maike Koberg:
Nehmen wir ein Nachwuchstalent, das beim Skilaufen nur den Schwung zur rechten Seite wirklich gut kann und jetzt auch den Schwung zur anderen Seite perfektionieren möchte und dessen Vorbild Felix Neureuther ist. Dann ist die Frage: Wie macht Felix Neureuther diesen Schwung - und wie ist der eigene Bewegungsablauf? Da geht es dann mit dem Trainer in die Videoanalyse - und nur, wenn die Technik von Neureuther auch zu dem Nachwuchstalent passt, übernehmen wir sie tatsächlich und wird auch mental geübt.

Menschen brauchen immer eine Orientierung





Generell gesprochen: Wie wichtig ist es, ein Vorbild zu haben?

Maike Koberg:
Es ist hilfreich, weil es den Sportlern eine Orientierung geben kann - beispielsweise, weil man die Ziele, die das Vorbild erreicht hat, auch erreichen will. Das motiviert und weckt den Ehrgeiz. Menschen brauchen immer eine Orientierung, auch im Beruf. Dann kann ich enorm erfolgreich sein, wenn ich mir rausziehe, wie es mein Vorbild geschafft hat und das mit meinem eigenen Verhalten und meinen Fähigkeiten kombiniere.

Und, wenn auf Ihr Beispiel mit Matthias Flohr blickt: Es ist entscheidend, dass dieses Vorbild auch greifbar ist?

Maike Koberg:
Genau. Kinder und Jugendliche sind meist stolz, wenn sie sagen können: Ich habe den und den getroffen, der war bei uns an der Schule oder in meinem Verein. Das löst ein gutes Gefühl aus und sie denken sich: "Das will ich auch." Der persönliche Bezug findet nicht nur visuell über den Fernseher statt, sondern viel stärker emotional über den kinästhetischen Kanal: Den Spieler live erleben können, nach einem Autogramm fragen, den Spieler auf dem Spielfeld erleben, die Atmosphäre im Wettkampf. Diese ganzen Live-Eindrücke über die Sinnesorgane wahrzunehmen, spielen eine große Rolle. Im Fernsehen sind die Sportler immer noch weit weg.

Wie können die Vereine das ausnutzen?

Maike Koberg:
Natürlich kann das Fernsehen gerade für die Bundesligisten noch wichtig sein, aber das Hauptziel sollte sein: Wie kann ich mich in meinem Standort, in meiner Region verwirklichen. Da ist die Mund-zu-Mund-Propaganda ganz entscheidend; man sollte über lokale Presse und Schulen gehen. Die Vereine sollten bereit sein, Schnuppertrainings anzubieten oder die Stars/Vorbilder in die Jugendbereiche zu schicken - nicht nur die eigenen, sondern auch von Nachbarvereinen.

Dadurch ziehe ich die Leute, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich bin damals auch deshalb zum Handball gekommen, weil ich im Kreis Schleswig/Flensburg groß geworden bin, als sich die Männermannschaft der SG gerade entwickelt hat. Das war für uns Kinder total groß, da wollen wir auch hin! Wir hatten sofort einen persönlichen Bezug - und das bekommen wir nur hin, wenn die Sportler aktiv in die Schulen oder zu sozialen Aktionen gehen und bei den Kindern präsent sind.

Welche Eigenschaften sollte ein Vorbild mitbringen?

Maike Koberg:
Jugendliche in der Pubertät sagen oft: "Der und der war ganz natürlich, der hat zugehört, der war auf Augenhöhe." Was sie auf keinen Fall wollen: Jemanden, der arrogant wirkt. Wenn sie merken, dass ein Spieler arrogant ist und nur eine Autogrammkarte verteilt ohne zu gucken, ist das Thema oft durch. Das ist kein Vorbild mehr. Sie brauchen den persönlichen Bezug, müssen sich identifizieren können und merken: Das ist auch nur ein Mensch.

Das wäre ja eigentlich auch für kleinere Vereine eine Chance, oder?

Maike Koberg:
Auf jeden Fall. Kinder und Jugendliche finden ihre Vorbilder über genau diese Ebene. Ich höre oft: "Da ist ein Spieler in der A-Jugend, der ist super." Oder: "Die Schwimmerin, die vor mir trainiert, ist in der Staffel bei der Deutschen Meisterschaft." Natürlich können auch Medaillen begeistern, aber über den persönlichen Kontakt ist oft mehr zu bewegen. Ein Drittligist, dessen Spieler die Grundschulen oder E-Jugendmannschaften im Kreis besuchen, wäre ein gutes Beispiel.

Gibt es einen Punkt, wo ein Vorbild auch ein Hindernis sein kann?

Maike Koberg:
Es kann zum Beispiel zu Enttäuschungen führen, wenn ich merke, dass ich einfach nicht die Voraussetzungen habe, um meinem Vorbild nachzueifern. Ich renne einem Ziel hinterher, dass mit meinen Fähigkeiten nicht vereinbar ist, weil ich sie nicht habe. So kann es in die Überforderung gehen. Genau aus diesem Grund will ich immer wissen, warum jemand ein Vorbild ist - damit die Kinder und Jugendlichen feststellen können, ob das passt. Ist das der Fall, kann man das Vorbild für die eigene Zielerreichung nutzen - ansonsten nicht.

Ein Vorbild muss aus mir als Sportler heraus kommen





Welche Auswirkung hat - allgemein gesprochen - das Alter auf den Umgang mit dem eigenen Vorbild?

Maike Koberg:
Das Vorbild kann wechseln und sich ergänzen. Die meisten Jugendlichen sagen aber nie: "Der ist weg." Sie wissen immer noch zu schätzen: Ich bin da auch hingekommen, weil er mein Vorbild war. Schaffen sie den Sprung in die erste Mannschaft, denken sie vielleicht: "Wow, jetzt darf ich mit dem sogar zusammenspielen." Dann kommt auch noch eine wichtige Ebene dazu: Zugehörigkeit. Jetzt bin ich auf Augenhöhe mit dem (streichen)- das ist gerade bei Teamsportlern ganz wichtig.

Nimmt die Wirkung eines Vorbilds ab?

Maike Koberg:
Wenn ich mein Vorbild als Motivationsfaktor benutzt habe und irgendwann das Ziel erreicht habe, brauche ich für die nächsten Schritte in meiner Entwicklung eventuell ein neues Vorbild.

Wenn über Nachwuchstalente gesprochen wird, wird oft der Vergleich gesucht - was macht es mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie mit Prädikaten wie "der nächste Mikkel Hansen" gelobt werden?

Maike Koberg:
Das kann zu erheblichem Druck führen. Da unterscheide ich auch ganz stark. Ein Vorbild muss aus mir als Sportler heraus kommen. Dann ist es völlig egal, wer das ist - dann finde ich darüber meine eigene Motivation! Wird hingegen von Außen eine ideale Figur an einen jungen Menschen herangetragen, ist das meist belastend.

Welche Rolle spielen ehrgeizige Eltern?

Maike Koberg:
Das kann ganz gefährlich sein. Die Kinder müssen selbst entscheiden, wer ihr Vorbild ist . Ihnen etwas überzustülpen, bringt niemandem etwas. Vielmehr sind Kinder und Jugendliche davon oft innerlich demotiviert, wenn sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden, weil es vielleicht zu viel Druck ist. So kann ich ein Vorbild als Außenstehender für einen Nachwuchssportler auch verbrennen, denn die eigenen Vorbilder von uns Erwachsene lassen sich nicht auf die Kinder übertragen. Für die sind es oft nur Namen. In der Persönlichkeitsentwicklung sind die eigenen Ideen für Vorbilder motivierender!

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