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09.12.2020 19:00 Uhr - 1. Bundesliga - Julia Nikoleit / Christian Missy

Der Weg in die Bundesliga: Was macht am Ende den Unterschied?

Was ist entscheidend? "Man muss ein Spiel leiten können - das ist mehr, als einfach nur die Regeln anzuwenden."Was ist entscheidend? "Man muss ein Spiel leiten können - das ist mehr, als einfach nur die Regeln anzuwenden."
Quelle: Marco Wolf
Der Elitekader des Deutschen Handballbundes ist das große Ziel für ambitionierte Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in Deutschland. Die 32 Unparteiischen, die in dieser Saison dem höchsten deutschen Kader angehören, bilden die Riege der Spitzenschiedsrichter - sie sind die besten von den über 20.000 Handball-Schiedsrichtern im Land und haben sich ihren Platz hart erarbeitet. Doch was ist entscheidend, um den Schritt in den Elitekader zu machen? Welche Fähigkeiten braucht man - und was sind Ausschlusskriterien? Und wie gelingt das eigentlich - der Weg nach ganz oben?



Einer, der Antworten auf diese Fragen geben kann, ist Nils Szuka. Der 43-jährige ist Schiedsrichteransetzer für den Bundesligakader und verantwortet damit die Ebene unterhalb des Elitekaders. Der Großteil der 15 Gespanne, die in dieser Saison "seinem" Bundesligakader angehören, haben den Plan, über den Eliteanschlusskader in den Elitekader aufzusteigen.

Am Ende wird dieser Schritt voraussichtlich nur einem Bruchteil gelingen. Ein bis zwei Aufsteiger aus dem Bundesliga- in den Eliteanschlusskader gibt es pro Saison, doch über den Nachwuchskader drängen stetig junge Schiedsrichter-Teams nach. Auch aus dem Kader der 3. Liga gibt es jedes Jahr Aufsteiger - ebenso, wie Gespanne in die 3. Liga absteigen.

Es ist, das gibt auch Szuka unumwunden zu, ein Konkurrenzkampf. "Die Schiedsrichter sind ebenso wie die Mannschaften in einem sportlichen Wettkampf - da geht es um Auf- und Abstieg, um Karrieren", erklärt der Bundesliga-Ansetzer, der früher selbst in der deutschen Beletage zum Einsatz kam. "Den Konkurrenzkampf soll es auch geben, denn es stachelt an."

Was für die Mannschaften die Tabelle ist, ist für die Schiedsrichter ihr Ranking. Über neutrale Beobachtungen von offiziellen Coaches des Deutschen Handballbundes (80%) sowie Vereinsbeurteilungen (20%) ergibt sich eine Gesamtpunktzahl - und damit eine Rangliste für jeden Kader. Diese sind das vielleicht bestgehütete Geheimnis im Schiedsrichterwesen; für Vereine, Zuschauer und Medien sind die Werte tabu.

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Für die Entscheidung über Auf- und Abstieg sind diese Ranglisten ein wesentlicher Maßstab - allerdings nicht das einzige Kriterium. Auch das Alter kann eine Rolle spielen. "Ab einem gewissen Alter ist es einfach schwierig, sich nach einem Aufstieg noch in der neuen Liga weiterzuentwickeln", erklärt Szuka. Zumal in der Regel die Schiedsrichterkarriere im Elitekader mit 50 Jahren endet, der Aufstieg eines Gespanns Mitte 40 wäre daher nicht nachhaltig.

Um genug Punkte zu sammeln und für den Schritt in den nächsthöheren Kader in Frage zu kommen, sind vor allem die Soft Skills entscheidend. "Die Regelkenntnis wird in unseren Kadern vorausgesetzt - ebenso wie ein gewisser taktischer Handball-Sachverstand", betont Szuka. So sind vielmehr Facetten wie Durchsetzungskraft, Kommunikationsfähigkeit und die Persönlichkeit die entscheidenden Faktoren. Die Fähigkeit ein Spiel zu "managen", also zu leiten, steht in der Bundesliga im Mittelpunkt. In den Coachings gibt es in diesem so genannten B-Bereich entsprechend die Möglichkeit, mehr Punkte zu holen als im A-Bereich, in dem es um Regelauslegung geht.

"Nur, wer im B-Bereich überdurchschnittlich talentiert ist, hat eine Chance", unterstreicht Szuka. "Man muss ein Spiel leiten können - das ist mehr, als einfach nur die Regeln anzuwenden." Die Unparteiischen müssen sich vielmehr über ihr Auftreten und ihre Persönlichkeit die Akzeptanz der Beteiligten erarbeiten.

Sich als neues Gespann in einem höheren Kader zu etablieren, ist immer ein Kampf - und gerade in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga eine Feuerprobe. Der Eliteanschlusskader, der die Aufsteiger aus dem Bundesligakader an die deutsche Beletage heranführen soll, fordert den Gespannen alles ab.

"Gerade als jüngere Schiedsrichter haben wir damit zu kämpfen, dass jeder Pfiff zunächst einmal auf die Goldwaage gelegt wird", berichtet Niels Wienrich offen. "Es passiert immer wieder, dass uns Spieler testen wollen und in kritischen Situationen unser Nervenkostüm ausreizen." Wienrich und Gespannpartner Julian Fedtke sind das jüngste Gespann in der 1. Bundesliga. Sie haben eine steile Karriere hinter sich; durchliefen den Perspektiv- und den Nachwuchskader bis zum Bundesligakader und wurden ins EHF Young Referee Project aufgenommen, bevor sie zu dieser Saison in den Eliteanschlusskader aufstiegen.

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Neben den Soft Skills spielt auch die körperliche Konstitution eine Rolle. "Unsere Schiedsrichter müssen die körperlichen Voraussetzungen mitbringen, um diesem immer schneller werdenden Sport folgen zu können", unterstreicht Szuka. Hinzu kommt die Körpersprache als wichtiges Element: "Das hat in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen."

Auch abseits des Feldes muss alles passen, um es nach oben zu schaffen. "Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Gespanne gesehen, die aufhören mussten, weil die Belastung für sie neben dem Beruf und dem Privatleben doch zu groß war", berichtet der Ansetzer. Wenn das Umfeld nicht stimmt, wird der Schritt in den Elitekader immer ein Traum bleiben. Auch langwierige Verletzungen können Gespanne zurückwerfen.

Ebenso, wie einen das Talent in einem bestimmten Bereich nach oben bringen kann, gibt es Tendenzen, welche die Karriere stoppen können: "Wenn wir feststellen würden, dass jemand beeinflussbar ist, wäre das sicherlich ein Ausschlusskriterium", betont Szuka. "Auch, wenn jemand nicht bereit ist, an sich zu arbeiten, keine Kritik ertragen kann und nichts annimmt, wird der Weg schnell zu Ende sein."

Denn die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist unabdingbar. "Es ist ein ewiger Lernprozess", erklärt Szuka. "Schiedsrichter auf diesem Niveau sind immer starke Charaktere - sonst wären sie dort nicht angekommen -, aber sie müssen dennoch die Bereitschaft erkennen lassen, zuzuhören und an sich zu arbeiten. Wenn das nicht gegeben ist, wird es unmöglich, sich auf dem absoluten Spitzenniveau weiterzuentwickeln."

Ob ein Gespann das Potenzial für den Schritt ganz nach oben mitbringt, erkennen Szuka und seine Kollegen aus dem Schiedsrichter-Ausschuss oft schon früh. "Man entwickelt - ebenso wie ein Trainer - einen Blick dafür, wer ein besonderes Talent und besondere Fähigkeiten hat", führt er aus. "Das Talent und die Soft Skills müssen absolut überdurchschnittlich sein, um diesen Weg bis zum Ende zu gehen."

Denn, auch das ist die Wahrheit: Es gibt eben keinen Platz für alle. "Es kann nicht jeder schaffen, diese hohen Ansprüche, die wir haben und die auch die Ligaverbände und der Deutsche Handballbund stellen, zu erfüllen", betont Szuka. Es sind natürlich enorme Belastungen, die auf einen einprasseln, aber man geht auch ein Abenteuer ein, das einem unheimlich viel geben kann."

Im Hintergrundgespräch: Nils Szuka






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