05.09.2024, 12:30
Hannovers Senkrechtstarter spricht vor dem Liga-Start
Um einen Namen kommt man nach dem Olympia-Sommer im deutschen Handball nicht mehr herum: Renars Uscins (22) spricht im kicker über ein besonderes Gespräch mit Nikola Karabatic, seinen Senkrechtstart - und Aufwärm-Fußball beim DHB-Team.
Bei der Heim-EM ging der Stern von Renars Uscins spät auf, weil ihm Bundestrainer Alfred Gislason erst im EM-Halbfinale gegen Dänemark - aus Personalsorgen notgedrungen - das volle Vertrauen schenkte. Bei der anschließenden Olympia-Qualifikation war der Linkshänder von der TSV Hannover-Burgdorf schon nicht mehr aus der ersten Sieben wegzudenken.
Seine Leistungen beim Quali-Turnier in Hannover ermöglichten erst den Weg nach Frankreich, wo Uscins sich dann auf die Notizblöcke vieler internationaler Topklubs katapultierte. Seine 14 Tore beim legendären Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich bescherten ihm einen Olympia-Rekord. Vor dem Bundesliga-Start kehrte nun kurz Ruhe ein. Ein passender Zeitpunkt, um zum Gespräch zu bitten.
kicker: Herr Uscins, wissen Sie noch, was Sie am 26. Januar dieses Jahres gemacht haben?
Nein, nicht direkt. Ich würde mal auf die Finalspiele bei der Heim-EM tippen.
Ganz genau. Mit Ihrem hervorragenden Auftritt im EM-Halbfinale gegen Dänemark hat sich eine Menge verändert. Sie waren anschließend bei der Olympia-Qualifikation und dem Olympischen Turnier in Frankreich absoluter Leistungsträger. Wie haben Sie diese Reise in der Nationalmannschaft wahrgenommen?
Ich bin da vielleicht immer noch etwas verblendet. Ich habe einfach gar nicht gemerkt, wie besonders es ist, jetzt auf einmal so eine Position zu haben. Es ging alles wirklich verdammt schnell, ohne dass man gefühlt Zeit hatte, darüber mal in Ruhe nachzudenken. Ich wurde ja praktisch ins kalte Wasser geschmissen und war gezwungen, gut zu spielen. Das hat zum Glück bislang ganz gut geklappt.
Das ist schon zurückhaltend formuliert. Spätestens seit Ihren beherzten Auftritten in Frankreich kennt jeder deutsche Handball-Fan Ihren Namen. Haben Sie in der Wahrnehmung seit Olympia-Silber eine Veränderung festgestellt?
Man wird draußen schon häufiger erkannt. Und das Handy ist anfangs gar nicht mehr still gestanden. Es waren Nachrichten über Nachrichten - auch in den sozialen Medien. Das hat sich zum Glück beruhigt, weil es ehrlicherweise auch ein Stück weit anstrengend war, obwohl man sich natürlich über diese Anerkennung und die Wertschätzung gefreut hat. In der Summe sind es aber nur Kleinigkeiten. Ich selbst habe mich gar nicht verändert und das ist mir auch extrem wichtig.
Welches Spiel bei Olympia war Ihrer Meinung nach Ihr persönlich stärkstes und welches ihr schwächstes?
Mein persönlich stärkstes war sicherlich das gegen Frankreich. Zum ersten Mal habe ich Verantwortung in so vielen Bereichen übernommen, das war auch neu für mich. Das schwächste war vielleicht das gegen Kroatien, wo ich wirklich nicht gut war, oder natürlich das gegen Dänemark. Im Endspiel gegen die Dänen war das echt schade, weil gefühlt war ich da deutlich fitter als noch im Halbfinale. Gegen Spanien hatte ich gerade nach dem Frankreich-Spiel sehr zu kämpfen. Bei acht Spielen in 16 Tagen ist das aber sicherlich normal, dass man gerade in diesem jungen Alter die Leistung nicht immer auf höchstem Niveau stabil halten kann.
Stabil auf höchstem Niveau ist eine gute Überleitung. Ein Highlight war Olympia schon alleine deswegen, weil Sie die jeweils letzten Karrierespiele von Nikola Karabatic und Mikkel Hansen live als Gegner miterlebt haben. Gab es Ihrerseits einen persönlichen Austausch mit diesen beiden Legenden?
Mit Mikkel Hansen leider nicht direkt, aber Nikola Karabatic habe ich noch kurz in der Media Zone abgefangen. Er war da gerade auch alleine. Ich habe ihm gesagt, dass ich als Kind zu ihm hochgeschaut habe, ein Riesen-Fan war und dass ich schon sehr stolz und glücklich bin, dass ich nochmal gegen ihn spielen durfte.
Gab es dann seinerseits auch ein verdientes Lob für Ihre Leistung beim Spiel?
Das gab es auch. Er hat mich zum Sieg und zur Leistung beglückwünscht. Trocken hat er dann noch hinterhergeschmissen: "Du hast meine Karriere beendet." Das war aber auf jeden Fall humorvoll gemeint. (lacht)
Apropos Ikonen: Wer ist eigentlich Ihr handballerisches Vorbild und warum?
Früher habe ich mir viel von Steffen Weinhold abgeschaut, weil er auch nicht der Größte war und so andere Lösungen finden musste. Aktuell würde ich mit dem Spanier Alex Dujshebaev gehen, weil ich auch diese Spielweise, diese spielerische Kreativität sehr gerne mag. Am Ende will ich aber meinen ganz eigenen Mix finden.
Auf Vereinsebene spielen Sie noch nicht im Konzert der ganz Großen mit, haben auch Ihr Potenzial noch nicht derart konstant entfalten können wie jetzt bei Olympia. Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund dafür?
Das muss man sicherlich ganzheitlich betrachten. Bei der Leihe zum Bergischen HC hatte ich die Gelegenheit, in der Bundesliga "reinzuschnuppern". Da habe ich sofort gemerkt, dass ich regelmäßig in dieser Liga spielen will. In Hannover habe ich dann schon viel Vertrauen und noch größere Verantwortung übertragen bekommen. Wir haben mit Bundesliga und Europa alle drei Tage gespielt. Das muss man auch körperlich und mental erstmal verkraften. Für Training blieb kaum Zeit. Es waren gute Leistungen dabei, aber wie Sie sagen, nicht so konstant wie gewünscht.
Was stimmt Sie positiv, dass es in der Saison 2024/25 besser wird?
Eine Saison ohne Europapokal wie die neue könnte nochmal Gold wert sein. Man kann viel Fokus aufs Training legen und Schwächen gezielt ausmerzen. Das wird meiner Entwicklung auf jeden Fall guttun. Auch wenn die Gegner sich jetzt vielleicht besser auf einen einstellen gilt es, die Qualität zu entwickeln, dass man trotzdem seine Leistungen abrufen kann. Und das drückt sich dann nicht immer nur in acht bis zehn Toren aus.
Christian Prokop hat in Hannover gerade verlängert. Welche Art Trainer ist er?
Christian gibt im Angriff viele Freiheiten, wodurch jeder seine Stärken einbringen kann. Im Videostudium zeigt er dann auch auf, wie man noch besser werden kann. Er ist zudem sehr kommunikativ und begründet auch häufig, warum man weniger gespielt hat, warum man mehr gespielt hat. Andere Trainer würden das gar nicht in Erwägung ziehen, so zu kommunizieren.
Und worin würden Sie sagen unterscheidet sich Prokop grundlegend von seinem Nationalmannschafts-Nachfolger Alfred Gislason?
In der Art der Kommunikation unterscheiden sie sich grundlegend. Charakterlich sind das aber auch ganz verschiedene Typen. Die Arbeit lässt sich aber nicht wirklich vergleichen. Die Detailarbeit aus dem Verein kannst du nicht in die Nationalmannschaft, bei der wenig Zeit bleibt, übertragen. Beim DHB-Team geht es darum, möglichst schnell zu schauen, welche Art Handball man in der Konstellation spielen sollte.
Sie werden jetzt natürlich mit Fragen nach Ihrer Zukunft bombadiert, Vertrag haben Sie noch bis 2026. Wie würden Sie sich generell als Typ charakterisieren: Besteht schon lange ein Karriereplan mit Meilensteinen oder wissen Sie übertrieben gesagt noch nicht, was Sie nächsten Monat machen möchten?
Mit der von Ihnen erwähnten Kurzfristigkeit des Denkens bin ich zuletzt sehr gut gefahren. Als junger Spieler kann einfach so viel passieren. Du kannst in einem halben Jahr einen solchen Schritt machen, wie ich ihn gerade gemacht habe. Du kannst aber auch eineinhalb Jahre stehen bleiben. Ich schaue gerade wirklich nur auf die kommende Saison und denke auch noch gar nicht an 2026.
Welche Ziele haben Sie sich noch mit Hannover gesteckt?
Die realistischste Titelchance wäre eine Pokal-Überraschung. Von so etwas träume ich gerade, nicht von anderen Vereinen. In 60 Minuten kannst du mal einen Großen schlagen. Das wäre ein schöner Erfolg, wenn das mit den Recken klappen würde.
Gibt es aber vielleicht seit jeher einen Traumverein, dessen Angebot Sie in Zukunft eigentlich nicht ausschlagen könnten?
Nein, da bin ich zum Glück rational genug. Früher wäre es als Handball-Fan vielleicht die SG Flensburg-Handewitt gewesen. Aber heute würde ich kein Angebot annehmen, ohne gründlich darüber nachzudenken, ob es wirklich das Richtige ist. Deswegen habe ich auch in Hannover verlängert. Der Verein hat noch Potenzial - und ich auch. Dafür bin nur ich selbst verantwortlich, ob ich es ausschöpfe oder nicht.
Flensburg ist ein gutes Stichwort. Bundestrainer Alfred Gislason sieht die SG als Favoriten. Wer wird Ihrer Meinung nach Deutscher Meister in der neuen Saison?
Ich glaube auch, dass Flensburg im Gegensatz zum letzten Jahr auf jeden Fall einen Schritt nach vorne machen wird. In der aktuellen Konstellation sind sie ein extrem gefährliches Team, das Luft nach oben hat. Ich denke, dass sie Magdeburg ernsthaft herausfordern und ein Kopf-an-Kopf-Rennen bieten werden. Auch weil der SCM sicher erst schauen muss, wie die aktuellen Verletzungen nach Olympia aufzufangen sind.
Ihren Ex-Klub SC Magdeburg verfolgen Sie sicher noch genauer. Was macht den SCM so stark?
Magdeburg zeichnet die enorme Effizienz aus. Sie forcieren Würfe aus der Nahdistanz - und da sind fast alle drin. Angriffe werden immer auf den Punkt ausgespielt. Das macht Magdeburg in Perfektion. Wie sie den Ball auch in schwierigen Situationen weiterbekommen, wie sie Entscheidungen treffen, ist außergewöhnlich. In Kombination mit der Abwehrstärke ist das natürlich eine Wucht. So wirst du dann verdient Meister.
In Kiel brechen derweil mit Niclas Ekberg und Steffen Weinhold absolute Vereinsikonen weg. Ist dieses Duo zu ersetzen?
Zumindest schon mal eher als Sander Sargosen und Niklas Landin, die im Sommer 2023 gewechselt sind. Emil Wernsdorf Madsen kommt auf Halbrechts für Weinhold dazu. Womöglich braucht auch er dieses berühmte eine Jahr, um in der Bundesliga anzukommen. Mit Andreas Wolff und dann ab Sommer 2025 Gonzalo Perez de Vargas im Tor sehe ich Kiel aber schon sehr bald wieder als Titelanwärter. Wenn dann auch noch Elias Ellefsen a Skipagötu seine Entwicklung fortsetzt, weiß ich nicht mehr, welches der vielen Top-Teams sich mal an der Spitze absetzen soll.
Bei den Füchsen Berlin, noch so ein Top-Team der HBL, spielt mit Mathias Gidsel der aktuell beste Handballer der Welt. Als Halbrechter können Sie das sicherlich ganz gut einschätzen: Was macht ihn so einmalig?
Wenn man Videoanalysen schaut, dann sieht man, dass sich Mathias im letzten Moment, wo eigentlich gefühlt keine Lücke ist, doch durch die kleinste Lücke durchzwängt. Er ist sehr kräftig, was man ihm erstmal nicht ansieht, dazu kommen diese unglaublichen flinken Bewegungen. Er ist auch enorm clever, nimmt gewisse Körperkontakte bewusst an, um immer mindestens einen Siebenmeter herauszuholen. Bei ihm kann ich mir leider nicht so viel abschauen, weil ich körperlich anders gebaut bin, aber Aspekte seines Spiels schaue ich mir trotzdem ganz genau an.
Wie bewerten Sie die beiden Aufsteiger aus Potsdam und Bietigheim? Trauen Sie jeweils den Klassenerhalt zu? Der VfL ist jüngst überraschend im DHB-Pokal in Rostock gescheitert.
Ich weiß nicht, ob das ein falsches Bild war oder den aktuellen Leistungsstand widerspiegelt. Potsdam hat auf jeden Fall seine wichtigsten Spieler verloren. Ich denke schon, dass sie es sehr schwierig haben und auch wieder absteigen werden. Wenn es einer von beiden schaffen könnte, dann ist es Bietigheim. Dann müsste mal wieder ein arrivierter Bundesligist absteigen. Da fällt es mir aktuell schwer zu sagen, wer das sein könnte.
Träumen darf ja erlaubt sein. Ein Traum der DHB-Verantwortlichen ist derweil der WM-Titel 2027 im eigenen Land. Für wie realistisch halten Sie dieses Ziel? Bei Olympia hat die Mannschaft einen guten Schritt nach vorne gemacht, ist vor allem auch als Team zusammengerückt.
Genau, diesen Eindruck habe ich auch. Gerade was die Ruhe in Stresssituationen oder bei Rückständen angeht, wie es gegen Frankreich der Fall war. Das ist schon sehr wichtig auch für das Spiel. Wenn jeder von uns in den Vereinen seine Hausaufgaben macht und sich weiterentwickelt, dann bin ich mir schon sicher, dass wir 2027 um Medaillen spielen können.
In der Nationalmannschaft hat sich personell in den vergangenen 24 Monaten ja einiges getan. Da drängt sich die Frage auf: Wer gewinnt aktuell beim klassischen Aufwärm-Fußball "Alt gegen Jung"?
(lacht) Das ist so ein bisschen tagesformabhängig. Wenn ich den Kasten als Torwart zumache, dann haben wir immer gute Chancen. Aber ich habe echt ein paar blöde Aussetzer manchmal, da bringe ich unser junges Team ins Hintertreffen. Wir machen uns allerdings tatsächlich ganz gut. Bei Olympia habe ich schon das Gefühl gehabt, dass wir die Alten teilweise überrannt haben. Die werden aber sicherlich eine andere Meinung haben, wenn man sie fragt. (lacht)
Wer ist der beste Fußballer in der Handball-Nationalmannschaft?
Ich würde sagen Juri Knorr. Bei manchen Dribblings und der Ballkontrolle war ich schon überrascht.
Da gibt es aber ja auch die Vergangenheit beim HSV. Sonst noch wer?
Christoph Steinert ist auch sehr gut, steht aber unverständlicherweise im Tor. (lacht)
Wie ist es grundsätzlich um Ihr Fußball-Interesse bestellt?
Tatsächlich sehr wenig. Natürlich habe ich die Heim-EM im Sommer verfolgt. Ich weiß, dass Leverkusen Meister wurde und jetzt den Supercup geholt hat. Das war es dann aber auch schon. (lacht)
Wer ist der Fußball-Nerd aus der Nationalmannschaft, also wen kann man nach eigentlich jedem Thema fragen?
Da würde ich zuerst unseren Co-Trainer Erik Wudtke nennen. Der ist auch leidenschaftlicher Fan vom 1. FC Köln. Mit David Späth, Marko Grgic oder Juri Knorr sind bei uns aber auch die jüngeren Spieler voll drin bem Thema Fußball.
Interview: Maximilian Schmidt