08.11.2024, 17:30
"Vielleicht können wir Türen öffnen"
Doruk Pehlivan stand beim polnischen Top-Klub Kielce unter Vertrag, spielt mittlerweile beim HC Elbflorenz in der 2. Bundesliga. Vor dem Länderspiel gegen Deutschland am Sonntag (10. November) erklärt der Rückraumspieler und Co-Kapitän gegenüber handball-world, wie der türkische Handball einzuschätzen ist.
handball-world: Doruk, welchen Stellenwert hat Handball in der Türkei?
Doruk Pehlivan: Wenn eine Familie entscheiden muss, welche Sportart ihr Kind macht, dann kommt in der Türkei zuerst natürlich Fußball, dann Basketball und Volleyball. Und dann, wenn es gut läuft, kommt Handball. Handball ist in der Türkei so ein bisschen wie der Stiefsohn. Er kriegt nicht das gleiche Interesse wie diese anderen Sportarten.
Das liegt auch daran, dass nur wenige Handballspiele im Fernsehen gezeigt werden. Deswegen ist es natürlich nicht möglich, den türkischen Handball mit deutscher oder einer anderen europäischen Elite zu vergleichen.
Welche Handball-Strukturen gibt es in der Türkei?
Wir haben eine erste Liga, die Süper Lig. Ich weiß nicht die genaue Zahl, aber ich weiß, es gibt mindestens fünf, sechs Ligen in der Türkei. Aber leider sind in der ersten Liga nicht alle Profis. Also ein Großteil der Spieler arbeitet zum Beispiel als Lehrer. Es gibt nur ein, zwei Top-Mannschaften, bei denen nur Vollprofis spielen. Aber die anderen Spieler können nur einmal trainieren, weil sie tagsüber immer beim Arbeiten sind.
Wie konkurrenzfähig sind die türkischen Erstligisten? In welcher Liga in Deutschland würdest du sie einsortieren?
Das ist schwer zu sagen, da es ein großes Gefälle innerhalb der Liga gibt. Besiktas ist das Top-Team in der Türkei, gewinnt seit Jahren die Meisterschaft und den Pokal. Sie haben auch das größte Budget im türkischen Handball, spielen European Cup und haben im Sommer Spieler wie Cédric Sorhaindo oder Eduardo Gurbindo geholt. Sie haben jetzt auch seit zwei, drei Jahren einen spanischen Trainer (Oliver Roy Camino, Anm. d. Red.), der der Mannschaft sehr viel beibringt.
Deswegen würde ich sagen, dass Besiktas locker in der 2. Bundesliga spielen könnte. Ich weiß nicht, ob sie das Niveau haben, zu den besten drei, vier Mannschaften zu gehören. Aber ich würde mal sagen, sie könnten auf jeden Fall einen Mittelfeldplatz erreichen.
Wie sieht es mit den anderen Teams aus?
Vielleicht könnten noch ein, zwei Mannschaften im unteren Tabellendrittel der 2. Bundesliga mithalten.
Wie spielt die türkische Nationalmannschaft, auf was können sich die deutschen Fans am Sonntag (10. November, 15.10 Uhr) freuen?
Wir haben natürlich nicht das technische oder spielerische Niveau von Deutschland oder Österreich. Deswegen müssen wir sehr kämpferisch spielen. Wir müssen mehr Wille zeigen. Wenn ein Team 15 bis 20 Prozent mehr gewinnen will als das andere, dann kann das auch einen Unterschied machen.
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Wie siehst du eure Mannschaft?
Wir hatten vor zwei bis drei Jahren eine erfahrenere Nationalmannschaft. Wir hatten mehr Spieler, die schon in anderen europäischen Ligen gespielt haben. Die sind inzwischen leider ein bisschen zu alt und wir haben nun eine jüngere Generation, die noch viel lernen muss. Es ist für uns eine gute Chance, mit diesen jungen Spielern gegen die Schweiz, Österreich und Deutschland ein bisschen Erfahrung zu sammeln. Und auch der Welt zu zeigen, welche Qualitäten wir haben.
Du selbst trägst sehr viel Verantwortung, bist einer der zwei Kapitäne im Team. Deine Mutter Zeynur und dein Vater Zeki hatten auch beide diese Rolle im Nationalteam inne. Was bedeutet dir das, ihnen so nachzufolgen?
Meine Eltern waren große Vorbilder für mich und es hat mir unheimlich geholfen, zwei so gute Trainer zu Hause zu haben. Ich bin gerade einfach sehr glücklich, dass ich meine Eltern stolz machen kann.
Was muss passieren, damit du mit eurem Auftritt gegen Deutschland zufrieden bist?
Wir wissen natürlich, dass Deutschland eine sehr, sehr starke Handball-Nation ist. Deutschland hat bei Olympia super Leistungen gezeigt. Wir werden natürlich alles geben, um zu gewinnen und die Überraschung zu schaffen. Aber auch wenn wir verlieren sollten, weiß jeder, dass das für den türkischen Handball nicht so dramatisch ist.
Wir wollen von diesem Spiel viel lernen und dem deutschen Handball sowie dem Welthandball zeigen, dass wir auch gute Spieler haben. Vielleicht können wir mit unserem Auftritt für unsere jungen Spieler Türen öffnen, sodass vielleicht künftig mehr Türken in den europäischen Top-Ligen spielen.
Welche Ziele hast du mit der türkischen Nationalmannschaft?
Ich habe den Traum, irgendwann eine Europameisterschaft oder Weltmeisterschaft zu spielen. Wir haben zweimal wirklich starke Leistungen gezeigt und nur mit einem Punkt oder so das EM-Ticket verpasst. Wir wollen unbedingt mal an einer WM/EM teilnehmen, denn dann wirst du auf der großen Bühne spielen, dann sammelst du diese wichtigen Erfahrungen.
Ich denke, das ist ein sehr großer Schritt für ein Land, um eine bessere Handball-Nation zu werden. Denn so können wir mehr Spieler in europäische Vereinsmannschaften schicken. Sie können dann diesen europäischen Handball lernen. Und ich denke, das würde uns auf jeden Fall ein paar Schritte voranbringen.
bec