13.06.2024, 08:17
Sebastian Grobe und Adrian Kinzel:
Abpfiff nach 442 Spielen im Deutschen Handballbund: Sebastian Grobe und Adrian Kinzel sprechen im Interview über die Gründe für ihr Karriereende, den letzten Einsatz in Mannheim und Dankbarkeit.
Wie habt ihr euer letztes Spiel erlebt?
Adrian Kinzel: Es war ein hochemotionaler Abend. Wir wollten alles ganz bewusst genießen. Ich bin ganz ehrlich: Als wir in der Schiedsrichter-Kabine angekommen sind, hat es nicht lange gedauert, bis das erste Mal Tränen geflossen sind. Das letzte Mal zum Warmmachen gehen, das letzte Mal das Headset einschalten, das letzte Mal auf das Spielfeld gehen: Das sind ganz spezielle Momente gewesen.
Sebastian Grobe: Uns war es sehr wichtig, dass wir die Einsätze bis zum Schluss mit Hochspannung und der notwendigen Professionalität absolvieren. Wir wollten keine Abschiedstournee. Deswegen haben wir unser Karriereende im Vorfeld auch nur mit ganz wenigen Menschen besprochen. Es war sehr schön, dass unsere Familien in den letzten Wochen häufiger mit dabei waren als in den letzten Jahren. So hat sich das Abschiedsfeeling ein bisschen aufgebaut mit dem letzten Spiel der Höhepunkt. Es war aber auch ein tolles Setting in der großen Arena und dem Abschied von Uwe Gensheimer.
Adrian Kinzel: Für mich war auch das vorletzte Spiel in Potsdam extrem emotional, weil es zugleich das erste und letzte Mal, dass meine beiden Mädels mit dabei waren - unsere jüngste Tochter ist ja nicht einmal ein Jahr alt. Auch sportlich waren es wirklich coole Spiele, die wir zum Abschluss hatten. Der Nicht-Abstieg von Eisenach gegen Flensburg war ein sensationelles Spiel, das uns noch einmal alles abverlangt hat, dann kam die Meisterfeier in Potsdam und zum Abschluss der Gensheimer-Abschied und die finale Meisterschaft von Magdeburg.
Sebastian Grobe: In Mannheim war es - wie Adrian sagte - hochemotional. Wir haben uns auf dem Spielfeld umarmt, unsere Familien hatten ein Banner gemalt und in der Kabine haben wir angestoßen. Und wie der Zufall es will, wollten vor dem Spiel noch einige Fans ein Selfie machen. Uns hat die Mutter eines Jungen angesprochen, dass ihr Sohn großer Schiedsrichterfan sei und selbst Schiedsrichter werden wolle - und ob wir nicht noch kurz warten könnten, bis er die Autogramme von den Spielern geholt hat. Das haben wir selbstverständlich gemacht und es kamen auch noch ein paar Kinder dazu. Wir waren ganz entspannt, denn wir wollten an diesem Abend einfach jeden Moment aufsaugen. Der Junge war richtig glücklich. Das war schön.
Auf wessen Konto ging der letzte Pfiff in eurer Schiedsrichterkarriere?
Sebastian Grobe: Adrian hat das letzte Tor von Uwe Gensheimer gepfiffen und dann hat Bennet Wiegert die Auszeit genommen, damit sich Uwe verabschieden kann. Wir standen alle auf dem Spielfeld und da kam Matthias Musche zu uns und hat gefragt, ob wir die Zeit nicht einfach herunterlaufen lassen können. Ich habe also nur noch einmal angepfiffen, damit die Uhr nach der Auszeit wieder läuft…
Adrian Kinzel: Und der letzte Pfiff kommt erst noch, denn wir bekommen eine Zugabe geschenkt: Wir dürfen im August das Abschiedsspiel von Niclas Ekberg und Steffen Weinhold in Kiel pfeifen.
Wie seid ihr zu der Entscheidung gekommen, dass ihr jetzt eure Karriere beendet?
Adrian Kinzel: Es ist der richtige Moment. Viele haben gesagt, auch direkt nach dem Spiel, dass sie nicht den Eindruck hätten, dass wir die Altersgrenze schon erreicht hätten - warum wir denn jetzt aufhören, das sei doch schade. Da habe ich gesagt: Genau das zeigt mir, dass es der richtige Moment ist. Wir wollten immer dann gehen, wenn die Leute noch sagen: Schade, dass ihr aufhört!
Wir hätten sicherlich noch weitermachen können, aber zwei anspruchsvolle Jobs, unsere Familien und das Pfeifen nicht nur unter einen Hut zu bringen, sondern auch allen Seiten gerecht zu werden, ist extrem komplex - und kräftezehrend. Wir durften in den letzten Jahren so manches Topspiel pfeifen und haben dieses Jahr eine unsere besten Serien gepfiffen - und das macht es zum richtigen Moment, bevor es eines Tages nicht mehr funktioniert und wir abtreten müssen, weil wir die Dinge nicht mehr miteinander vereinbaren können.
Sebastian Grobe: Wir sind einfach nur dankbar, der Handball hat uns jetzt schon so viel gegeben und uns geprägt, wie kaum etwas anderes. Irgendwann stellt sich dann die Frage: Wie viel mehr kann es einem noch geben? Wir pfeifen seit 23 Jahren zusammen, seit 15 Jahren im Deutschen Handballbund und seit 12 Jahren in der 1. Männer-Bundesliga. Wir waren beim Final Four der Frauen und der Männer und haben das ein oder andere Topspiel leiten dürfen. Das Glas Handball ist so wunderbar voll, aber es gibt auch noch andere Gläser, die jetzt mit Glück gefüllt werden wollen.
Adrian Kinzel: Wir haben immer gesagt, dass wir von Jahr zu Jahr schauen und jetzt wussten wir, dass der Zeitpunkt gekommen ist. Wir haben es Jutta Ehrmann-Wolf, in ihrer Funktion als Leiterin des Schiedsrichterwesens Anfang des Jahres mitgeteilt, damit sie Planungssicherheit hat.
Seid ihr froh, dass eure Karriere jetzt abgeschlossen ist?
Sebastian Grobe: Es sind ganz klassisch ein lachendes und ein weinendes Auge. In gewissen Momenten - beim Saisonstart oder dem Lehrgang - wird es einen Stich geben, aber es ist auch eine gewisse Erleichterung da. Der Moment ist gekommen und es fühlt sich rund an. Die Entscheidung war dennoch unfassbar schwer, denn es ist immer schmerzhaft, etwas so Besonderes zu beenden.
Adrian Kinzel: Bei der Anreise nach Mannheim habe ich gefragt, was überwiegt: Vorfreude oder Wehmut? Basti hat gesagt: Es ist eine Kombination, aber auch eine gewisse Leichtigkeit. Jutta unsere Entscheidung mitzuteilen, war schwierig; sie hatte nicht zum jetzigen Zeitpunkt damit gerechnet. Auch an der Reaktion des Kaders haben wir gemerkt, dass es unerwartet kommt. Wir haben das Pfeifen mit ganz viel Liebe und Leidenschaft zum Sport und all seinen Beteiligten getan, aber ich freue mich jetzt riesig auf die Zeit mit der Familie.
Wie werdet ihr die freie Zeit nutzen?
Adrian Kinzel: Die Familie steht über allem anderen, denn sie haben so oft auf uns verzichten müssen. Wenn ich sehe, wie meine Tochter sich freut, wenn ich mal das ganze Wochenende da bin, weiß ich, dass es richtig ist. Sie fragt dann immer nach: Musst du gar nicht weg? Nicht zur Arbeit? Nicht zum Handball? Es gibt auch noch so viel in und um das Haus zu tun. Ich habe mir ein Buch über Hühner gekauft, vielleicht schaffen wir uns welche an - oder indische Laufenten, denn die fressen auch Nacktschnecken.
Sebastian Grobe: Ich sehe das wie Adrian: Wir wollen unseren Familien etwas zurückgeben. Und auch beruflich sind wir beide sehr eingespannt, das wird nicht weniger.
Werdet ihr dem Handball erhalten bleiben?
Sebastian Grobe: Ich möchte gerne etwas zurückgeben und stehe natürlich mit dem Verantwortlichen für den Coachingbereich Thorsten Zacharias im Austausch und wir werden sicherlich in Abstimmung mit dem Schiedsrichter-Leitungsteam eine gute Lösung für meine Zukunft im Schiedsrichterwesen finden.
Adrian Kinzel: Ich muss schauen, was sich ergibt, aber ich schließe es nicht aus, dass ich in einer neuen Rolle dem Handball erhalten bleibe.
Wie blickt ihr auf die Karriere zurück?
Adrian Kinzel: Das Pfeifen hat uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Ich kann deshalb nur empfehlen, Schiedsrichter zu werden, denn du nimmst davon so viel mit, was du sonst nie erreichst und vermittelst bekommst. Kein Führungskräfteseminar bringt dir das, was die Schiedsrichterei auf diesem Niveau dir bringt.
Sebastian Grobe: Meine Mutter hat mir nach unserem letzten Spiel gesagt: "Ich wusste immer, dass es für deine Entwicklung der richtige Weg war." Sie hat recht. Und das gilt nicht nur für das Pfeifen, sondern auch die Freundschaft mit Adrian, im Grunde fühlt es sich an, als wären wir Brüder. Das ist etwas ganz Besonderes.
Es ist ein Bund fürs Leben, denn keiner hat das mit dir geteilt, was wir geteilt haben. Die gemeinsamen Momente verbinden unglaublich. Man kann es niemanden vermitteln, wie es ist, auch mal 59 Minuten richtig gut zu pfeifen und dann machst du in der 60. Minuten einen schlechten Pfiff und sitzt danach total down in der Kabine.
Adrian Kinzel: Wir haben so viel investiert und gerade am Anfang erfordert es sicherlich ganz viel Idealismus. Nachdem ich nach Bochum gegangen bin, haben wir bei der Abrechnung immer erst ab der Landesgrenze abgerechnet und uns den Firmenwagen meines Vaters geliehen, um zu den Spielen zu kommen, um so wenig wie möglich draufzuzahlen.
Aber es gibt auch so viele Highlights, eigentlich aus jeder Saison. Unser erstes Spiel in der Männer-Bundesliga, aber auch damals unser erstes Spiel in der Regionalliga. Unser erstes richtiges Topspiel in Kiel, THW gegen Magdeburg. Das Final Four. Und auch das letzte Spiel war ein Höhepunkt. Wir sind einfach nur dankbar für alles.
jun