03.10.2023, 11:54
Bundestrainer über die Talentförderung in Deutschland
Keine 100 Tage mehr bis zum Start der Handball-EM in Deutschland. Der Druck auf Bundestrainer Alfred Gislason ist groß. Besonders bei der Förderung von Talenten wünscht sich der Isländer aber auch Unterstützung von der Liga.
Am Montag wurde der nächste Meilenstein auf dem Weg zur Heim-Europameisterschaft erreicht. Nun bleiben Bundestrainer Alfred Gislason und seinen Schützlingen weniger als 100 Tage, um sich physisch wie mental auf das Turnier im eigenen Land vorzubereiten. "Die Erwartungen sind höher als sonst, das ist bei einer Heim-EM klar. Noch ist das Turnier aber zu weit weg, als dass der besondere Druck schon spürbar wäre", erklärt Gislason in einem Interview mit der "Rheinischen Post".
Die an ihm aufgekommene Kritik mit Blick auf die dürftigen Ergebnisse nach der WM im Januar nimmt der Isländer gelassen hin. "Es ist sicher nicht ideal, ausgerechnet gegen Dänemark viele Dinge zu testen, aber nötig, weil wir keine anderen Spiele haben", sagt Gislason mit Blick auf die Niederlagen Mitte März (23:30, 21:28). "Jeder kann meine Ablösung fordern, von mir aus - aber in dieser Hinsicht bin ich entspannt."
Gislason hat schon zu viel mitgemacht, als dass ihm derlei Berichte den Schlaf rauben würden. Die Experimente im Euro Cup seien "wichtig und notwendig" gewesen. "Wir wissen jetzt mehr über die Spieler", sagt er. Mit Blick auf die November-Partien gegen Ägypten steht sein Fahrplan aber auch schon: "Das ist die letzte Woche, die wir vor dem Turnier zusammen sind. Wir kommen auf die Zielgeraden, getestet wird da so gut wie gar nichts mehr."
Planen muss Gislason ohne Fabian Wiede, der sich eine Fraktur am rechten Sprunggelenk zugezogen hat. Aus einem Telefonat berichtet der Bundestrainer: "Fabian war sehr traurig, weil er eine große Rolle hätte spielen können bei der EM. Das ist nach der Operation leider sehr unwahrscheinlich."
Die Option Hendrik Pekeler, der mit seiner Routine und Klasse zum Faktor werden könnte, hält sich Gislason offen. "Hendrik ist ein Weltklassespieler. Er bringt sehr viel Erfahrung mit, aber er ist auch extrem flexibel in so gut wie jeder Abwehrformation einsetzbar. Er würde es uns ermöglichen, in der Abwehr viel mehr Varianten zu spielen", stellt der 64-Jährige klar, der einst Pekeler beim THW Kiel unter seinen Fittichen hatte.
Trotz der bemerkenswerten Leistung der deutschen U-21-Nationalmannschaft bei der Heim-WM, die mit dem Titelgewinn endete, wird Gislason nicht in einen Jugendwahn verfallen: "Man muss auch sagen, dass der Schritt von der U 21 zur A-Mannschaft groß ist." Einigen Talenten traue er aber dennoch zu, noch auf dem EM-Zug aufzuspringen.
Beim Umgang mit den Weltmeistern beschäftigt Gislason mehr das generelle Vorgehen. "Das Problem ist ein anderes: Was passiert mit den Spielern in den Jahren nach der U-21-Zeit? In anderen Ländern übernehmen sie wichtige Rollen in ihren Vereinen und bekommen viel Spielzeit, bei uns eher nicht."
Die Füchse Berlin nehmen seit Jahren eine Vorreiterrolle bei diesem Thema ein. Wohl auch mit Blick auf Nils Lichtlein, Tim Freihöfer & Co. sagt Gislason: "Aber ich bin sehr optimistisch, weil einige der Weltmeister jetzt in ihren Vereinen mehr zum Zug kommen. Das freut mich sehr und macht mir große Hoffnung - auch dass die Vereine verstehen, wie wichtig das ist."
Es müsse aber eine grundsätzlichere Umstellung vorgenommen werden. "Man muss nur den Ausländeranteil von Deutschland und Dänemark vergleichen - dort gibt es viel mehr Platz für die einheimischen Spieler. Das ist seit Jahren so", weiß Gislason: "Die Bundesliga ist die stärkste Liga in der Breite, für viele Skandinavier ist es ein Traum, da zu spielen. Das macht die Liga aus, aber es ist ein Problem für junge Talente."
Die unmissverständliche Kritik des Bundestrainers: "Man sagt immer, dass die Deutschen einfach besser werden müssten, um sich durchzusetzen. Aber wenn in der Hälfte der Bundesligavereine mehr als zehn Nicht-Einheimische im 16er-Kader stehen, ist das problematisch." Einen Lösungsansatz hat er aber auch parat. "Ich plädiere dafür, dass die Bundesligavereine sich darauf verständigen, auf jeder Position nur einen Ausländer einzusetzen. Das würde schon riesig helfen", glaubt Gislason.
msc