13.01.2021, 17:44
"Es übertrifft unsere Befürchtungen"
Die Handball-WM befindet sich kurz vor Turnierstart im Würgegriff der Coronavirus-Pandemie. Auch die deutsche Mannschaft ist angesichts zahlreicher Fälle in anderen Teams besorgt. Zumal es erste Kritik an der "Bubble" gibt.
Uwe Gensheimer und Johannes Bitter nippten entspannt an ihrem Kaffee, Silvio Heinevetter posierte vor den beeindruckenden Pyramiden von Gizeh: Die deutschen Handballer genossen die ersten Stunden in ihrem Luxus-Tempel in Ägypten. Doch die Idylle im Fünf-Sterne-Hotel am Fuße des Weltwunders war trügerisch, vor dem Turnierstart gegen Uruguay am Freitag (18 Uhr) beherrschte das Corona-Chaos bei anderen Teams die Schlagzeilen.
"Ich hoffe, dass es nicht mehr Nachrichten von dieser Sorte gibt und wir davon verschont bleiben", kommentierte Kapitän Uwe Gensheimer am Mittwoch die zahlreichen Corona-Fälle bei verschiedenen Teams, die in der WM-Absage von Tschechien und den USA gipfelten. Für Rückraumspieler Kai Häfner ist klar: "Ganz ausblenden kann man das nie, weil das Thema sehr präsent ist. Natürlich bekommt man das alles mit."
"Es übertrifft unsere Befürchtungen, dass wir innerhalb von acht Stunden die Hiobsbotschaften aus Tschechien und den USA bekommen", sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer: "Auch die Einzelfälle in anderen Nationen spielen uns nicht in die Karten - vor allem mit Blick auf diejenigen, die hier alles enorm kritisch betrachten."
Aus diesem Grund nahm der Deutsche Handballbund am Mittwoch umgehend Kontakt mit dem Weltverband IHF auf. "Wir müssen in einigen Dingen nachjustieren", berichtete Kromer. Dazu gehöre eine stärkere Separierung bei den Mahlzeiten im Teamhotel in Gizeh. "Da wollen wir mit Nachdruck erreichen, dass weitere Räumlichkeiten geöffnet werden, um das Risiko in diesem Bereich weiter zu minimieren", betonte der 44-Jährige. Zugleich warnte er aber vor Hysterie: "Ich kann nicht über Emotionen an solch ein Thema herangehen. Wir müssen daran arbeiten, dass alles so läuft, wie wir uns das vorstellen. Wir können die Dinge, die außerhalb unseres Kreises passieren, ohnehin nicht beeinflussen."
Heftige Kritik an den Bedingungen vor Ort äußerte hingegen Superstar Sander Sagosen vom deutschen Rekordmeister THW Kiel, der mit dem norwegischen Team im gleichen Hotel untergebracht ist. "Bis jetzt ist das alles eine Parodie und Wilder Westen gewesen", sagte der 25-Jährige am Mittwoch. Im Hotel gingen die Leute ein und aus, alle Teams (insgesamt sind acht im "Mena House" untergebracht) kämen außerdem beim Essen zusammen. Seine Mannschaft befinde sich in einem "Schockzustand".
Noch ehe Gastgeber Ägypten die Endrunde am Mittwochabend gegen Chile eröffnet, wurde das Turnier am Nil durch die von vielen Kritikern befürchteten Corona-Probleme überschattet. Denn auch bei Brasilien und dem deutschen Vorrundengegner Kap Verde haben sich mehrere Spieler mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert.
Nähere Informationen darüber lagen Kromer zunächst nicht vor. "Wir kennen das nur aus den Medienberichten", sagte der 44-Jährige. "Ich denke, die IHF arbeitet derzeit an Lösungen, wie damit umgegangen wird." Doch auch der Weltverband tappte am Mittwochmittag im Dunkeln. "Bezüglich Kap Verde haben wir keine offiziellen Informationen erhalten", hieß es auf dpa-Anfrage. Sollten weitere Teams ihre WM-Teilnahme absagen müssen, wären die Niederlande und Montenegro die nächsten Nachrücker.
Den Platz der Tschechen in der Gruppe G nimmt Nordmazedonien mit Altstar Kiril Lazarov ein. Für die USA springt in der Gruppe E die Schweiz mit Weltklasse-Regisseur Andy Schmid ein. "Das ist völlig surreal. Ich hatte mich auf Homeschooling eingestellt, jetzt spiele ich eine WM", sagte der 37-Jährige vom Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen dem "Mannheimer Morgen" und fügte hinzu: "Ich weiß, dass es wegen der Corona-Situation Argumente für und gegen die WM gibt. Aber ich muss das machen, ich muss diese WM spielen. Diese Chance habe ich wahrscheinlich nur dieses eine Mal in meinem Leben."
Schon an diesem Donnerstag müssen die Eidgenossen gegen Österreich ran. Das birgt natürlich Gefahren, hat sich die Mannschaft doch nicht gemeinsam in einer geschlossenen Blase auf das Turnier vorbereitet. "Alle möglichen Nachrücker haben sich im Vorfeld verpflichtet, die gleichen Maßnahmen wie die teilnehmenden Teams zu treffen", teilte die IHF dazu mit.
Dennoch bleiben Zweifel. "Wir wissen alle, dass trotz negativer Tests das Virus schon in einem Körper schlummern kann. Deswegen wird es in den nächsten Tagen ein erhöhtes Risiko geben", sagte Kromer und betonte: "Erst wenn die Veranstaltung richtig läuft und die Bubble geschlossen ist, wird das Risiko geringer."
dpa/sid