11.11.2020, 17:46
Reaktionen aus der Liga - Melsungen fährt 1000 Kilometer umsonst
Zwei positive Corona-Befunde in der Handball-Nationalmannschaft sorgen für gehöriges Terminchaos in der Liga - und für 1000 Kilometer Busfahrt ohne jeglichen Kempa-Trick oder Tempogegenstoß.
Silvio Heinevetter nahm den ganzen neuen Corona-Ärger mit Humor. "Wollen wir einfach mal nach Flensburg und direkt wieder zurück fahren?", fragte der Nationaltorhüter bei Instagram, postete dazu ein Bild seines DHB-Kollegen Finn Lemke mit Daumen hoch und kletterte anschließend mit seinem Team in den Mannschaftsbus.
Ihrer Arbeit hatten Heinevetter und Co. nicht nachgehen können. Denn statt in die Halle zum Spitzenspiel bei der SG Flensburg-Handewitt ging es für die Handballer der MT Melsungen am Mittwochmorgen unverrichteter Dinge auf den 500 Kilometer langen Heimweg.
Mit der kurzfristigen Absage des Liga-Gipfels nur acht Stunden vor dem geplanten Anpfiff und zweier weiterer Partien am Donnerstag hat die Coronakrise den Handball nun auch sportlich voll erwischt. Und Auslöser ist ausgerechnet die deutsche Nationalmannschaft, die am Mittwoch nach Torhüter Johannes Bitter (TVB Stuttgart) den zweiten Coronafall meldete: Marian Michalczik (Füchse Berlin).
"Jetzt hat sich im Endeffekt das bestätigt, wovor wir alle gewarnt haben", sagte DHB-Kreisläufer Hendrik Pekeler, dessen für Donnerstag vorgesehene Spiel mit dem THW Kiel gegen Berlin ebenfalls gestrichen wurde, bei Sky. Er erwarte auch noch weitere Absagen in dieser schwierigen Situation.
Wie Pekeler hält auch Melsungens Geschäftsführer Axel Geerken, der Keeper Heinevetter, dessen fünf DHB-Kollegen und den Rest des MT-Teams nach der gemeinsamen Übernachtung am Mittwoch und dem Frühstück zurück in den Bus beorderte, die Spielverlegungen für die "richtige Entscheidung" mit Blick auf ein mögliches Infektionsrisiko. Doch er konstatiert im Gespräch mit dem SID auch: "Die Lehrgangswoche der Nationalmannschaft kann dazu führen, dass die gesamte Liga lahmgelegt wird."
Denn neben den Spielen in Flensburg und Kiel wurde auch die am Donnerstag geplante Partie TSV Hannover-Burgdorf gegen Frisch Auf Göppingen wegen des Kontakts von Bitter zu Göppinger Spielern vorsorglich verlegt. Dem Handball, so viel steht fest, droht mit Blick auf den engen Spielplan ein gehöriges Terminchaos.
"Jetzt haben wir den Salat", sagte Ligachef Frank Bohmann dem SID. Für die betroffenen Spiele werde man eine Verschiebung hinbekommen. "So richtig viel Raum haben wir aber nicht", betonte er und verwies auf die vielen Wettbewerbe mit Liga, Europapokal, EM-Qualifikation und WM: "Das zeigt die vielen Marionettenschnüre. Es wird irgendwann ein Hauen und Stechen geben. Und das möchte ich möglichst vermeiden."
Doch Bohmann, der dem DHB wie Geerken keinerlei Vorwürfe macht, ahnt: Angesichts möglicher weiterer Coronafälle und womöglich von den Gesundheitsämtern örtlich verhängten Quarantäne-Maßnahmen könnten die Verlegungen nur der Anfang sein.
Mit dem Thema "Parallel-Szenarien" für den Fall einer notwendigen Saison-Verkürzung ist in der HBL jedenfalls längst eine Arbeitsgruppe befasst. Doch auch um die Austragung der Mega-WM im Januar mit 32 Teams wird es nicht bloß aus epidemiologischer Sicht neue Diskussionen geben.
"Es ist richtig, dass wir uns über Alternativen Gedanken machen müssen, aber es gibt keinen Grund zur Hektik", sagte Bob Hanning dem SID. Als DHB-Vizepräsident und Geschäftsführer der Füchse Berlin kennt er beide Seiten. "Wir können das Programm nach aktuellem Stand noch durchziehen", ist Hanning überzeugt. Die WM stehe jedenfalls "nicht im geringsten" zur Diskussion: "Es geht schließlich auch ums Überleben unserer Sportart."
Pekeler versteht beim Thema WM, "dass der DHB da im Zugzwang ist und spielen möchte". Wenn man aber betrachte, "wie sich jetzt die Fälle entwickelt haben in den ganzen Mannschaften, ist es eigentlich nicht vertretbar."
aho/sid