04.06.2021, 19:01
"Projekt" Melsungen lässt große Titelchance liegen
Der TBV Lemgo Lippe hat dem sensationellen Halbfinal-Erfolg gegen Kiel die zweite bärenstarke Leistung folgen lassen und mit einem 28:24 (15:12) gegen Melsungen den ersten DHB-Pokal seit 2002 gewonnen.
Was wurde in den vergangenen Jahren nicht alles geschrieben über das "Projekt" Melsungen. Die in großem Maße von der B. Braun Melsungen AG (deutsches Pharma- und Medizinbedarfsunternehmen) unterstützte MT lotste Nationalspieler um Nationalspieler nach Nordhessen. Erfolge stellten sich deswegen aber keine ein. Regelmäßig leistete sich Melsungen unerklärliche Aussetzer in der Liga, nach einer 17-Tore-Klatsche in Kiel Ende September 2018 gab Geschäftsführer Axel Geerken gar zu, dass er sich für die Leistung "schäme".
Und auch in dieser Saison ist Melsungen, das zwischenzeitlich massiv von der Corona-Pandemie betroffen war, nach 32 absolvierten Partien nur Achter - mit bereits 28 Minuspunkten. An der bloßen Qualität kann das nicht liegen: Das von Trainer Gudmundur Gudmundsson (Goldmedaille mit Dänemark in Rio 2016) angeführte Ensemble ist gespickt mit Nationalspielern, im Sommer kamen mit Keeper Silvio Heinevetter und Rechtsaußen Timo Kastening zwei weitere DHB-Stars dazu. Der nächste Top-Transfer ist mit dem Portugiesen André Gomes bereits eingetütet.
Und dennoch hält das Warten auf den allerersten Titel der Vereinsgeschichte an. Nach dem Halbfinalsieg gegen Hannover-Burgdorf war die Chance größer denn je - doch der bereits am Donnerstag sensationell kämpfende Kiel-Bezwinger TBV Lemgo Lippe war am Freitag schlichtweg besser aufgelegt. Was es noch bemerkenswerter macht: Lemgo, in der Liga mit deutlich geringeren Mitteln respektabler Elfter, stand noch vor neun Jahren am Abgrund - bei der Beinahe-Insolvenz hatte der TBV ein Loch von 1,4 Millionen Euro im Etat zu stopfen.
In der Hamburger Barclaycard Arena, an Pokal-Wochenenden eigentlich ein Tollhaus, brach MT-Rechtsaußen Tobias Reichmann den Bann (1:0, 3.). Der TBV erwies sich aber sofort als ebenbürtiger Gegner, zog die Führung schnell auf seine Seite. Melsungen wehrte sich, stellte angeführt von Abwehrchef Finn Lemke eine massive 6:0-Deckung und schlug nach einer Viertelstunde zurück (9:6, 19.).
Lemgo blieb standhaft, weswegen Gudmundsson für den größtenteils glücklosen Nebojsa Simic zwischen den Pfosten Heinevetter - im Halbfinale noch überragend, diesmal mit nur vier Paraden - brachte. Doch der leichte Außenseiter bewies erneut Kampfkraft und Moral, ein bärenstarker 7:1-Lauf bis zur Pause drehte den Spieß zugunsten des TBV wieder um (15:12). Seinen Anteil daran hatte auch der erst 20-jährige Lemgoer Keeper Finn Zecher, der seinen Kasten nach Einwechslung vernagelte.
Mit dem ersten Siebenmeter des Spiels erhöhte Lemgos Linksaußen Bjarki Mar Elisson in der 35. Minute auf 16:12. Mit Kai Häfner und über den Kreis kämpfte sich Melsungen etwas heran, doch der TBV um den sich weiter steigernden Zecher (zwischenzeitlich bei 50 Prozent Fangquote) hielt die MT auf Abstand.
Nach dem dritten Tor vom hochemotionalen, bereits 36-jährigen Christoph Theuerkauf am Kreis bestand im Lemgoer Fanlager kaum noch ein Zweifel (20:15, 49.), dass der TBV den ersten DHB-Pokal seit 2002 eintüten würde. Melsungen erhöhte das Tempo und kam durchaus zu einfachen Toren, doch auf der Gegenseite traf der im Finale überragende Jonathan Carlsbogard die richtigen Entscheidungen (25:20, 55.).
Am Ende stand ein verdienter 28:24-Erfolg für den zweimaligen deutschen Meister Lemgo (1997, 2003), der nach 1995, 1997 und 2002 zum vierten Mal den DHB-Pokal gewinnen konnte. Für TBV-Coach Florian Kehrmann - unter anderem Weltmeister 2007, Europameister 2004, Silbermedaillengewinner bei Olympia 2004 und Pokalsieger 2002 - war es der erste große Erfolg als Trainer.
Tore für den TBV: Carlsbogard 5, Zerbe 5, Elisson 4/1, Theuerkauf 3, Cederholm 2, Guardiola 2, Guardiola Villaplana 2, Kogut 2, Simak 2, Baijens 1
Tore für die MT: Pavlovic 6, K. Häfner 4, Kühn 4, Reichmann 4/1, Danner 2, Allendorf 1, Kunkel 1, F. Lemke 1, Salger 1
Schiedsrichter: Tobias Tönnies (Stendal)/Robert Schulze (Magdeburg)
Zuschauer: 2000
Strafminuten: 4 / 4
Disqualifikation: - / -
Maximilian Schmidt