07.08.2024, 15:05
Intensiver Schlagabtausch, kurioser Ausgleich und Uscins ins Glück
Deutschland lieferte Gastgeber und Titelverteidiger Frankreich im Viertelfinale des Handball-Turniers bei Olympia einen packenden Schlagabtausch. Das DHB-Team kämpfte sich nach einem zwischenzeitlichen Sechs-Tore-Rückstand zurück, gab sich nicht auf und kämpfte sich nach dramatischen letzten Sekunden in die Verlängerung. In dieser legte Deutschland wieder vor und feierte ein Happy End. Während sich Frankreich mit besten Turnierleistung aus diesem verabschiedet, ist Deutschland nur noch einen Sieg von einer Olympia-Medaille entfernt.
Einen ersten Vorgeschmack auf die Atmosphäre bei diesem Viertelfinale des Handball-Turniers bei Olympia zwischen Gastgeber Frankreich und dem als Gruppensieger durch die Vorrunde marschierte Deutschland erhielten Johannes Golla und Co. bereits vor dem Einlaufen, als sie mit einem Pfeifkonzert begrüßt wurden.
Die Spielervorstellung ging in "Allez, les Blues"-Rufen unter, die inbrünstig gesungene Nationalhymne der Franzosen sorgte für Gänsehaut-Atmosphäre. Bundestrainer Alfred Gislason schickte unterdessen für den Auftakt seine gewohnte Formation aus Andreas Wolff, Lukas Mertens, Julian Köster, Juri Knorr, Renars Uscins, Christoph Steinert und Johannes Golla auf das Feld.
Vor der beeindruckenden Kulisse entwickelte sich von der ersten Minute an ein hochintensiver Schlagabtausch. Elohim Prandi legte die erste Führung für Frankreich vor, doch Deutschland hielt dagegen. Sebastian Heymann, der in der Defensive für Knorr kam, warf die deutsche Mannschaft nach einem Ballgewinn erstmals mit zwei Toren in Führung (4:2. 5.).
Während Deutschland als Gruppensieger mit viel Selbstvertrauen anreiste, hatte Frankreich eine schwierige Vorrunde hinter sich. Von den Problemen war dem Spiel nichts anzusehen. Die Deckung um Abwehrchef Karl Konan agierte aggressiv und rückte teilweise weit raus, womit sie gezielt den Spielfluss unterbrachen und der deutschen Mannschaft den Schneid abkauften.
Hinzu kam ein stark aufgelegter Vincent Gerard, der das Torwartduell zunächst klar für sich entschied. Bis zum 5:5 (10.) blieb das Spiel ausgeglichen, dann setzte sich Frankreich erstmals leicht ab. Es war die Phase von Dika Mem, der Rückraumspieler nutzte den Raum, den ihm die deutsche Deckung ließ und traf. Und traf. Und traf.
Beim 12:8 (17.) lag sein Team erstmals mit vier Toren in Front. Bei Deutschland stand inzwischen David Späth für den glücklosen Wolff im Tor. Der junge Keeper kam hingegen gut rein und brillierte früh mit einer Doppelparade gegen Mem und Ludovic Fabregas.
Auch, wenn in der Deckung der Zugriff auf Mem fehlte, hielt Deutschland das Spiel offen. Mit einem Kempa verkürzte Uscins auf 10:12 (19.). Kurz darauf musste der Linkshänder jedoch auf der Bank Platz nehmen: Er war mit Mem aneinandergeraten, es kam zu einer kurzen Rudelbildung und am Ende stellten die dänischen Schiedsrichter Jesper Madsen und Mads Hansen sowohl Mem als auch Uscins hinaus.
Die Franzosen wussten das zu nutzen - auch dank der Paraden von Gerard, der vom Publikum mit Sprechchören gefeiert wurde. Nach einer Abwehraktion gegen Mertens netzte der eingewechselte Melvyn Richardsson zum 15:11 (23.) für Frankreich ein und ließ kurz darauf das 17:12 (27.) folgen.
Auch David Späth hatte jedoch seine Momente, sodass Deutschland die Differenz vor der Pause wieder verringern konnte: Ein Doppelschlag von Sebastian Heymann und Renars Uscins sorgte für Hoffnung bei den deutschen Fans - auch weil der letzte Angriff der Gastgeber ins Leere ging. Die Equipe Tricolore nahm dennoch ein 17:14 mit in die Kabinen.
Auch den zweiten Durchgang eröffnete Prandi - diesmal sogar mit einem Doppelpack in weniger als 60 Sekunden (19:14, 31.). Hugo Descat stellte nach einer weitere Gerard-Parade erstmals auf sechs Tore (20:14, 32.). Deutschland ließ jedoch nicht abreißen und arbeitete sich über die starke Defensive und die Paraden von Späth zurück.
Nach dem 17:21 (34.) durch Steinert war das deutsche Team wieder in Schlagdistanz; der Linkshänder hatte beim Wurf zudem eine Zeitstrafe gegen Hugo Descat gezogen. Die Überzahl nutzte das DHB-Team, das 19:21 (36.) durch Dahmke war der zweite Treffer ins Folge ins leere Tor. Nach einer weiteren Parade von Späth bestand die Chance zum Anschluss, doch gegen die kompakte Defensive um Konan fand das Team von Gislason kein Durchkommen.
Frankreich legte durch den siebten Treffer von Mem, der weiterhin viel Raum bekam, noch einmal vor (20:23, 42.), doch Deutschland biss sich nun endgültig fest: Golla traf zum Anschluss (24:25, 46.) und Späth ermöglichte mit einer Parade den Ausgleich. Uscins ging zum Wurf, doch Konan hielt dagegen. Der Linkshänder ging zu Boden, die Schiedsrichter entschieden nach Ansicht der Videobilder auf eine Zeitstrafe und Deutschland glich aus (25:25, 48.).
Es wurde nun ein Nervenspiel, in dem die DHB-Auswahl durch einen Treffer von Heymann nach Steal von Golla erstmals seit der Anfangsphase die Führung übernehmen konnte (26:25, 51.), jedoch innerhalb von nicht einmal zehn Minuten auch drei Siebenmeter vergab. Marko Grgic, Knorr und noch einmal Grgic scheiterten von der Linie an Gerard, während Descat seinen Strafwurf cool versenkte (26:26, 53.).
In der Crunchtime konnte nun jede Aktion zählen: Köster machte Mem gekonnt fest, doch eine Aktion später fand der Rückraumspieler wieder einen Weg zum Tor (26:27, 55.). Heymann wurde hingegen geblockt und mit einem überragenden Reflex wehrte Gerard auch den Wurf von Knorr ab. Der Spielmacher prallte von seinem Schwung mitgezogen gegen den herausgetretenen Remili, beide gingen zu Boden und wurden behandelt.
Obwohl beide signalisierten, weiterspielen zu können, mussten sie vom Feld; bei Deutschland kam Witzke für Knorr. Frankreich blockte den Freiwurf, doch auf der anderen Seite parierte Späth. Das DHB-Team hatte die Chance zum Ausgleich, scheiterte jedoch abermals an Gerard. Nach einem Siebenmetertreffer der Franzosen (26:28, 58.) zog Gislason die Auszeit und brachte den siebten Feldspieler.
Jannik Kohlbacher holte mit seiner ersten Aktion in diesem Spiel einen Siebenmeter heraus. Diesmal übernahm Uscins cool die Verantwortung und traf (27:28, 59.). Frankreich brachte den Ball langsam nach vorne - und Mem netzte ein (27:29, 60.).
Dem deutschen Team lief nun die Zeit davon. 13 Sekunden vor dem Ende verwandelte Uscins einen weiteren Siebenmeter zum Anschluss und Frankreich ließ sich Zeit. Als Guillaume Gille die Auszeit nahm, waren noch sechs Sekunden auf der Uhr. Das Spiel schien entschieden, doch die DHB-Auswahl gab den letzten Funken Hoffnung nicht auf.
Deutschland stellte sich auf: Prandi spielte den Anwurf zu Mem, mehrere deutsche Spieler setzen ihn unter Druck - Mem zögert, spielt den Ball nach vorne, doch in die Hände von Köster. Ein schneller Pass zu Uscins, der warf - und traf in buchstäblich letzter Sekunde zum Ausgleich. Die Schiedsrichter kontrollierten noch per Videobeweis, ob der Ball rechtzeitig im Tor und regulär erzielt war - und bestätigten den Treffer. Das Spiel ging in die Verlängerung.
In der Verlängerung ging der erste Wurf von Mem neben das Tor, während Uscins auf der Gegenseite zum 30:29 (62.) hochstieg. Frankreich konterte mit einem Siebenmeter und einem Gegenstoß durch Descat (30:31, 63.), doch erneut war es Uscins, der vorne die Verantwortung übernahm (31:31, 64.). Das Duell war längst eine Nervenschlacht geworden - und Uscins avancierte zum Entscheidungsspieler.
In der Folge wurde es unübersichtlich: Nach einem Gerangel am deutschen Sechs-Meter-Kreis ging Fabregas zu Boden. Die Schiedsrichter zogen den Videobeweis zu Rate, stellten Steinert für Trikotziehen hinaus und sprachen Frankreich einen Siebenmeter zu. Descat verwandelte zum 31:32. Deutschland trieb den Ball noch einmal nach vorne und holte ebenfalls einen Siebenmeter heraus, den Uscins zum Ausgleich verwandelte (32:32, 65.).
Nach Wiederanpfiff überstand Deutschland die Unterzahlsituation und hatte durch einen Ballgewinn von Golla die Chance, selbst in Führung zu gehen. Uscins übernahm wieder die Verantwortung, zog zum Tor und wurde von Prandi im Gesicht getroffen. Der Franzose erhielt eine Zeitstrafe und Deutschland kam über Golla zum 34:33 (66.). Gille brachte Nikola Karabatic zurück, doch Frankreich fand in Unterzahl kein Durchkommen.
Eine Minute vor dem Ende unterbrach plötzlich die Sirene das Spiel, doch es schien sich lediglich um einen technischen Defekt zu handeln. Späth parierte anschließend gegen Mem, doch Frankreich blieb im Ballbesitz. Remili stieg hoch und glich aus. Deutschland trieb den Ball nach vorne und brachte ihn ein weiteres Mal zu Uscins, der zum 35:34 traf. Die letzten Sekunden verrannen, Deutschland blockte den Ball und jubelte bereits, doch es gab noch einen Videobeweis. Dann jedoch der Abpfiff - und Deutschland feierte den Einzug in das Halbfinale.
Deutschland: Späth (14 Paraden), Wolff; Uscins 14/3, Golla 6, Heymann 6, Knorr 5, Köster 1, Dahmke 1, Mertens 1, Steinert 1, Witzke, Häfner, Grgic, Kohlbacher
Frankreich: Gerard (24 Paraden), Desbonnet; Mem 10, Descat 8/4, Prandi 4, Richardson 3, Fabregas 3, Remili 2, Tournat 2, Minne 1, Porte 1, N. Karabatic, L. Karabatic, Konan
Schiedsrichter: Hansen / Madsen (DEN)
Strafminuten: 6/12
Siebenmeter: 3/6 ; 4/4
mehr zum Handball-Turnier bei Olympia auf handball-world
» Spielbericht Deutschland - Frankreich
» Das Sechs-Sekunden-Wunder bei Deutschland gegen Frankreich
» Lukas Mertens: "So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt"
» "Phänomenal": Alfred Gislason über den Frankreich-Thriller
» Renars Uscins: Ein Debütant bei Olympia auf der Überholspur
jun