09.12.2023, 15:30
Nach Petkovic-Kritik
"Seit ich weg bin, ist keine Entwicklung da", erklärte Velimir Petkovic im Rückblick auf den zehnten Jahrestag seiner Freistellung bei Frisch Auf Göppingen auf handball-world. Hat er Recht?
"Damals ist mit viel weniger Kohle alles besser gewesen. Wir haben in der Bundesliga gut gespielt mit viel weniger Kohle. Und wir haben ständig in Europa gespielt, das war die Sahne auf der Torte", so Petkovic, der betonte: "Als ich dort Trainer war, habe ich immer Stress gemacht. Ich habe immer größere Ziele gehabt. Ich bin mir nicht sicher, dass das dort jetzt jemand macht, dass jemand mehr will."
Felix Buß begleitet Frisch Auf Göppingen für handball-world seit 2003 und zeichnet den Weg des Vereins in den letzten zehn Jahren unter der Fragestellung "Entwicklung oder nicht?" nach. Zu bedenken ist dabei allerdings, eine Entwicklung ist - da auch die Konkurrenten nicht stehen bleiben - auch notwendig, um den Status Quo zu erhalten.
Vor zehn Jahren, am 3. Dezember 2013, endete bei Frisch Auf Göppingen die Ära von Trainer Velimir Petkovic nach fast zehn Jahren vorzeitig. Im Sommer 2004 hatte der gebürtige Bosnier den Bundesligisten übernommen, nach der katastrophalen Saison 2003/04, in der Kurt Reusch als drittem nachverpflichteten Trainer der Klassenerhalt gelang.
Velimir Petkovic baute in der Folge ein erfolgreiches Team auf, das 2011 und 2012, nach 49 Jahren, wieder internationale Titel errang. Seit Ende 2013 hat Frisch Auf Göppingen fünf weitere Trainer und zwei weitere Triumphe im internationalen Bereich erlebt - und spielt in der Bundesliga doch seit einigen Jahren unter den Erwartungen.
Beim Blick auf die Tabelle der Handball Bundesliga ist Frisch Auf Göppingen nach 15 Spielen mit elf Punkten auf Rang zwölf zu finden. Mit dem aktuellen Trainer Markus Baur, der die Grün-Weißen am 30. November 2022 nach der Entlassung von Hartmut Mayerhoffer übernommen hat, hatte ein frischer Wind unter dem Hohenstaufen wehen sollen. Der Verein war in der vergangenen Saison, nach einigen Jahren, zurück in der European League, da 2022 der fünfte Platz erreicht worden war.
Frisch Auf Göppingen schaffte in der vergangenen Spielzeit unter Baur die Qualifikation für das Final Four der EHF European League - erstmals seit 2017, als die Schwaben mit einer furiosen Leistung im Endrundenturnier, von außen betrachtet völlig unerwartet, den SC Magdeburg und die Füchse Berlin schlugen und den Titel holten. Bei diesem bisher letzten Höhepunkt war Manuel Späth der Kapitän und Antreiber - 2006 hatte Velimir Petkovic den damals 20 Jahre jungen Kreisläufer ins Team geholt.
Erfolg im Sport ist immer auf mehreren Ebenen erklärbar. Die Hauptbausteine sind die Spieler, die ein Team mit einer Führungsstruktur bilden sollen. Dabei gibt der Trainer die richtigen Impulse und kann das Team formen und weiterentwickeln. Markus Baur gelang dies in der vergangenen Saison, da beispielsweise der namhafte Bundesliga-Neuling Blaz Blagotinsek nach einigem Anlauf im Göppinger Spiel heimisch wurde und den Weggang von Jacob Bagersted im Abwehrzentrum gut kompensierte.
Den Dänen Bagersted hatten die FAG-Verantwortlichen 2017 verpflichtet, nachdem Manuel Späth den Verein Richtung TVB Stuttgart verlassen hatte. "Er gibt immer sein Bestes und ist daher Vorbild im Training und im Spiel", hatte Magnus Andersson einmal über Späth gesagt. Bagersted ist auch eine solche Persönlichkeit. Mit Kresmir Kozina ist seit 2017 einen weiteren Akteur im Kader, der Menschen mitreißen kann. Das reicht aber offenbar nicht, um ständig die Erwartungen zu erfüllen.
Geld ist ein weiterer Faktor für sportlichen Erfolg. Wer finanziell solide wirtschaftet und sprudelnde Einnahmequellen auftut, wird dauerhaft erfolgreich sein, wenn die richtigen Spieler und Trainer gefunden werden, die eine vorwärtsstrebende Einheit bilden. Im September 2020, mitten in der Corona-Pandemie, hat FAG mit TeamViewer einen potenten Hauptsponsor gewonnen. Der Kontrakt mit dem Software-Unternehmen mit Sitz in Göppingen wurde zuletzt um eine Saison verlängert.
Die Erinnerung bei den Verantwortlichen an das Jahr 2012 dürfte noch lebhaft sein: Der damalige Hauptsponsor EnBW kehrte dem Verein den Rücken. Mit drei "Premium-Partnern" ging es weiter. Nach Jahren des sportlichen Erfolgs, darunter drei Final-Teilnahmen im EHF-Pokal und zwei Titel, belegte man in der folgenden Saison unter Velimir Petkovic, der immer "mehr" wollte und verlangte, Rang elf. Eine Durststrecke schien sich abzuzeichnen. Petkovic wollte dennoch weitermachen.
Die Ära Petkovic war nicht ausschließlich erfolgreich, doch bis auf 2006/07 und seine beiden letzten Jahre stand am Ende immer ein einstelliger Tabellenplatz. Fünfmal gelang, entweder über die Liga oder die Abschlussplatzierung im EHF-Pokal, die Qualifikation fürs internationale Geschäft. Auch nach Petkovic spielte Göppingen bis 2017 in vier Spielzeiten international. Mit Magnus Andersson war wieder ein passender Trainer gefunden worden. Die Fans dankten es in Scharen und mit Applaus.
Spätestens ab der Saison 2016/17, als der vierte und überraschende EHF-Pokal-Triumph die Probleme noch übertünchte, wurden bei Frisch Auf Göppingen Erfolge Mangelware. Der zehnte Platz, der auch in der folgenden Spielzeit erreicht wurde, genügte den Ansprüchen der Schwaben nicht. Dabei haben sich mit den Füchsen Berlin (seit 2011), dem SC Magdeburg (wieder seit 2016) oder der TSV Hannover-Burgdorf mehrere Wettbewerber an Frisch Auf Göppingen vorbei entwickelt.
In der Saison 2021/22 lief es wieder einmal sportlich gut. Der Stern von Sebastian Heymann war in der vorherigen Spielzeit mit 148 Treffern gerade aufgegangen. Mit Janus Smarason war ein weiterer Kreativspieler im Kader. Daniel Rebmann zeigte teils exzellente Leistungen. Jacob Bagersted, Kresimir Kozina und Dauerbrenner Tim Kneule, seit 2006 in Göppingen, organisierten das Kollektiv. Konkurrenten wie die Rhein-Neckar Löwen taten sich zugleich schwer, ihre PS aufs Feld zu bringen.
Es sind diese positiven Momente und teils auch längeren starken Phasen, die im Umfeld den Ruf nach "Mehr", den Velimir Petkovic in den Verein gebracht hat, laut werden lassen. Denn es folgten auch wieder Rückschläge. Hauptsponsor TeamViewer dürfte mit der aktuellen Performance nur bedingt zufrieden sein. Dabei war, gerade gegenüber den Fans, die Rückkehr des grün-weißen Trikots ein wichtiges Signal. Das Publikum, zuletzt im eigentlich immer überdurchschnittlich besuchten Duell mit Balingen nur 4.000 Zuschauer, lässt sich davon allein aber nicht locken. Rang zwölf ist nicht gut genug. Erfolge liegen sechs Jahre zurück
Die letzten großen Erfolge, die EHF-Pokal-Siege 2016 und 2017, sind sechs bzw. sieben Jahre her. Mit Blick auf die Zuschauerzahlen der Klubs, die aussichtsreich um die heutzutage maximal sechs internationalen Startplätze kämpfen und die bei jedem Heimspiel über 5.500 Fans anziehen - so viele passen in eine (lange nicht mehr) ausverkaufte EWS-Arena - scheint die nächste große Ära nicht greifbar zu sein. Und auch der regionale Konkurrent TVB Stuttgart hat derzeit mehr Zuschauer.
Hinzu kommt ein Trainer auf Abruf. Der Nachfolger von Markus Baur wurde, mit Benjamin Matschke, bereits vorgestellt. Sicherlich gemeinsam mit dem "Schattenmann", wird der Verein nun für die kommende Spielzeit einen Kader zusammenstellen. Der Abgang von Sebastian Heymann hingegen steht bereits fest und der Vertrag von Kapitän Tim Kneule endet 2024 genauso wie die Kontrakte von Marin Sego, Tobias Ellebæk, Till Hermann, Vid Poteko, Jaka Malus, David Schmidt und von Publikumsliebling Kresimir Kozina. Einige Verhandlungen stehen an.
Dabei möchten sich Geschäftsführung und Sportliche Leitung nicht in die Karten schauen lassen. Das wurde zuletzt klar, als Manager Gerd Hofele sich zu den Gründen um die Demission Markus Baurs in Schweigen hüllte. Egal mit welchem Personal es weitergeht, das ewige Göppinger Saisonziel "Rang sechs" dürfte erneut genannt werden. Erreicht worden ist diese Platzierung seit 2004 genau sechsmal, davon dreimal unter Velimir Petkovic, zweimal mit Magnus Andersson und einmal mit Hartmut Mayerhoffer - ein siebtes Mal scheint zumindest in dieser Saison weit entfernt.
2004/05 | Rang 8 | Qualifikation EHF-Pokal wegen des Zwangsabstiegs von TuSEM Essen |
2005/06 | Rang 8 | zweiter Platz im EHF-Pokal |
2006/07 | Rang 10 | |
2007/08 | Rang 9 | |
2008/09 | Rang 6 | Qualifikation für den EHF-Pokal (in Großwallstadt) |
2009/10 | Rang 6 | Viertelfinal-Niederlage im EHF-Pokal gegen Kadetten Schaffhausen |
2010/11 | Rang 5 | EHF-Pokal-Sieg (erster internationaler Titel seit 1962) |
2011/12 | Rang 8 | zweiter EHF-Pokal-Sieg (in Göppingen) |
2012/13 | Rang 11 | vierter Platz im EHF-Pokal (Kein Hauptsponsor) |
2013/14 | Rang 12 | (Trainer: Petkovic, Knezevic, Reusch) |
2014/15 | Rang 5 | Qualifikation für den EHF-Pokal - Ø 4914 Zuschauer (HBL) |
2015/16 | Rang 6 | dritter EHF-Pokal-Sieg (in Nantes) - Ø 4800 Zuschauer (HBL) |
2016/17 | Rang 10 | vierter EHF-Pokal-Sieg (in Göppingen) - Ø 4612 Zuschauer (HBL) |
2017/18 | Rang 10 | vierter Platz im EHF-Pokal (Trainer seit 26.09.: Rolf Brack) - Ø 4147 Zuschauer (HBL) |
2018/19 | Rang 8 | Ø 4447 Zuschauer |
2019/20 | Rang 11 | (Saisonabbruch), Ø 4150 Zuschauer |
2020/21 | Rang 7 | |
2021/22 | Rang 5 | Qualifikation für die EHF European League, Ø 2700 Zuschauer |
2022/23 | Rang 14 | (Trainer seit 30.10.: Markus Baur), 4. Platz European League, Ø 3858 Zuschauer |
Felix Buss