24.01.2024, 11:05
Kroatien gegen Deutschland
Domagoj Duvnjak, der von allen nur "Dule" gerufen wird, ist ein Leader: Für den THW Kiel und die kroatische Handball-Nationalmannschaft geht er durchs Feuer und dabei auch so manches Mal über seine Grenzen hinaus. Doch woher nimmt der Routinier eigentlich diese schier endlose Energie? "Bock auf Handball" hat Domagoj Duvnjak vor gut einem Jahr für die achte Ausgabe des Magazins an der Kiellinie mit Blick auf das Meer getroffen und ist seinem Erfolgsrezept auf die Spur gekommen. "Ich habe immer Bock auf Handball", erklärte der Spielmacher dabei, nannte aber auch eine Ausnahme.
"Ich bin eigentlich sprachlos. Es ist unglaublich, dass jede Halle ausverkauft ist, jedes Spiel ausverkauft ist", sagte Domagoj Duvnjak bereits nach dem Hauptrunden-Einzug seines Teams gegenüber handball-world. "Ich mag dieses Land, die Zuschauer hier sind handballverrückt."
Vor allem auf die Partie gegen den Gastgeber freute sich der erfahrene Kroate. "Das wird auf jeden Fall eine geile Stimmung", ist sich Domagoj Duvnjak sicher. Deutschland habe eine "überragende Mannschaft", die "sehr souverän" spiele.
Doch die Vorfreude ist getrübt, eine Erkrankung setzte den Routinier nach dem Umzug nach Köln außer Gefecht, erst im Spiel gegen Island war er zurück im Kader - da war die Chance auf das Halbfinale nach Niederlagen gegen Frankreich und Ungarn aber bereits gegen Null. Zumal neben Duvnjak auch der verletzte Ivan Martinovic fehlte.
Gegen Island erzielte Domagoj Duvnjak vier Treffer. Doch die Rolle des Welthandballers von 2013 hat sich inzwischen verändert, häufig war er als Motivator an der Seitenlinie gefragt. "Ich genieße meine Rolle einfach - egal, ob ich sitze oder spiele", so der Spielmacher.
"Ich bin schon 35 Jahre alt, ich habe schon viel erlebt - besonders in der Nationalmannschaft", sagte Duvnjak. Der Kantersieg im Auftaktspiel gegen Spanien sei jedoch auch für den so erfahrenen Duvnjak ein "unglaubliches Spiel" gewesen. "So ein Spiel passiert nur einmal in der Karriere", so der Kieler.
Domagoj Duvnjak ist Kapitän, Antreiber, Vorbild. Eine gänzlich andere Rolle, die er abseits des Spielfelds ausfüllt, bringt ihm jedoch die meiste Entspannung: "Ich bin vor zwei Jahren Vater geworden. Das war der allerschönste Moment und das geilste Gefühl in meinem ganzen Leben. Denn die Familie steht über allem", sagt einer, der inzwischen in sich ruht vor gut einem Jahr im Gespräch mit Bock auf Handball. "Ich spiele sehr gerne mit meinem Sohn und verbringe den Großteil meiner Freizeit zu Hause mit ihm. Das hilft mir sehr, den Kopf freizubekommen."
Früher nannte Domagoj Duvnjak "Schlafen" als sein liebstes Hobby. Seit Sime das Licht der Welt erblickt hat, kommt er mittlerweile zwar seltener dazu, nutzt jedoch jede Gelegenheit, die sich ihm im Alltag bietet: "Wenn mein Sohn nachmittags schläft, schlafe ich parallel auch. Ich glaube, dass Schlafen die beste Regeneration ist, die es gibt. Früher haben wir nachmittags trainiert, da habe ich länger geschlafen, mittlerweile ist das Training sehr oft vormittags."
Nicht nur mit seinen Kieler Teamkollegen steht Domagoj Duvnjak regelmäßig für Pässe, Spielzüge und Torwürfe in der Halle. Auch mit seinem Sohn wirft er im Trainingszentrum des THW Kiel gerne den einen oder anderen Ball hin und her. Soll Duvnjaks Sprössling später in seine großen Fußstapfen treten? "Das ist mir egal", sagt der stolze Vater, "für mich ist es nur wichtig, dass er glücklich ist".
Schlafen ist für Domagoj Duvnjak ein großes Thema, der Terminkalender macht ihm jedoch oft einen Strich durch die Rechnung. "Ich finde es am besten, wenn wir nachmittags spielen. Dann komme ich nach Hause, habe noch ein bisschen Zeit und kann dann abends gut schlafen. Wenn Spiele um 20:45 Uhr angepfiffen werden, bin ich gegen null Uhr wieder zu Hause. Das finde ich sehr spät, weil ich dann noch immer voller Adrenalin bin und überhaupt nicht zur Ruhe komme."
Zu Beginn seiner Karriere, die ihn 2014 vom HSV Hamburg zum THW Kiel führte, war es nicht nur das Adrenalin, das Domagoj Duvnjak wach hielt: "Besonders nach Niederlagen habe ich mich immer gefragt, was ich hätte besser machen können. Aber mit den Jahren bin ich nach den Spielen nicht mehr so aufgeregt. Das macht mit Sicherheit die Erfahrung. Ich weiß, dass nach einer Niederlage meist schon in drei Tagen ein neues Spiel ansteht, bei dem jeder wieder alles geben muss. Das ist das Gute an der Bundesliga."
Entspannung bringt ihm in stressigen Zeiten auch ein "Kurzurlaub" an der Ostsee. "In Kiel scheint nicht so oft die Sonne, aber wenn es sonnig ist, komme ich mit meiner Familie gerne für eine Auszeit zur Kiellinie (Promenade am Wasser, Anm. d. Red.), wir wohnen nicht allzu weit weg. Hier bekomme ich gut den Kopf frei", so der Routinier in der Bock auf Handball.
"Noch besser ist es aber, wenn wir einen ganzen freien Tag haben - was aber nicht allzu oft verkommt. Während der Saison bin ich auf den Handball, meinen Beruf, konzentriert. Aber ich habe immer vor Augen, dass ich jedes Jahr im Sommer nach Kroatien fliege, das motiviert. Ich bin mittlerweile seit 13 Jahren in Deutschland, das war nie ein Problem für mich", so Domagoj Duvnjak im letzten Jahr mit Blick auf Besuche in der Heimat.
Domagoj Duvnjak ist dabei allerdings quasi ein Kapitän ohne Boot. Zwar verbringt er gerne viel Zeit am Wasser, am liebsten natürlich in Kroatien - und im Schatten. Auf oder im Wasser ist der Mann mit der Rückennummer nicht allzu oft. Im Gegensatz zu einigen seiner Mannschaftskameraden besitzt er keinen Bootsführerschein. "Wenn, dann lasse ich mich lieber fahren. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, bis zum Wasser sind es von uns zu Hause rund dreieinhalb Stunden. Früher waren wir deshalb nicht oft am Meer."
Nicht nur die Familie oder kurze Auszeiten an der Kieler Förde geben Domagoj Duvnjak Kraft im stressigen Handball-Alltag. Auch seine zweite Familie, das Team des THW Kiel, trägt positiv zum Energiehaushalt des Mannes bei, den sein Ex-Trainer Martin Schwalb in Hamburg einst "Duracell-Dule" taufte.
"Ich habe immer Bock auf Handball - nur nicht während der Vorbereitung", gibt er lachend zu. "Nach der Sommerpause freue ich mich auf die Mannschaft, in der eine richtig gute Stimmung herrscht, und die genau wie ich jedes Spiel gewinnen will. Wir sind in der vergangenen Saison nur Zweiter geworden. Daher habe ich sehr großen Bock, die Bundesliga wieder zu gewinnen und auf dem Rathausplatz mit den Fans zu feiern", erklärte er im vergangenen Sommer. Am Ende gelang dies.
Und für solche Momente geht er, wenn es sein muss, auch durchs Feuer. "Ohne die Fähigkeit, sich quälen zu können, kannst Du kein erfolgreicher Profi-Sportler sein. Qualen gehören leider dazu", zuckt Domagoj Duvnjak mit den Schultern. Seine Mitspieler lachen schon immer, wenn er sich gerade in den anstrengenden Vorbereitungswochen mit gesenktem Haupt auf den Trainingsplatz schleppt und so gar nicht den Anschein erweckt, auch nur eine Runde um den Sportplatz durchzuhalten.
Beim obligatorischen Laktat- und Lauftest war er zum Trainingsauftakt der neuen Saison im Vorjahr dann aber plötzlich der Drittschnellste. "Um Schmerzen kommst Du gerade im Handball einfach nicht immer herum", sagt Domagoj Duvnjak lapidar. Der Spielmacher kann "beißen". Schmerzen steckt er einfach weg. "Wenn alle kneifen, ist es Dule, der vorangeht", sagt auch Hendrik Pekeler über seinen Kapitän und den Welthandballer von 2013. "Sein Wille ist unbändig. Dule ist ein Mentalitätsmonster."
Doch inzwischen hat auch der Kroate mit leerer werdenden Akkus zu kämpfen: "Früher war alles leichter. Ich war jünger, konnte problemlos zwei Spiele in Folge spielen, habe nichts gespürt. Heute ist das ganz anders: Ein Tag nach dem Spiel merke ich nichts, am zweiten Tag tut mir alles richtig weh. Wir haben in der Kabine ein Eisbad, aber davon bin ich kein Fan", berichtet er von den Strapazen.
Nicht nur die Nachwehen eines Spiels sind länger geworden, auch bei der Vorbereitung braucht er mehr Zeit: "Früher habe ich vor dem Spiel fünf Minuten gebraucht, um mich fertig zu machen, heute sind es 20 bis 30 Minuten." Inzwischen lässt er sich vor jedem Spiel seinen rechten Fuß tapen, "um ein besseres Gefühl zu haben", im Training spielt er ohne. Zudem trägt er Wadensleeves und zum Aufwärmen vor den Spielen einen Rückengurt.
Ist Domagoj Duvnjak tatsächlich einmal am Ende seiner Kräfte, dann kann er auf Hilfe aus den eigenen Reihen bauen kann. "Ich habe das Glück, dass Filip (Trainer Filip Jicha, Anm. d. Red.) und Sprengi (Co-Trainer Christian Sprenger, Anm. d. Red.) an meinen Körper denken und auf mich aufpassen. Dafür bin ich sehr dankbar", sagt Dule.
"Mit zunehmendem Alter merkt man, dass man nicht mehr so hoch springen kann und jeder Muskel schneller weh tut. Früher war ich nicht häufig zu Behandlungen, heute nehme ich sie viel öfter in Anspruch. Aber das ist ein normaler Prozess", berichtet Domagoj Duvnjak aus dem Alltag beim THW Kiel.
Inzwischen gönnt sich Domagoj Duvnjak öfter ein paar Minuten Pause auf der Bank, stets mit dem Wissen, dass es auf dem Feld trotzdem hochkarätig weitergeht: "Jeder Spieler, der in Kiel spielt, ist wichtig für unsere Mannschaft. Das ist ein großer Vorteil beim THW", berichtete er im letzten Sommer gegenüber Bock auf Handball und fügte an: "Durch das Adrenalin, das beim Spiel kommt, vergesse ich alle Schmerzen. Die Fans in unserer ausverkauften Arena bringen uns noch eine große Portion Extra-Energie."
Power bekommt Domagoj Duvnjak neben der mitreißenden Heimspiel-Atmosphäre auch von seinem Lieblingsgetränk: Kaffee. "Ich bin großer Fan, trinke vier bis fünf Tassen pro Tag. Am liebsten trinke ich Espresso Macchiato, nehme aber auch schlichten schwarzen Kaffee von der Tankstelle. Ich bin da nicht besonders wählerisch", sagt er.
Der Kaffee hat auch mit einem Kulturschock zu tun, mit dem er nach seinem Umzug nach Deutschland im Jahr 2009 konfrontiert wurde. "In Kroatien können die Leute drei Stunden beieinander sitzen, Kaffee trinken und quatschen. Nach dem Training in Zagreb sind wir immer noch in eine Bar zum Kaffeetrinken gegangen und haben dort Zeit miteinander verbracht, dabei auch einfach nur Zeitung gelesen und eine Stunde lang geschwiegen. Das gehört bei uns in Kroatien zur Kultur."
"Hier in Deutschland ist das ganz anders, das habe ich schnell festgestellt." Wenn er den Kaffee dann aber, so wie beim Besuch von "Bock auf Handball" in Kiel, an einem freien Tag und mit Blick auf das Meer genießen kann, dann ist das für ihn Entspannung pur und die Welt für ihn in Ordnung.
Die Geschichte über Domagoj Duvnjak stammt aus der Ausgabe Nummer 8 von Bock auf Handball, in dieser sprach er auch über weitere Stichpunkte wie seien Fraue, die er in der Schule kennenlernte, die Familie, Rituale, Glaube, Musik, Titelträume und seine sieben Tipps für Reiseziele in Kroatien.
Die Ausgabe aus dem Vorjahr gibt es wie auch die aktuelle Ausgabe versandkostenfrei im Bock auf Handball Shop, dort gibt es auch ein Abo mit aktuellen Ausgabe Nummer 13 sowie den Sonderheften zum THW Kiel und zum Tag des Schiedsrichters.
Rika Finck, Bock auf Handball