15.07.2024, 17:24
#Regelecke
War es ein Stürmerfoul oder nicht? Diese Frage steht bei den meisten Handball-Spielen irgendwann im Raum. Die Entscheidung zwischen Offensivfoul und Ballwechsel oder dem Freiwurf bzw. Siebenmeter für den Angreifer ist oft eng und muss von den Unparteiischen in Sekundenbruchteilen getroffen werden. "Aus Schiedsrichtersicht ist es ganz wichtig, den Fokus darauf zu richten, wer den Raum zuerst eingenommen hat", hebt Kay Holm, Schiedsrichter-Lehrwart des Deutschen Handballbundes, hervor. In der #Regelecke nehmen wir die Regel unter die Lupe.
Stürmerfoul oder nicht: Es ist eine der typischsten 50:50-Entscheidungen im Handball. "In den seltensten Fällen ist ein Stürmerfoul zu hundert Prozent eindeutig, weil der Abwehrspieler wirklich bewegungslos ist", weiß auch Holm, der selbst viele Jahre auf Bundesligaebene als Schiedsrichter aktiv war. Die hohe Geschwindigkeit der Aktionen sowie die große Dynamik sorgen für einen schmalen Grad für die Schiedsrichter.
Das wichtigste Ziel für die Unparteiischen ist daher: Berechenbarkeit. "Ich muss die gleichen Szenen auf beiden Seiten identisch bewerten - entweder laufen lassen oder abpfeifen", betont der Schiedsrichter-Lehrwart. "Es ist die große Kunst, genau dafür das Gespür zu haben und die Entscheidungen gleichmäßig zu verteilen."
Grundsätzlich ist für die Entscheidung, ob es sich um ein Stürmerfoul handelt oder nicht, die Position des Abwehrspielers entscheidend: Nur, wenn der Abwehrspieler zuerst den Raum besetzt hat und er dann vom Angreifer umgelaufen oder angesprungen wird, kann es überhaupt ein Stürmerfoul geben. "Der Abwehrspieler darf nicht in der Vorwärts- oder Seitwärtsbewegung "in den Angreifer" sein", erklärt Holm.
Wenn Abwehrspieler aktiv einen Schritt heraustreten, um ihren Gegenspieler anzunehmen, und dabei vom Angreifer mit der Schulter umgerannt werden, ist die Bedingung für ein Stürmerfoul ebenfalls nicht erfüllt. "Der Raum wäre in diesem Fall durch den ballbesitzenden Spieler eingenommen", erläutert Holm. "Eine ganz typische Szene ereignet sich oft im erweiterten Gegenstoß: Die Abwehrspieler versuchen, ein Stürmerfoul zu provozieren, indem sie dem Angreifer einen Schritt entgegentreten."
Als weiteren Indikator für die Zuschauer verweist Holm auf die Fußstellung des Abwehrspielers. "Beide Füße müssen auf dem Boden stehen. Wenn ein Abwehrspieler nur noch ein Bein zwischen Gegner und Tor bekommt, ist es das beste Indiz, dass er zu spät in seiner Abwehrhandlung ist." Bei Aktionen aus dem Rückraum sei zudem die frontale Stellung entscheidend.
Während Aktionen von Rückraumspieler oft "stürmerfoulgefährdet", ist es auf den Außenpositionen die Ausnahme. "Das Anspringen des vor der Linie stehenden Außenabwehrspieler durch den Eckenaußen wäre eine mögliche Situation", beschreibt Holm. Der Kreis ist hingegen ein Brennpunkt - weil es hier zu Stürmerfoul-Entscheidungen gegen Spieler ohne Ball kommen kann.
Die falsche Sperre ist dabei nur eine Option. "Wenn der Kreisläufer oder Einläufer den Gegenspieler festhält oder einklemmt, handelt es sich auch um ein Stürmerfoul", betont Holm. "Auch, wenn bei einem Freiwurf ein Dreierblock gestellt wird und dieser die Abwehr mit breiten Armen zurückdrängt, ist es ein Stürmerfoul."
Ganz entscheidend ist zudem: Ein Stürmerfoul kann niemals eine Vorteilssituation beinhalten. "Wenn ich ein Stürmerfoul begehe, darf das nicht zu einem Vorteil führen - weder für mich noch für meine Mannschaft. Die Schiedsrichter müssen sofort intervenieren und das Spiel unterbrechen", unterstreicht Holm.
Sollte der Abwehrspieler beispielsweise den Kreisläufer festhalten und dieser sich mit einem Schubser befreien und dadurch Platz gewinnen, um den Ball zu bekommen, dürfte das Tor nicht zählen - vielmehr müsste das Spiel mit einem Freiwurf für das Festhalten wieder aufgenommen werden.
Im Regelwerk kommt das Wort Stürmer- oder Offensivfoul übrigens nicht vor. In Regel 8:1 und 8:2 ist zwar genau aufgeführt, was erlaubt ist und was nicht - differenziert zwischen Angreifern und Abwehrspielern wird dabei allerdings nicht. Mit Blick auf 8:3 (Strafen) wünscht sich Holm daher eine gewisse Angleichung: "Es ist Fakt: Die Fouls, die Abwehrspieler begehen, werden viel, viel leichter bestraft als die Regelwidrigkeiten des "stürmerfoulenden" Angreifers."
Er rät den Schiedsrichtern daher, sich bei Stürmerfoul-Entscheidungen öfter mal zu hinterfragen und zu überlegen: Hätte ich dafür bei einem Abwehrspieler eine Strafe gegeben? "Gerade in Situationen, wo der Ellenbogen eingesetzt wird oder ein Unterklemmen stattfindet, wären wir bei einem Abwehrspieler schnell mit einer Strafe bei der Hand, während Angreifer oft ungeschoren davonkommen", beschreibt Holm. "Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt, den Maßstab anzugleichen."
Es geht ihm dabei nicht um Strafen für falsche Sperren oder das klassische Stürmerfoul, wenn der Angreifer den Gegenspieler an- bzw. umrennt. "Ich würde allerdings für Strafen plädieren, wenn eine Handlung bewusst vorgenommen wird - wie beispielsweise das Einklemmen bzw. Festhalten des Abwehrspielers", erklärt der Schiedsrichter-Lehrwart. "Das kann ja auch eine gelbe Karte sein, aber es geht darum, deutlich zu machen, dass eine bestimmte Aktion nicht gewollt ist." Denn das Regelwerk differenziere eben nicht zwischen Abwehr- und Angriffsspieler - dort heißt es schlicht: Gegenspieler.
jun