11.08.2024, 21:00
Gemischte Gefühle bei DHB-Team
Der Gold-Traum bei Olympia erfüllte sich Handball-Deutschland nicht, beim deftigen 26:39 (12:21) gegen Dänemark geriet dieser schnell aus den Augen. Mit der Silbermedaille um den Hals konnten die deutschen Handballer dann aber bei der Medaillenübergabe wieder lächeln. Es dauerte nicht lange, bis der Stolz über den beeindruckenden Olympia-Lauf den Frust über die deutliche Final-Abreibung gegen Dänemark verdrängte.
Der letzte Tag bei Olympia 2024, Finale im Handball und Deutschland ist dabei. "Das wird das größte Spiel unserer Karriere und so wollen wir auch auftreten", hatte Johannes Golla im Vorfeld erklärt. Eine gute Vorrunde mit Siegen gegen Schweden, Japan, einem zwischenzeitlichen Rückschlag gegen Kroatien und dann nach Erfolgen gegen Spanien und Slowenien dem Gruppensieg. Das Sechs-Sekunden-Wunder gegen Frankreich, der Halbfinal-Krimi gegen Spanien - ein starkes Turnier sollte im Endspiel gekrönt werden.
Dänemark legte schnell vor, Deutschland hielt dagegen - bis zum 5:6 in der achten Minute. Das DHB-Team fing sich in Überzahl eine eigene Zeitstrafe ein, kam aus dem Tritt und verlor den Faden. Beim 5:10 versuchte Alfred Gislason mit einer ersten Auszeit und einigen Wechseln entgegenzusteuern, nach dem 5:12 sorgte ein Treffer von Luca Witzke für etwas Hoffnung, doch beim 9:19 war diese dahin. Nach der zweiten Auszeit gelang es mit einem Doppelschlag zumindest den Abstand beim 12:21 zur Pause wieder in den einstelligen Bereich zu schieben.
Nach Wiederbeginn wurde dieser aber schnell wieder verlassen, eine einseitige Partie in der Deutschland in den letzten Sekunden Pfiffe aus dem Publikum kassierte, stand ein 26:39 auf der Anzeigetafel. "Vielleicht war der Moment für uns zu groß", erklärte Juri Knorr nach dem Spiel und räumte nach dem "Albtraumspiel" ein: "Dänemark hat auf so vielen Ebenen heute gezeigt, warum sie die bessere Mannschaft sind, aber sie haben auch einfach diese unfassbare Siegermentalität".
Der letzte Auftritt trübte die Freude - vor einem Millionenpublikum wurde im ZDF die Chance auf weitere Werbung für den Handball vergeben. Diese betrieb vor allem Dänemark, dem Weltmeister fehlte im Olympia-Finale aber der Gegner für einen Schlagabtausch auf Augenhöhe. Das DHB-Team setzte nach einem langen Turnier offensiv den ein oder anderen Akzent, fand in der Deckung aber nicht in die Zweikämpfe und konnte die Dänen nicht stoppen.
"Eigentlich sind es keine gemischten Gefühle, eigentlich ist jetzt die Enttäuschung riesengroß über unseren Auftritt heute. Ich glaube, wir müssen nicht darüber reden, dass die Dänen derzeit wahrscheinlich die beste Mannschaft der Welt sind, aber wir haben sie auch einfach gelassen. Wir haben von Anfang an viel zu viele Fehler gemacht und dann haben wir keine Chance in so nem Spiel", haderte Johannes Golla direkt nach Spielende.
"Wir wussten, dass wir einen perfekten Tag brauchen, um konkurrenzfähig zu sein und das war heute vielleicht unser schlechtestes Spiel bei dem Turnier und das tut sehr weh", befand Golla im ZDF-Interview und antwortete auf die Frage ob er sich in einigen Minuten auf dem Podium über Silber freuen könne, mit: "Das hoffe ich." DHB-Sportvorstand Axel Kromer zog aus Verbandssicht unterdessen ein positives Olympia-Fazit: "Klar haben wir uns ein anderes Finale vorgestellt, aber das Turnierergebnis ist trotzdem grandios."
"Es ist mit der schönste Moment, eine olympische Medaille zu gewinnen - ich glaube, es geht nicht viel größer als das -, aber auf der anderen Seite ist es mit die bitterste Niederlage", beschrieb Juri Knorr das innere Zerwürfnis und richtete den Blick nach vorne: "Das wird alles bleiben und ist extrem lehrreich. Wir müssen weiter lernen, wir brauchen in solchen Spielen mehr Selbstvertrauen, mehr Willen, mehr Mentalität."
"Wir sind im olympischen Finale gelandet. Hätte uns das vorher jemand gesagt, dann hätten wir den Vertrag mit Blut unterschrieben. Ich hoffe, dass dieses Ergebnis im Finale die Turnierleistung nicht überschattet", fügte Linksaußen Rune Dahmke an. Den Satz mit der Unterschrift vor einigen Wochen bemühte auch Routinier Kai Häfner, der anfügte: "Von daher glaube ich, umso mehr das Spiel Stück für Stück wegrückt, umso mehr und so größer wird dann auch die Freude über die Silbermedaille."
Für ein Lachen auf dem Podium sorgte unterdessen Renars Uscins, der den Dresscode unterlief und im gelben T-Shirt einen Farbakzent im schwarz-weiß der deutschen Trainingsanzüge setzte. "Renars dachte, das sei optional: T-Shirt oder Pulli. Ihm wurde dann relativ schnell klar, dass das nicht optional war", sagte Teamkollege Kai Häfner schmunzelnd: "Aber wenn einer aus der Gruppe rausstechen darf, dann war das Renars nach diesem Turnier." Renars Uscins, so formulierte es Bundestrainer Alfred Gislason lachend, "war auffällig bis zum Ende."
Einige Minuten vorher hatte sich ein anderes Bild gezeigt: Während Dänemark ausgelassen feierte, musste Alfred Gislason sein Team trösten. Nach der Sirene war von Silber-Freude nichts zu sehen, leere Blicke und Fassungslosigkeit über den Final-Auftritt war in den Gesichtern der deutschen Spieler abzulesen.
Der Traum von Gold war von Favorit Dänemark zerschmettert worden. "Was soll es, wir wollen dieses Spiel trotzdem gewinnen", hatte der Handball-Bundestrainer die Außenseiterrolle im Finale im ZDF vor dem Anwurf noch mit einem Lächeln kommentiert und angefügt: "Wir wissen, dass wir dafür das beste Spiel des Turniers abliefern müssen. Schauen wir, was wir können."
"Wenn man das Ergebnis heute sieht, dann ist die Lücke zu Dänemark sehr groß", musste Gislason nach Spielende in der Pressekonferenz eingestehen. "Aber wir haben auch die Schweden, die Franzosen, zweimal die Spanier und die Slowenen geschlagen. Das ist schon sehr gut. Natürlich hätte ich mir erhofft, dass wir ein besseres Spiel heute liefern. Es überwiegt aber die Freude über die Leistung und die Entwicklung der Mannschaft. Auch wenn wir das gerade in diesem Moment nicht spüren."
"Wir haben einen Schritt nach vorn gemacht - in vieler Hinsicht", so der Bundestrainer. Denn, trotz der schmerzhaften Niederlage im Olympia-Endspiel: Deutschland besiegte den nach dem EM-Titel 2016 eingesetzten Halbfinalfluch und beendete die Zeit der verfehlten Podien nach Olympia 2016.
Acht Jahre später gelang beim Großereignis die Rückkehr in die Medaillenränge und der größte Erfolg seit Olympia-Silber 2004 in Athen, dem WM-Triumph 2007 im eigenen Land sowie den Erfolgen unter Dagur Sigurdsson im Jahr 2016. Auf das zweite Olympia-Gold nach dem Erfolg der DDR-Männer 1980 in Moskau muss Deutschland aber weiter warten. Mindestens vier weitere Jahre, wenn in Los Angeles ein neuer Anlauf genommen werden kann.
Mit David Späth, Julian Köster, Sebastian Heymann, Marko Grgic, Justus Fischer, Luca Witzke sowie Shooting-Star Renars Uscins und auch Spielmacher Juri Knorr sowie Kapitän Johannes Golla werden neun Silbermedaillengewinner zum Zeitpunkt der Spiele übrigens noch nicht älter als 30 Jahre sein. Alfred Gislason, der einen Vertrag bis zur Heim-WM 2027 besitzt, ist zuversichtlich: "Das Team entwickelt sich gut. Ich hoffe, dass wir immer besser und besser werden können in den kommenden Jahren."
Christian Ciemalla, mit Material dpa, sid und red