24.05.2024, 15:18
Weniger als Drittel bekommt Jugendzertifikat
Der deutsche Frauenhandball befindet sich durch die jüngsten Erfolge auf internationaler Bühne im Aufschwung. Doch dabei läuft längst noch nicht alles rund, was sich nicht zuletzt bei der Vergabe des Jugendzertifikats zeigt.
Es läuft eigentlich im deutschen Frauenhandball. Die Nationalmannschaft hat sich erstmals seit 2008 wieder für die Olympische Spiele qualifiziert und die SG BBM Bietigheim steht als erstes deutsches Team im Final Four der Champions League, das seit 2014 in Budapest ausgetragen wird.
Immer mehr junge Spielerinnen schaffen den Sprung aus der Jugend in die HBF-Teams. Besonders Teams wie die HSG Blomberg-Lippe, Bayer 04 Leverkusen oder der VfL Oldenburg bauen konsequent auf den eigenen Nachwuchs.
Doch trotz dieser Erfolge überraschte die Meldung der Bundesliga, dass von 30 Teams in der ersten und zweiten Bundesliga lediglich acht Vereine das Jugendzertifikat erhalten haben. Zum Vergleich: Bei den Männern waren es 22 von 36 Klubs.
Dennoch ist Andreas Thiel alles anderes als unzufrieden. "Es ist nicht super, aber es ist ordentlich", erklärt der HBF-Vorstandsvorsitzender gegenüber handball-world. Dabei verweist er auf die Vergangenheit, denn dort war die Zahlen (noch) geringer. Im Vorjahr waren es nur sechs Teams.
Dabei macht der Ex-Keeper deutlich, dass die Anforderungen zur Erteilung "ein echtes Brett" sind. "Gute Jugendarbeit kostet viel Geld und hauptamtliche Manpower", schildert er.
Er weiß es selbst am Besten, denn als Abteilungsleiter von Bayer Leverkusen investiert er laut eigenen Angaben rund 100.000 Euro in den Nachwuchs. "Das ist ein Sechstel unseres Budgets", rechnet der 64-Jährige vor.
Eine solch hohe Summe können jedoch nicht alle Vereine in die Nachwuchsarbeit stecken. Schließlich befindet sich die Liga noch in einer Nische, sodass die Budgets nicht so hoch sind, um die Anforderung zu erfüllen.
Daher regt sich in der HBF nun auch Widerstand gegen die Auflagen zur Erreichung des Jugendzertifikats. "Ich bin mit vielen Punkten nicht einverstanden", kritisiert Andreas Lampe, Geschäftsführer vom VfL Oldenburg, gegenüber handball-world.
Mit seiner Sicht ist der Funktionär beileibe nicht alleine. "Die Auflagen sind für uns einfach nicht zu erreichen", gesteht Dieter Müller, Abteilungsleiter des ESV Regensburg. Dabei dürfte er stellvertretend für viele Zweitligisten sprechen, denn nur der HC Leipzig und Werder Bremen haben das Zertifikat bekommen - und das, obwohl auch Teams wie Regensburg und Frisch Auf Göppingen gute Jugendarbeit leisten.
Doch die Auflagen sind für viele Teams nur schwer zu stemmen. In der Kritik steht dabei nicht nur die Auflage von hauptamtlichen Trainern, sondern auch insbesondere die sportmedizinischen Untersuchungen der Jugendspielerinnen. Dort müssen mindestens 20 Spielerinnen aus der A- und B-Jugend untersucht werden - ein immenser Kostenpunkt für zahlreiche Teams.
"Der Aufwand für die Beauftragung des Jugendzertifikats ist zu hoch", moniert der Geschäftsführer des HSV Solingen-Gräfrath, Stefan Bögel, im Gespräch mit handball-world.
Zwar erhielt sein Verein vor zwei Jahren das Jugendzertifikat des DHB, doch in den zurückliegenden zwei Jahren hat er wegen der hohen Auflagen Abstand davon genommen. Der Verein verpflichtete jüngst mit Jonas Schlender den ersten hauptamtlichen Trainer in der Vereinsgeschichte - von Hauptamtlichkeit im Jugendbereich ist der Verein also noch ein Stück weit entfernt.
Ein weiterer Dorn im Auge der Teams sind die gestiegenen Kosten im Falle einer Nichterteilung. So müssen die Klubs in diesem Jahr 10.000 Euro Strafe zahlen. "Die Summe passt in der Relation einfach nicht", poltert Bögel.
Auch Lampe findet den Ansatz der Strafzahlungen alles andere als zielführend. Dabei bemängelt er, dass es keine Abstufung in der Höhe der Zahlung gibt. So werden Teams, die keine Nachwuchsarbeit machen, in gleichem Maße bestraft wie Teams, die die erforderliche Punktzahl knapp verfehlen.
Daher unterbreitet er einen anderen Vorschlag. "Man muss die Teams sportlich belohnen", findet der Oldenburg-Chef und plädiert im Falle der Erteilung des Jugendzertifikats für einen festen Startplatz in der A- und B-Jugend-Bundesliga. "Das ist für die Vereine positiv. Damit haben sie Planungssicherheit und können damit werben", schildert er.
Doch bei aller Kritik hat es auch einen positiven Effekt. "Die Strafe hat uns etwas wachgerüttelt", gibt der Jugendleiter vom BSV Sachsen Zwickau, Rene Müller, zu.
Zwar leistet der Verein bereits gute Arbeit und spielt in diesem Jahr auch in der JHBL, doch dem Verein fehlen die Trainer. Das liegt auch daran, dass es in Zwickau keine Sportschule gibt wie andernorts. "Unser sportliches Umfeld bremst uns etwas", erklärt er.
Dennoch stellt sich der langjährige Erstligist der Herausforderung und will sein Konzept anpassen. "Der nächste große Schritt wäre eine A-Lizenz für den Nachwuchs. Dafür muss aber alles passen", erläutert Müller.
Auch bei anderen Bundesliga-Vereinen will man die hohen Auflagen erfüllen. Jan-Henning Himborn, derzeit noch Sportdirektor des SV Union Halle-Neustadt, wollte unbedingt das Jugendzertifikat erreichen. Derzeit sind aber erst "70, 80 Prozent der Auflagen erfüllt". Dabei will der Klub vor allem seine Jugend-Teams schnellstmöglich in die höchste Spielklasse führen. Ob diese Maßgabe für den Himborn-Nachfolger auch gilt, ist noch unklar.
Auch die Sport-Union Neckarsulm will unbedingt die Jugendzertifikat-Auflagen erfüllen. "Wir wollen wirklich etwas verändern und nicht nur die Strafe bezahlen", macht Trainer Thomas Zeitz klar.
Dementsprechend arbeitet der Verein derzeit an Maßnahmen, um die Nachwuchsarbeit zu stärken. Seit kurzem verfügt der Verein über eine weitere Halle, sodass es mehr Trainingszeiten für die eigenen Talente gibt. "Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren so weit sind, dass wir die Anforderungen erfüllen", hofft Zeitz.
Die SG BBM Bietigheim bekam in den vergangenen Jahren ebenfalls kein Jugendzertifikat, was laut Geschäftsführer Bastian Dörr "vereinsinterne Gründe" hatte. Doch damit soll mit dem anstehenden Wechsel zum HB Ludwigsburg Schluss sein. "Einer der Gründe für unseren Wechsel war, dass wir nun wieder auf die Jugend setzen können und dürfen, somit auch das Jugendzertifikat beantragen werden", sagt er.
Diese Worte machen Hoffnung, dass die Vereine trotz der teils deutlichen Kritik an den hohen Hürden alles dafür tun wollen, um sich mit dem Jugendzertifikat schmücken zu können. Schließlich haben in der ersten Bundesliga der Männer 16 von 18 Teams ein solches Aushängeschild erreicht - auf eine solche Quote dürfte auch Thiel hoffen. "Die Vereine versuchen ihr Bestes", berichtet er, ergänzt aber auch, dass derzeit "nicht genug Geld im Kessel" ist.
Nichtsdestotrotz nehmen die Vereine die Liga in die Pflicht. "Wir müssen Abstufungen für die zweite Liga schaffen", fordert etwa Lampe. Dabei richtet er seine Worte vor allem an eine Arbeitsgruppe der HBF, die das Jugendzertifikat überprüfen soll.
Auch der DHB hat sich laut Himborn der Thematik angenommen. So hat Gino Smits, Bundestrainer der weiblichen U18 im Rahmen der Olympia-Qualifikation in Neu-Ulm angekündigt, sich die Voraussetzungen vor Ort nochmal genauer anzuschauen.
Dabei dürfte nicht zuletzt die Nachwuchsreform für die weiblichen Talente, bei der der Dachverband mehr zentralisierte Trainingsgruppen eingeführt hat, nochmal unter die Lupe genommen werden. Schließlich sorgte der Vorstoß des Verbands wie auch die Liga-Reform mit der Verkleinerung auf 12 Teams für Kritik.
Es zeigt, dass der Sport einen konstruktiven Austausch mit allen Beteiligten braucht, um den Sport zu fördern. Nur so kann der nächste Schritt gelingen. Schließlich dürfte es das Ziel aller sein, dass die Nationalmannschaft die medaillenlose Zeit (seit der WM 2007) bald beendet. "Wenn wir keinen Schritt nach vorne machen, werden wir nicht aus der Nische kommen", so Bögel.
Sebastian Mühlenhof