11.12.2024, 10:44
Unruhe trotz grandioser Entwicklung
Vor fast einem Jahr lag der ThSV Eisenach auf einem Abstiegsplatz, dennoch verlängerte der Verein langfristig mit Trainer Misha Kaufmann, dem Sportlichen Leiter Maik Nowak und Geschäftsführer Rene Witte. Der Klassenverbleib gelang, aktuell steht der Klub trotz des Verlust des Topschützen bei 12:14 Punkten und vor dem Pokal-Viertelfinale. Eine neue Halle ist zudem in Aussicht - und dennoch steht der Verein vor einer Zerreißprobe.
"Wir wollen unseren Thüringer Kultclub gemeinsam weiterentwickeln, einen Traditionsverein professionalisieren, modernisieren und fit für die Zukunft machen", erklärte Geschäftsführer Rene Witte mit Blick auf die langfristige Planung beim ThSV Eisenach vor fast genau einem Jahr. Trainer Misha Kaufmann und der Sportliche Leiter Maik Nowak verlängerten bis 2027, er selbst sogar bis 2029.
Mit einem Sieg gegen den SC DHfK Leipzig hatte der ThSV Eisenach auf 9:23 Punkte gestellt - am Ende wurden es 24:44 Punkte und mit Platz 14 der Klassenverbleib. Und in dieser Saison wurde die Erfolgsgeschichte fortgesetzt, trotz des Abgangs von Topschütze Manuel Zehnder liegt der ThSV auf dem elften Platz. Mit einer Serie von 10:4 Punkten - mit Siegen bei den Löwen oder gegen Spitzenreiter Melsungen sowie erneut Leipzig - war das Punktekonto in der Tabelle der Handball-Bundesliga in der Vorwoche ausgeglichen worden.
Im Spiel gegen THW Kiel verpasste es der ThSV Eisenach am Sonntag (8. Dezember) die Punktebilanz in den einstelligen Bereich zu drehen und auf einen einstelligen Tabellenplatz zu springen. Nach einem 16:23 zur Pause fanden die Gastgeber allerdings zu ihrem Spiel, kamen zwischenzeitlich auf zwei Tore heran - verloren aber mit 33:37. Die Begegnung gegen den Rekordmeister stand allerdings im Schatten einer spürbaren Unruhe - auch wenn keiner der Beteiligten Details benennen wollte.
In der Vorwoche sorgten Medienberichte über einen womöglichen Abschied von Misha Kaufmann zum Saisonende für Unruhe. "Ich kann mich leider nicht dazu äußern", wollte der Trainer des ThSV Eisenach diese Spekulationen gegenüber handball-world nicht dementieren - trotz eines bis 2027 laufenden Vertrags. "Ich bin Trainer und ich beziehe mich zu solchen Fragen nicht. Da müssen andere dazu was sagen", so Kaufmann auch vor dem Spiel gegen Kiel auf Nachfrage von Dyn.
Und mit Blick auf die von ihm absolvierte Ehrenrunde unter dem Jubel der Fans wollte der Schweizer im MDR sogar nicht ausschließen, dass es sein letztes Heimspiel in Eisenach war: "Sie wissen, dass ich das definitiv nicht beantworten kann und will." Gerüchte über eine bereits erfolgte Vertragsauflösung bezeichnete der Trainer allerdings als "eine Lüge", er habe "noch ein gültiges Papier" und fügte ohne weitere Konkretisierung an: "Es sollte langsam aufhören mit den Lügen."
Dass etwas nicht stimmt unter der Wartburg ist offensichtlich. Dyn-Kommentator Lennart Wilken-Johannes hakte daher mit Blick auf das Statement bei der Verlängerung im vergangenen Dezember nach: "Du hattest mehr oder minder übersetzt gesagt: Ich habe hier in Eisenach alles, um langfristig Spaß an der Arbeit zu haben. Hat sich im letzten Jahr daran etwas verändert?" Misha Kaufmann widersprach nicht, antwortete vielsagend: "Das ist die nächste gute Frage. Aber auch da musst du verstehen, dass ich mich da nicht dazu bekennen kann, etwas zu sagen."
Die Fans in Eisenach hatten unterdessen bereits unter der Woche in Foren ihre Solidarität mit Trainer Misha Kaufmann zum Ausdruck gebracht, während des Spiels gegen den THW Kiel untermauerten Banner und Sprechchöre diese - nach dem Spiel wurde der Coach in der Fangruppe gefeiert. Dass sich dabei auch Unmut gegen René Witte richtet, davon hatte vor dem Spiel allerdings Hauptsponsor Ralf Weber laut Bild in einem Brief an eine der Fangruppen gewarnt.
"Es ist in der Tat nicht dienlich, wenn wir in der Öffentlichkeit gegen den Geschäftsführer demonstrieren, besonders in einem Moment, in dem unser Verein zusammenhalten sollte", zitiert die Bild aus dem Brief, in dem es weiter - recht vielsagend und durchaus kryptisch - heißen soll: "Es gibt im Hintergrund Faktoren, die nicht sofort sichtbar sind, wie soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Einflüsse, die das Gesamtbild verändern."
René Witte war vor sechs Jahren in seine Heimat zurückgekehrt und hatte damals konstatieren müssen: "Wir müssen die Realität erkennen, der ThSV Eisenach spielt in der 3. Liga." Im ersten Jahr gelang der Wiederaufstieg. "Das war ein Meilenstein, sportlich und wirtschaftlich, damit unser Verein überlebt", so der Geschäftsführer vor fünf Jahren. Eisenach stabilisierte sich in der zweiten Liga, schaffte 2023 die Rückkehr in die höchste Spielklasse und als Abstiegskandidat Nummer Eins in dieser dann den Klassenverbleib.
Auch dank der richtigen Nase von René Witte. Er hatte Misha Kaufmann 2021, als dieser damals 39-jährige Trainer des Schweizer Klubs HSC Suhr Aarau nur Experten bekannt war, geholt. Mit Manuel Zehnder gelang dem ThSV Eisenach nach dem Aufstieg ein Glücksgriff, ebenso mit Marko Grgic, der sich zum Nationalspieler entwickelte und im Frühjahr seinen Vertrag verlängerte, oder mit Vorkämpfer Peter Walz sowie anderen Akteuren. Eine breitere wirtschaftliche Basis sowie zuletzt die Weichenstellung für die neue Halle kamen abseits des Parketts hinzu.
"Fakt ist eins, dass wir seit Tagen und Wochen von außen beschossen werden", versuchte Rene Witte am Sonntag bei Dyn den inneren Verbund durch einen äußeren Gegner zu stärken. "Ich kann nur sagen, dass wir als Verein versuchen, so gut wie möglich zusammenzuhalten, eine Wagenburg zu bauen und das alles nicht an uns rankommen zu lassen."
Angesichts der Diskussionen in verschiedenen Foren, entsprechenden Plakaten für einen Verbleib des Trainers sowie "Misha"-Sprechchören nach Spielende, fügte der ThSV-Geschäftsführer im Dyn-Interview an: "Ich verstehe auch die Fans, aber jede Medaille hat zwei Seiten und man kann jetzt aktuell dazu nichts sagen und wir hoffen, dass sich das bald alles aufklärt."
Warum aber keiner der Verantwortlichen den eigentlich angesichts eines Vertrags bis 2027 klaren Sachverhalt aufklärt, blieb auch am Sonntag offen. Bemüht wurde der Zusammenhalt. "Wichtig ist in Eisenach, das haben wir immer gesagt, wenn wir als kleinster Klub nicht zusammenhalten, haben wir keine Chance", so René Witte, der anfügte: "Es geht ja nicht um mich oder um Misha oder um irgendeinen. Der Klub ist groß genug und über allen steht der Klub."
» Rene Witte am Sonntag zur Situation des ThSV Eisenach
"Wir wissen natürlich ein bisschen mehr in der Kabine. Aber mir wurde das so beigebracht als junger Spieler: Was in der Kabine passiert, das bleibt auch da", wollte auch Routinier Silvio Heinevetter am Sonntag nichts "Offizielles" sagen, räumte mit Blick auf Plakate und Sprechchöre am Sonntag bei Dyn aber ein: "Natürlich ist es ein emotionales Ding, das hat man heute gesehen."
"Ich glaube, dass jeder Mitarbeiter, der beim ThSV ist, Sponsoren und Leute aus dem Umfeld wirklich alles geben", so Silvio Heinevetter. Der Routinier und gebürtige Thüringer betonte: "Am Ende muss man auch ganz ehrlich sagen: Spieler und Trainer, beziehungsweise einzelne Personen, kommen und gehen. Am Ende bleibt der Verein und der Verein hat sich jetzt in den letzten Jahren in der Region unfassbar entwickelt und durchgesetzt - und ich glaube, das ist das, was wichtig ist."
» Silvio Heinevetter am Sonntag zur Situation des ThSV Eisenach
Heinevetter warnte unterdessen davor, sich zu früh eine Meinung zu bilden: "Ich glaube, eine Geschichte muss man erst zu Ende erzählen, bevor man darüber urteilen kann." Bislang ist von dieser Geschichte aber wenig bekannt: Dass es eine gibt, ist nicht zu übersehen, die Protagonisten sind zu erahnen ebenso Teile der Story - welchen Plot-Twist es aber noch geben könnte, das scheint völlig offen. Bereits in dieser Woche könnte es weitere Bewegung geben.
"Für Tradition gibt es keine Punkte, doch wir müssen das neu aufbauen, was den Verein in der Vergangenheit so erfolgreich gemacht hat", hatte René Witte übrigens vor sechs Jahren bei seinem Antritt beim damaligen Drittligisten gesagt. Am Sonntag sprach der Geschäftsführer über weitere Punkte für den Klassenverbleib in der 1. Liga, bei dem der ThSV mit 12 Punkten mehr als auf Kurs liegt, und das Ticket zum Final4 des DHB-Pokals als Ziele für den Dezember.
Doch ausgerechnet in Zeiten des Erfolgs scheint dem ThSV Eisenach die vielleicht entscheidende und nicht nur am Sonntag immer wieder bemühte Grundlage für das Wachstum der vergangenen Jahre verloren zu gehen - der Zusammenhalt. Stattdessen steht der Traditionsverein mitten in seiner Wachstumsphase vor einer Zerreißprobe.
cie