12.12.2024, 08:00
Der dienstälteste Liga-Coach im Interview
Heute vor zehn Jahren übernahm Florian Kehrmann den Trainerjob beim TBV Lemgo. Im Interview mit handball-world spricht der dienstälteste Bundesliga-Trainer über seine einzigartige Laufbahn - und welcher Job vor dem heutigen Auswärtsspiel bei den Füchsen Berlin ein "Traum" für ihn wäre.
handball-world: Herr Kehrmann, auf den Tag genau zehn Jahre Trainer beim TBV Lemgo. Herzlichen Glückwunsch!
Florian Kehrmann: Ja, vielen Dank. Wobei das für mich kein großes Thema ist. Ich bin keiner, der sich groß mit der Vergangenheit beschäftigt.
Zehn Jahre bei ein und demselben Verein an der Seitenlinie zu stehen, ist trotzdem etwas Besonderes. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, zehn Jahre Trainer in der Handball-Bundesliga zu sein. Wie viele Jahre sind Sie in der Zeit gealtert?
Zehn Jahre. Dass ich im Handball nach meiner aktiven Karriere als Spieler weiterarbeiten darf, macht mich zufrieden. Handballtrainer zu sein, ist mein Traumberuf - deswegen altere ich dabei auch ganz normal und möchte da nicht von übermäßig viel Stress oder dergleichen sprechen.
Welche Entwicklung hat der TBV Lemgo Lippe in diesen zehn Jahren genommen?
Das ist pauschal schwierig zu beantworten. Wir stehen auf sehr soliden Beinen jetzt. Mit Geschäftsführer Jörg Zereike sind wir nach der Beinahe-Insolvenz 2012 raus aus dem Krisenmodus. Wir arbeiten hier sehr seriös und holen mit den bescheidenen Mitteln, die wir zur Verfügung haben, das Maximum raus. Dabei setzen wir erfolgreich immer wieder Peaks, müssen aber natürlich auch immer wieder Spieler ziehen lassen, die für uns zu gut geworden sind.
Wie sehr schmerzt genau das? Spieler, die endlich richtig weiterhelfen könnten, dann plötzlich an die Konkurrenz abgeben zu müssen?
Das gehört dazu. Wenn Spieler bei uns gut werden, wecken sie Begehrlichkeiten. Das nehmen wir so an. Das müssen wir auch so annehmen - was bleibt uns anderes übrig? Wir sehen es dann eher als Bestätigung für unsere gute Arbeit. Denn in dem Bereich der Spielerentwicklung haben wir uns zu einer guten Adresse entwickelt, wo junge, talentierte Spieler gerne hinkommen.
Welche Entwicklung haben Sie persönlich in den vergangenen zehn Jahren genommen?
Manche Dinge haben sich nicht verändert: Ich verliere beispielsweise immer noch äußerst ungern. Aber manche Dinge haben sich auch verändert. So bin ich heute schon deutlich gelassener als zu Beginn meiner Trainerlaufbahn.
Schauen wir nach vorne: Welche Entwicklung ist noch möglich mit dem Verein?
Wir können nicht seriös die Zukunft vorhersagen. Aber wenn man sieht, dass wir vom Etat her vermutlich irgendwo auf Rang 14 oder 15 stehen, dann haben wir die vergangenen Jahre stets überperformt. Das bedeutet, dass wir jedes Jahr aufs Neue eine gute Entwicklung innerhalb der Saison genommen haben. Und genau das versuchen wir, immer wieder zu bestätigen.
Als dienstältester Trainer stehen Sie wie kaum ein anderer für Konstanz. Aber auch für Erfolg, was natürlich auch Begehrlichkeiten in Ihre Richtung weckt…
Natürlich. Aber auch da gilt: Ich lebe im Hier und Jetzt. Selbstverständlich weiß ich, wie schnelllebig der Profihandball ist. Und natürlich möchte ich auch mal als Trainer um Titel spielen. Aber ich kann auch nach zehn Jahren immer noch voller Überzeugung sagen, dass ich hier in Lemgo sehr zufrieden bin.
Die Verantwortlichen im Verein arbeiten mit Ihnen auf Basis eines gewachsenen, sehr großen Vertrauensverhältnisses. Lässt Sie auch diese Tatsache so locker mit etwaigen Wechselszenarien umgehen?
Exakt so ist es. Wir hegen gegenseitig eine sehr große Wertschätzung. Wir wissen alle, wie schnell es gehen kann - wir wissen aber auch alle, was wir aneinander haben und arbeiten sehr gerne zusammen an unserem Erfolg.
Wenn es Sie dann mal woanders hinziehen sollte, wäre auch der Job des Bundestrainers vorstellbar?
Wenn man über 200 Spiele für Deutschland als Nationalspieler gemacht hat, und jedes einzelne davon mit maximalem Einsatz und Stolz, dann ist das Amt des Bundestrainers natürlich ein Traum. Aber auch die Verantwortung für eine andere Nation oder eine andere Vereinsmannschaft zu übernehmen, ist absolut denkbar. Genauso denkbar ist es aber auch, einfach noch eine ganze Weile hier in Lemgo zu bleiben.
Zurück ins Hier und Jetzt: Heute Abend (12. Dezember) müssen Sie nach zuletzt drei Niederlagen bei den Füchsen Berlin antreten. Nicht der dankbarste Gegner, um mal wieder einen Sieg einzufahren, oder?
Die Füchse sind besonders zuhause extrem stark in dieser Saison. Wir wollen nach dem wirklich nicht guten Auftritt gegen Göppingen wieder ein gutes Spiel machen und uns gut verkaufen. Aber Favorit sind natürlich die Füchse.
Deren Geschäftsführer Bob Hanning hat Sie einst entdeckt und gefördert, hat sie erst zu TuSEM Essen und dann nach Solingen geholt. Holt er Sie auch irgendwann nach Berlin?
Ich kann mir vieles vorstellen. Aber aktuell sind die Berliner ja sehr gut aufgestellt, so dass sich diese Frage nun wirklich nicht stellt.
Aber eine andere stellt sich diese Saison öfter denn je, weil es so dermaßen spannend in der Liga zugeht: Wer wird denn Deutscher Meister? Vor der Saison haben Sie auf Flensburg getippt…
Und da bleibe ich auch bei! Aktuell sind zwar Melsungen und Hannover ganz vorne - aber ich denke, wir sehen am Ende einen Dreikampf zwischen Flensburg, Magdeburg und Berlin. Und ich glaube, dass Flensburg den längsten Atem hat.
Herr Kehrmann, auch wenn Sie selbst kein großes Thema daraus machen: Zehn Jahre ununterbrochen bei einem Verein als Trainer zu arbeiten, ist ein starker Beweis für das Vertrauen in Ihre Arbeit. Weiterhin viel Erfolg für die nächsten zehn Jahre - ob in Lemgo, oder sonst wo an der Seitenlinie.
Vielen Dank.
Daniel Duhr