14.12.2023, 17:35
"Der Grad zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz ist schmal"
Bennet Wiegert hat sich zu einem der besten und erfolgreichsten Trainer Europas entwickelt. Mit dem SC Magdeburg hat er dennoch weiterhin viel vor. Im Interview mit handball-world verrät er unter anderem, was ihm etwa am FC Bayern gut gefällt. Außerdem erklärt er, warum er sich selbst mit dem zweiten Platz zufrieden geben würde.
Bennet, der SC Magdeburg absolviert derzeit ein Mammutprogramm und trumpft dabei in allen Wettbewerben äußerst erfolgreich auf. Am Mittwochabend seid ihr auch noch ins Viertelfinale des DHB-Pokals eingezogen…
Bennet Wiegert: Das macht es zum Glück auch aushaltbar. In dieser Phase der Saison betreiben wir einen immensen Aufwand für unsere Spiele, haben viele lange Reisen zu absolvieren, sind viel von zu Hause weg. Als Handballer haben wir halt nicht immer die profihafteste Reiseplanung, müssen auf die Kosten schauen und können nicht überall per Charter fliegen. Hohe Anstrengungen verkraftet man natürlich besser, wenn man dabei erfolgreich ist.
Wie lange haltet ihr das noch durch?
Bennet Wiegert: Bis zum Ende der Saison.
Trotzdem schon Lust auf eine Auszeit?
Bennet Wiegert: Ja. In der EM-Pause werde ich mit der Familie ein paar Tage komplett abschalten, darauf freue ich mich sehr. Und trotzdem empfinde ich diese Pause als sehr kurz. Wenn ich an meine Nationalspieler und den aktuellen Olympia-Zyklus, der sie so gut wie gar nicht zur Ruhe kommen lässt, denke, dann wird mir schon etwas Angst und Bange. Aber wir bereiten unsere Jungs gut darauf vor.
Nicht bloß physisch, sondern vor allen Dingen auch mental. Und sie haben ja auch Bock drauf. Auch wenn ich es als Vereinstrainer gerne noch ein bisschen wegdrängen möchte, merke ich natürlich jetzt schon, dass die EM im Januar in Deutschland nicht bloß bei deutschen Spielern ein Thema ist. Und genauso werden dann im Sommer die Olympischen Spiele alles andere überstrahlen.
Was zeichnet deine Jungs aus, dass sie so herausragend durchhalten und kontinuierlich tolle Leistungen abrufen?
Bennet Wiegert: Sie sind einfach Maschinen! Manchmal erschrecke ich mich vor Ihnen selbst ein wenig, welchen Geist sie inzwischen verinnerlicht haben. Ich muss sie nur wenig antreiben, wenig peitschen, kaum zusätzlich motivieren. Sie wollen einfach alle maximal erfolgreich sein. Ich muss sie bloß ein bisschen leiten, in die richtige Bahn lenken. Das macht mir weniger Arbeit als noch vor ein paar Jahren. Mit vielen Charakteren arbeite ich inzwischen auch schon zu lange zusammen, als dass da jetzt noch irgendwelche Baustellen entstehen. Das ist ein wirklich gutes Gefühl.
Wir waren in der jüngeren Vergangenheit unfassbar erfolgreich. Doch diese Generation ist so gepolt, dass sie auch zukünftig erfolgreich sein will. Diese Jungs sind nicht satt, sie wollen mehr. Sie wissen genau, dass sie als Profisportler nur eine begrenzte Zeitspanne haben, und da gibt ihnen keiner etwas wieder. Es ist fantastisch, mit diesen Jungs zu arbeiten. Es macht unheimlich Spaß, dieses professionelle Gedankengut mit ihnen teilen und ihnen zu helfen, weiter erfolgreich zu bleiben.
Wohin führt die Reise des SCM?
Bennet Wiegert: Ich weiß es nicht. Es kann so viel passieren. Ich habe immer gesagt, wir können es nicht exklusiv haben, Titel zu gewinnen. Das wäre vermessen. Was wir aber als SC Magdeburg machen können, ist, alles zu investieren, um so lange wie möglich in allen Wettbewerben dabei zu bleiben, um die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dann am Ende auch etwas mitzunehmen.
Aber es kann durchaus passieren, dass der SC Magdeburg auch mal wieder ein Jahr lang ohne Titel bleiben wird - und es wird dennoch kein verlorenes Jahr sein. So viele Titel gibt es in einer Saison schließlich nicht zu vergeben, aber es gibt einen Haufen Mannschaften, die Titel gewinnen wollen. Es gefällt mir eh nicht, dass in Deutschland alles nur am ersten Platz gemessen wird.
Die Erwartungshaltung der Fans des SC Magdeburg ist hoch…
Bennet Wiegert: Die haben wir natürlich selbst produziert. Nicht nur die Hoffnung auf die Titel, sondern inzwischen beinahe das Selbstverständnis, wir müssten jeden Titel gewinnen. Für mich ist das völlig okay. Lieber so, als dass keine Sau an uns glaubt und niemand einen Pfifferling auf uns setzt. Wir haben es uns schließlich hart erarbeitet, dass man uns durchaus zutraut, um alle Titel mitspielen zu können. Für mich ist es ein Kompliment.
Wärst du denn mit der Vize-Meisterschaft am Ende des Jahres zufrieden?
Bennet Wiegert: Ja! Denn damit geht die Qualifikation für die Champions League einher. Und was das wirtschaftlich bedeutet, brauche ich keinem erzählen. Wenn mir am Anfang der Saison jemand versprechen würde, du wirst Zweiter, dann willige ich ein. Vielleicht bin ich diesbezüglich zu sehr Sicherheitsfanatiker und sage mir: "Lieber den Spatz in die Hand als die Taube auf dem Dach."
Aber ich weiß: Um diese Champions-League-Platzierungen kämpfen in Deutschland sieben oder acht Mannschaften. Wenn ich jetzt sagen würde, ich wäre unzufrieden mit Platz zwei - was für ein Vollidiot wäre ich denn dann? Na klar, möchten wir gerne Erster werden. Aber das wollen fünf andere auch.
Ist ein Champions-League-Startplatz existenziell?
Bennet Wiegert: Nein, nicht existenziell, aber das ist halt solch eine Sache: Wir haben einen Kader für die Champions League aufgestellt. Spielt dieser Kader nur in der European League, dann darf das keine Katastrophe sein. Aber wirtschaftlich wäre es zu hinterfragen. Ich wünsche mir mehr Power für die European League, eine höhere Wertigkeit.
Welche Bedeutung hat es für den SC Magdeburg, zum dritten Mal in Folge Vereinsweltmeister geworden zu sein?
Bennet Wiegert: Ich kann es gar nicht hoch genug bewerten! Das höchste Gut eines Trainers ist auch sportartübergreifend die Konstanz - wir sind kein One-Hit-Wonder, das einmal überrascht hat, um danach im Niemandsland zu verschwinden. Ich habe immer nach Konstanz verlangt. Und wie kann man Konstanz besser zeigen als in einem Wettbewerb, der nicht bloß hoch dotiert, sondern auch hochkarätig besetzt ist?
Kritiker werfen ein, dass dieser Wettbewerb seine Attraktivität in erster Linie durch ein hohes Preisgeld generiert…
Bennet Wiegert: Ich glaube, dass diese Klub-Weltmeisterschaft in den nächsten Jahren zu einem hochwertigen Titel werden wird - der derzeit in Deutschland noch etwas stiefmütterlich behandelt wird. Für den spanischen Raum war einst die Vereins-Europameisterschaft genau wie jetzt die Klub-WM stets etwas Besonderes. Nur wir Deutschen sehen den IHF Super Globe immer noch als Spaßturnier ums große Geld. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, denn die Mannschaften, die dort kontinuierlich in den Halbfinals und Finals stehen, sind Weltklasse!
Abgesehen von der Wirkung in der Außendarstellung - was macht ein solcher Dreifach-Erfolg mit einer ohnehin herausragenden Mannschaft?
Bennet Wiegert: Er lässt den Glauben an sich selbst wachsen! Das "Mia san Mia" des FC Bayern oder das "Wir sind Kiel" des THW, diese gefühlte, intrinsische Unschlagbarkeit - ja, ich mag diesen Hauch zur Arroganz. Doch dieser Grat zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz ist schmal und nur schwierig zu treffen. Aber lieber selbstbewusst und einen Hauch arrogant als verunsichert und ohne Selbstvertrauen.
Wir haben uns dieses Wissen, Großes leisten zu können, erkämpft. Wir wissen einfach, wie es geht. Es ist nicht so, dass du deshalb automatisch jede Verlängerung oder jedes Siebenmeterwerfen gewinnst. Aber unser Sport lebt auch von Erfahrung. Wir haben in der Vergangenheit schon ein paar Finals gespielt, dabei Triumphe gefeiert und Dramen erlebt. Und alles hat zu unserer Entwicklung beigetragen.
Wie sehr bindet der aktuelle Erfolg deine Jungs an den SC Magdeburg?
Bennet Wiegert: Es gibt nur wenig Spieler, die noch gerne weg wollen. Die fühlen sich alle wohl hier. Da muss ich allerdings auch ein bisschen aufpassen, denn wir wollen hier keine Komfortzone oder Wohlfühloase schaffen. Ich bin Fan von Kontinuität im Kader. Aber manchmal braucht es eben auch neue Reize.
Da geht es gar nicht um besser oder schlechter, sondern um anders. Das stresst mich auch ein bisschen. Mich stresst es, eben diese Haltestelle nicht zu verpassen, an der es auszusteigen gilt. Dabei rede ich jetzt nicht von einem Kader- oder Vereinswechsel, sondern schlicht über Innovationen in unserem Spiel.
Das klingt sehr spannend!
Bennet Wiegert: Absolut. Aber das sorgt auch für Stress im Kopf und ist mental nicht einfach. Also, dieses Wort "Zufriedenheit" gibt es bei mir nur selten, weil ich immer wieder das Gefühl habe, noch einen Schritt weiter gehen zu müssen. Doch dieser verbissene Ehrgeiz darf am Ende nicht zu einem akuten Krankheitsbild führen. Das wäre nicht positiv.
Sascha Klahn