27.11.2024, 15:25
Bundestrainer vor Auftakt im Interview
Am Freitag (29. November, 20.30 Uhr) startet die deutsche Frauen-Nationalmannschaft in Innsbruck gegen die Ukraine in die Handball-Europameisterschaft. Vor dem Auftakt sprach Markus Gaugisch über die Ziele, die Erwartungshaltung und die fehlende Übertragung bei den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern.
Sport-Informations-Dienst (SID): Markus Gaugisch, die Zuschauerzahlen in der Frauen-Bundesliga ziehen stark an. Ist diese positive Entwicklung auch ein Verdienst der Nationalmannschaft?
Markus Gaugisch: Eine Plattform wie Olympia hilft dabei, gesehen zu werden. Auch dem Frauenhandball. Daher war es sehr wichtig für die Außendarstellung, dass wir dort dabei waren. Das hilft auch den Klubs. Also ja, ich denke, dass wir einen Teil zu einer positiven Entwicklung des Frauenhandballs beitragen. Und ich hoffe, dass wir diesen Beitrag noch ein bisschen erhöhen können.
SID: Umso ärgerlicher, dass es bei der anstehenden EM wieder keine Übertragung bei den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern geben wird. Auch für die Heim-WM im kommenden Jahr gibt es noch keine klaren Signale. Wurmt Sie das?
Gaugisch: Natürlich wünsche ich mir das anders. Vor allem außerhalb der Community schlummert ein Riesenpotenzial. Die Handballerinnen und Handballer wissen, wo die Spiele zu sehen sind, die bedienen sich an Streams.
Aber es wäre natürlich auch toll, wenn wir darüber hinaus neue Märkte erschließen würden, wo wir dann Zuschauer und Zuschauerinnen erreichen, die nicht entweder mit dem Handball verwachsen sind oder irgendwo wohnen, wo Bundesliga-Handball schon die Nummer eins hinter Fußball ist. Das wäre super für die Wahrnehmung unserer Sportart und ein Riesengewinn, wenn auch diese Menschen sehen, wie attraktiv unser Sport ist.
SID: Die anstehende EM bietet mit Blick auf eine mögliche TV-Übertragung der Heim-WM noch einmal die Chance, für sich zu werben.
Gaugisch: Ja, beitragen können wir alles das, was auf der Platte passiert. Das ist unser Job und das wollen wir maximieren. Natürlich hilft es, erfolgreich zu sein, um Türen zu öffnen. Dafür brauchen wir aber keine Zusatzmotivation. Wir können zeigen, dass wir wirklich attraktiven Handball spielen und eine coole Truppe mit herausragenden Persönlichkeiten sind.
Wir sind eine Mannschaft mit guten Vorbildern für jugendliche Handballerinnen. Deshalb ist es natürlich schade, dass die Spiele nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen sind. Ich bin aber nur dafür zuständig, dass wir als Team möglichst eine Top-Leistung auf der Platte bringen. Wenn wir Werbung für uns machen können und dann auch andere Türen noch aufgehen, dann ist es natürlich eine tolle Sache.
SID: Es besteht die Gefahr, dass die bevorstehende EM zwischen den Höhepunkten Olympia und Heim-WM womöglich als Übergangsturnier gesehen werden könnte. Welchen Stellenwert geben Sie dem Turnier?
Gaugisch: Unser Ziel ist es, dass sich unsere Leistung einfach Stück für Stück nach oben entwickelt. Wir waren zuletzt bei der EM Siebter, dann bei der WM Sechster - jetzt geht es eben weiter. Für uns ist dieses Turnier natürlich wichtig. Wir haben einen neuen olympischen Zyklus gestartet und die Mannschaft mit frischem Input neu aufgestellt. Wir wollen jüngere Spielerinnen integrieren, die sich über Leistungen empfohlen haben. Auch Richtung Heim-WM 2025 will ich natürlich maximale Leistung sehen.
SID: Bei den bisherigen drei Turnieren unter Ihnen war das Team immer nah dran an den Top vier. Was fehlt noch?
Gaugisch: Auf dem Papier fehlt nicht viel. Aber im Leistungssport sind diese letzten paar Prozent noch schwerer zu generieren. Da brauchst du noch mehr Invest. Wir arbeiten intensiv jeden Tag daran, dass wir diesen Tag erwischen, wo wir so gut sind, dass wir im richtigen Moment auch mal so ein Knackpunktspiel gewinnen können. Es wäre toll, wenn das jetzt passiert.
SID: Können die Handball-Männer da ein Vorbild sein? Auch bei ihnen hat es Jahre gedauert, bis jetzt der Knoten geplatzt ist.
Gaugisch: Ja, das ist Wahnsinn. Wenn man sieht, mit welcher Selbstverständlichkeit wie Renars (Uscins) oder Juri (Knorr) - beide sind ja noch nicht alt - solche Knackpunktspiele inzwischen spielen. Das ist schon herausragend. Natürlich kann das ein Vorbild sein. Es braucht diesen Moment, wo es mal klappt. So wie bei den Männern im olympischen Viertelfinale gegen Frankreich. Nach solchen Momenten glaubst du an dich.
Ich habe es in Bietigheim erlebt, als wir in 70 Spielen keine Niederlage erlitten und vier Titel gewonnen haben. Da entwickelt sich so ein gewisses Selbstverständnis, das ist klar. Eine Art positive Arroganz nach dem Motto: 'Ich bin wer, ich kann was, und das zeige ich auch. Und ich lasse mich nicht klein machen, weder vom Gegner noch von außen. Ich bin selbstbewusst und ich haue den Ball rein.' Ich sage ganz klar: Wir haben uns bereits sehr gut entwickelt. Aber um die Teams ganz vorne einzuholen, brauchen wir einen Sahnetag.
SID: Könnte der schon in Österreich kommen?
Gaugisch: Stabil schlagen wir die ganz großen Teams jetzt noch nicht. Aber warum soll nicht einfach mal der Tag kommen, an dem wir eines dieser Weltklasse-Teams bezwingen? Wir arbeiten daran, dass das in diesem Turnier passiert.
SID: Das klingt selbstbewusst. Wie lautet das Ziel für die EM? Fünfter werden wohl kaum.
Gaugisch: Wir wollen einfach besser werden und uns weiterentwickeln. Wir wollen auf jeden Fall nach Wien. Und dort wollen wir so lange wie möglich spielen. Und wir wollen alles versuchen, um in dieses Halbfinale zu kommen.
SID