24.09.2024, 17:45
Beachhandball-Nationaltrainer im großen Interview
Weltmeister, Europameister, World-Games-Sieger: Alexander Novakovic führte die deutschen Beachhandballerinnen in die Weltspitze. Im Interview mit Bock auf Handball und handball-world spricht der Nationaltrainer über seinen Werdegang, das Erfolgsrezept und das Turnier, wo er einst Lehrgeld bezahlte.
Alex, während der Olympischen Sommerspiele in Paris fand ein Show-Event mit Spieler:innen und Coaches aus der ganzen Welt statt, um den Beachhandball vor dem IOC zu präsentieren. Was könnte der Beachhandball zum Programm beitragen?
Alexander Novakovic: Der Beachhandball kann die Sportart Handball moderner erscheinen lassen, sie ergänzen, sie komplett machen. Der Beachhandball vertritt zu 100 Prozent die Werte, die sich auch Olympia auf die Fahnen geschrieben hat. Der wichtigste Wert ist das Fairplay. Ich kenne kaum einen Ballsport, der so auf Fairplay ausgelegt wird.
Worauf wird es aus deiner Sicht für diesen Schritt ankommen?
Das ist natürlich größtenteils Sportpolitik, aber es muss einfach eine weltweite Bewegung werden. Es gibt wichtige Märkte, wo der Beachhandball noch nicht so groß ist wie in Europa oder Südamerika und wo sich der Sport noch entwickeln kann. Ob China, wo in diesem Jahr die WM war oder Afrika: Das sind große Märkte, die wir noch erschließen müssen - zu einem sportpolitisch, weil dort viele Stimmen im IOC herkommen, aber auch gesellschaftlich. Wir wollen ja keine Nischensportart sein, sondern eine weltweite Bewegung.
Was bedeutet es dir rückblickend, dass du für den Showcase nominiert worden bist?
Ich bin sehr stolz, das ist eine riesengroße Ehre. Es ist auch eine große Ehre für den Deutschen Handballbund, dass ein deutscher Trainer und vier deutsche Spieler:innen in Paris dabei sein durften. Das zeigt, dass wir eine gute Entwicklung gemacht haben.
Wie hast du die Tage in Paris erlebt?
Es war extrem positiv. Die Franzosen hatten eine richtig schöne Anlage aufgebaut, die als offizielle Fanzone im Branding der Olympischen Spiele gestaltet war. Sportlich war es wichtig, dass wir spektakulären Beachhandball bieten und unsere Werte zeigen. Wir wollten zeigen, dass unser Sport nicht so körperbetont ist wie in der Halle, sondern es auf Fairplay ankommt. Es durfte aber auch kein Schauspiel, keine Show sein, denn wir wollten den Wettkampfcharakter zeigen. Es war jedoch schon eine Herausforderung, die ganzen verschiedenen Kulturen und Spielstile zu vereinen.
Magst du das erklären?
Es hat nach dem zweitägigen Training schon ganz gut geklappt, aber es gab eine Sprachbarriere. Einige Spielerinnen haben Englisch weder gesprochen und verstanden; da konnten wir nur mit Zeichensprache und Vormachen arbeiten. Außerdem habe ich gemerkt, dass die Kulturen einfach anders sind. Spieler:innen aus Südamerika oder China verlangen einen ganz anderen Trainertyp, der ich als Europäer nicht bin. Das war höchstinteressant.
Dass du einmal als Trainer einer Weltauswahl im Sand von Paris stehen würdest, war vor zehn Jahren jedoch nicht annähernd abzusehen, denn eine Trainerkarriere war eigentlich nicht das Ziel, oder?
Das stimmt, ich war zuerst Schiedsrichter bis in die 2. Bundesliga. Wir waren, das kann man so sagen, ziemlich auf der Überholspur und haben im Sommer 2011 sogar einen Platz im Elite-Nachwuchskader bekommen. Den mussten wir aus beruflichen Gründen absagen und haben aufgehört zu pfeifen. Unseren Platz haben dann übrigens Brodbeck/Reich bekommen …
Wie bist du Trainer geworden?
So, wie es in einem Verein läuft: Es werden immer Leute gesucht, die Aufgaben übernehmen. Ich bin beim TSV Ismaning, seit ich mit fünf Jahren selbst in den Minis angefangen hatte und habe auch in den Herren noch lange gespielt, wobei der Fokus immer auf dem Pfeifen lag. Als das vorbei war, habe ich 2012 die weibliche A-Jugend übernommen und wir sind - in der Halle - zweimal bayrischer Meister geworden.
Wie kam es zum Wechsel in den Sand?
Nach zwei Jahren habe ich ein Abschlussevent für die weibliche A-Jugend gesucht. Wir haben 2014 für das Turnier in Wildeshausen gemeldet. Das war der Startschuss, denn wir sind damals Deutscher Meister geworden. Seitdem bin ich komplett im Beachhandball.
Ich habe mit Manfred Königsmann zusammen die Brüder trainiert und die Jugend-Nationalmannschaft beim Deutschen Handballbund. Das war damals ein Trainer-Fulltime-Job, denn es gab noch keine Strukturen im DHB, wir mussten das alles selbst aufbauen. Wir sind in verschiedene Hallen gefahren, um Talente zu finden, die wir uns im Beachhandball vorstellen konnten. 2015 haben wir in Lloret de Mar direkt Bronze mit der U19 geholt.
Wie hast du dir das notwendige Trainerwissen angeeignet?
Wir richten in Ismaning seit 1999 Beachhandball-Turniere aus und ich habe daher auch selbst lange Beachhandball gespielt. Mit unserem Team, den Burgenbauern, war ich in Cuxhaven bei der Deutschen Meisterschaft; auch Dominik Klein hat eine zeitlang mit uns gespielt. Ich war damals Linienspieler, wir haben nur über Kempa gespielt, denn damals gab es noch keinen Spinshot (lacht).
Ich habe also ein bisschen Erfahrung mitgebracht, aber um ehrlich zu sein: Ich bin mit jedem Schritt in den Leistungssport rein auch mal auf die Schnauze gefallen. Es gab keine Beachhandballtrainer im Leistungssport in Deutschland, wo ich hätte hospitieren können; es war viel Learning by Doing und ich habe dafür auch Lehrgeld bezahlt.
Hast du ein Beispiel?
Die Jugend-Europameisterschaft 2016 in Nazare ist ein kleines Trauma gewesen, das ich erst. Wir sind damals im Viertelfinale ausgeschieden und deswegen nicht zur Weltmeisterschaft und den Olympischen Jugend-Spielen gefahren. Wir waren sehr jung, die Erfahrung hat gefehlt. Das hat lange an mir genagt und erst im vergangenen Jahr aufgehört, als wir in Nazare Frauen-Europameister geworden sind.
Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, dass du ein guter Beachhandballtrainer bist?
2015 bis 2019 waren die Erfolge mit den Bronzemedaillen in der Jugend da und seit 2021 läuft es mit den Frauen wie am Schnürchen. Ich will aber gar nicht sagen, dass ich es kann, aber ich glaube schon, das ich ein Auge für Talente und ein gewisses Händchen dafür, welche Spielerinnen in Drucksituationen performen können. Das ist beides entscheidend, denn als Nationaltrainer hat man den Luxus, dass man sich seine Spielerinnen aussuchen kann. Und ich bin sicherlich auch ein Menschenfänger. Ich kann Menschen begeistern, sie motivieren und sie binden.
Gemeinsam mit deinem Co-Trainer Hendrik Sander hast du die deutschen Beachhandballerinnen zu jeweils zwei WM- und EM-Titeln geführt; außerdem habt ihr die World Games gewonnen. Was ist das Erfolgsrezept?
Einen sportlichen Rahmen zu setzen, der zur Mannschaft passt, eine Wohlfühlatmoshpäre zu schaffen, sodass sich alle Spielerinnen freuen, zur Nationalmannschaft zu kommen und der Mannschaft ein ganz, ganz großes Vertrauen entgegenzubringen.
Das klingt erst einmal simpel. Was macht den Unterschied zu anderen Nationen aus, dass ihr in den letzten Jahren so dominieren konntet?
Sportlich setzen wir als Nationaltrainer natürlich taktisch und athletisch den Rahmen, aber das ist nicht unbedingt die Kunst, denn das können viele gut. Ich glaube, was es ausmacht, ist das Verhältnis zur Mannschaft. Wir schaffen es, die Trainer-Spieler-Beziehung zu gestalten, dass wir natürlich Trainer sind, aber dennoch eine freundschaftliche Verbindung an vielen Stellen da ist. Das schafft eine sehr harmonische Beziehung, die von beidseitigem Respekt und von Vertrauen geprägt ist.
Wir schaffen es, eine Wohlfühlatmosphäre zu kreieren. Das ist ganz entscheidend, wenn du bei einem Turnier unter Druck bist und blöde Situationen verkraften musst. Natürlich treffe ich am Ende die Entscheidung, denn ich habe die Verantwortung, aber es ist eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Spielerinnen. So haben wir es in den letzten immer geschafft, aus einem Tief rauszukommen.
Hinter Martin Heuberger bist du der Trainer, der als Cheftrainer die meisten Titel für den Deutschen Handballbund geholt hat. Wie unglaublich ist das immer noch?
Es kommt mir surreal vor. In so einer Liste überhaupt genannt zu werden - als der kleine Beachhandballtrainer, als der ich mich immer noch sehe - ist skurril. Das ist für mich nicht realistisch, weil ich weiß, wo ich herkomme. Wenn mir jemand 2014 gesagt hätte, was passieren wird, ich hätte es nicht geglaubt. Ich hätte gesagt: Du redest Quatsch! Die Titel sind ja nur eine Sache; für unsere Siegesserie von 34 Spielen mit 2:0 Sätzen habe ich bis heute keine Worte. Das ist unglaublich, das wird nie wieder möglich sein.
Was war die schönste Goldmedaille?
Die emotionalste Medaille war sicher der erste EM-Titel in Varna. Das war nicht nur der erste, sondern auch der überraschendeste Titel. Die optisch schönste Medaille, wenn ich sie mir nebeneinander hängend anschaue, ist die World-Games-Medaille.
Nach dem WM-Titel sagte jemand zu mir, dass ihr eigentlich alle zurücktreten müsstet, weil es nicht mehr besser werden kann…
Wir machen trotzdem weiter (lacht). Für diese Generation gibt es, solange es in der Mannschaft so funktioniert, gibt es keinen Grund aufzuhören. Und wir können uns 2025 mit der Europameisterschaft und den World Games auf zwei tolle Events freuen. 2029 können wir zudem im eigenen Land für den Beachhandball etwas erreichen, bei den World Games in Karlsruhe.
Wer weiß, ob wir alle bis dahin durchhalten, aber ich kann mir sonst auch vorstellen, das als der erste TV-Experte für Beachhandball im deutschen Fernsehen zu begleiten (lacht). Es macht in dem Teamgefüge aber aktuell richtig viel Spaß, und solange der DHB und meine Frau mich lassen, sehe ich keinen Grund aufzuhören.
Ihr habt alle großen Titel geholt, die es im Beachhandball gibt. Welches Ziel ist sportlich noch offen?
An Titel haben wir tatsächlich alles gewonnen, was wir gewinnen können. Wir wollen unser Niveau halten, andere Länder und Kulturen kennenlernen und weiter hungrig sein. Das ist eine Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist, nachdem es in den letzten Jahren so perfekt lief. Oben zu bleiben ist viel schwieriger, als hoch zu kommen. Wir haben drei Jahre lang bewiesen, dass wir das können und das wollen wir weiter beweisen.
Für mich als Trainer ist es zudem ein großes Ziel, möglichst viele der Talente, die wir selbst ausbilden, in die A-Nationalmannschaft zu bringen. Es macht mir Spaß, die Talente zu integrieren - und zwar so, dass das Team auch weiterhin so harmonisch und sozial toll funktioniert, obwohl jedes Jahr ein, zwei Neue dazustoßen.
Wie gelingt das?
Im Nationalteam hast du wie gesagt den Luxus, dass du aus vielen guten Spielerinnen auswählen kannst. Wenn man das von Außen betrachtet, fragt man sich immer wieder oft, warum ein Nationaltrainer diesen oder jenen Spieler mitnimmt oder diese oder jene Spielerin eben nicht. Das hat jedoch in der Regel gute Gründe. Auf der Straße durch ein Turnier liegen viele große Brocken und wenn das Team nicht perfekt funktioniert, dann wird es diese Brocken nicht wegräumen können.
Was heißt das genau?
Teamgeist und Willensstärke können nur entstehen, wenn jeder sich wohlfühlt und seine Rolle kennt. Wenn es Konflikte im Team gibt, wird es nicht möglich, einen Erfolgt zu generieren. Deswegen ist die menschliche Komponente sehr, sehr wichtig. Wir haben viele gute Beachhandballerinnen in Deutschland, aber das Menschliche ist vielleicht sogar ein Stückweit wichtiger als die sportliche Qualität.
Wenn du so viel von Vertrauen und Wohlfühlatmosphäre sprichst: Wie schwierig ist es, einer Spielerin zu sagen, dass sie bei einem Turnier nicht dabei ist?
Das ist das einzige, was mir an dem ganzen Job keinen Spaß macht. Null komma Null. Das ist nicht schön, aber es gehört leider dazu. Es gibt Entscheidungen, die klarer sind und es gibt Entscheidungen, die Fifty-Fifty stehen. Am Ende gibt uns der Erfolg recht, weil keiner etwas dagegen sagen kann. Und ich spüre auch in der Mannschaft, dass ein großes Vertrauen in unsere Auswahl da ist.
Was war die schwierigste Entscheidung?
Ich kann eine Entscheidung ganz offen benennen, die im Nachhinein einfach falsch war: Dass ich Amelie Möllmann 2019 nicht zur Europameisterschaft mitgenommen habe. Das hat sie mir mittlerweile aber verziehen (lacht). Es ist grundsätzlich sehr schwer, wenn du Spielerinnen lange Jahre dabei hattest, sie vielleicht an Titeln beteiligt waren und du sie dann ein oder zwei Jahre später nicht mitnehmen kannst, weil zur WM beispielsweise zwei Spielerinnen weniger fahren dürfen als zur EM.
Worauf bist du abseits der Titel stolz?
Dass ich diese Spielerpersönlichkeiten mitentwickeln durfte bzw. die Entwicklung begleiten durfte. Das macht unglaublich viel Spaß. Am Anfang waren es junge Mädchen, die viel geweint haben, weil Niederlagen schmerzlich sind und sie nicht mit Druck umgehen konnten. Jetzt sind es junge Frauen, die mental unfassbar stark sind, mit einem großen Glaube an sich und tollen menschlichen Werten. Diese Entwicklung erleben zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes an unserem Job.
Stichwort Entwicklung: Was wünscht du dir - für die Zukunft - für dich als Trainer?
Hendrik und ich sind bei der Trainingsgestaltung sehr eingefahren. Das ist nicht schlecht, weil sich so Automatismen entwickeln, aber wenn ich andere Trainer im Sand sehe, denke ich oft: Das ist eine geile Übung, da hättest du auch draufkommen können. Marten (Männer-Bundestrainer Marten Franke, Anm. d. Red.) arbeitet beispielsweise wesentlich strukturierter, da habe ich mir in den letzten ein, zwei Jahren etwas abgeschaut. Ansonsten lernt man generell nie aus und gerade der Beachhandball ist noch ein so junger Sport, dass keiner ausgelernt haben kann. Ein Trainer, der sagt, dass er fertig ist, ist nicht gut.
In welches Land würdest du gerne einmal mit dem Beachhandball reisen?
Zur ersten Jugend-Weltmeisterschaft auf Mauritius haben wir es damals leider nicht geschafft, das war nicht nur sportlich, sondern auch vom Land sehr bitter. Ansonsten hätte ich nix gegen Los Angeles, Brisbane oder das Land, wo die Olympischen Spiele 2036 sein werden (lacht).
Wie groß ist deine Hoffnung, auf ein Heimturnier vor den World Games in Deutschland?
Ich hoffe natürlich sehr darauf und bin auch vorsichtig optimistisch. Der DHB hatte sich ja bereits für eins beworben, die diesjährige WM ging dann aber nach China. Wenn die World Games 2029 in Karlsruhe stattfinden, ist ein Jahr davor die große Chance, etwas zu tun - entweder dort oder auch woanders im Land. Der DHB hat generell das Interesse an einer Ausrichtung.
Zum Abschluss: Du sagtest, dass du früher nie einen Spinshot gesprungen bist. Kannst du ihn springen?
Ich habe vor Corona angefangen, den Spinshot zu üben, denn ich habe gefürchtet, dass irgendwann eine Spielerin eine Wette abschließen will - so nach dem Motto: Wenn wir einen Titel gewinnen, muss ich einen Spinshot machen. Ich kann ihn inzwischen tatsächlich, aber es ist aber technisch nicht ausgereift und die Haltungsnote ist schlecht.
Welchen Trainer würdest du um Hilfe fragen, um deinen Spinshot zu verbessern?
Leticia Brunati aus Argentinien, denn dann muss es auch die Beste sein, aber ich glaube, nicht einmal sie würde es hinkriegen (lacht). Selbst mein sechsjähriger Sohn kann schon einen Spinshot, der besser ausschaut als meiner …
Das Interview bildet die Grundlage für den Beitrag "Titelsammler und Menschenfänger" über Alexander Novakovic in der aktuellen Ausgabe von "Bock auf Handball", die im August erschien - und zudem unter anderem einen Blick hinter die Kulissen der Füchse Berlin warf, ein Angelausflug mit Patrick Wiencek machte sowie die älteste aktive Handballerin in Deutschland vorstellte.
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