07.07.2024, 14:40
"Mir macht das einen Riesenspaß"
Sie sind groß, kräftig - und manche von ihnen sehen auf den ersten Blick nicht gerade wie Modellathleten aus. Kreisläufer zählen zu den spannendsten Spielern im Handball. Nicht nur, weil sie außergewöhnliche Körper haben. Sondern auch, weil sie immer dort hingehen, wo es wehtut. Aber warum tun sie sich das an? In "Bock auf Handball" erzählten zwei von ihnen, weshalb es für sie keine bessere Position gibt.
Fremde Finger voller Harz in Gesicht und Nacken. Hände, die permanent am eigenen Trikot ziehen oder engster Körperkontakt mit dem Gegner in fast jeder Phase des Spiels. Dann die permanenten Schläge und schweißnassen Arme, die sich um den eigenen Bauch spannen wie eine viel zu eng gezogene Schnur.
Tobias Wagner kennt das alles. Für den österreichischen Nationalspieler gibt es auf der Platte fast keine Sekunde, in der er mal in Ruhe gelassen wird. "Mir macht das einen Riesenspaß", sagt er trotzdem. Wagner ist 28 Jahre alt, 1,98 Meter groß und 125 Kilogramm schwer. Ein Schwergewichtsboxer, könnten manche meinen. Ein typischer Kreisläufer, sagt man zu Typen wie Wagner im Handball.
Wer den Profi von Bregenz bei der Handball-EM in Deutschland zum ersten Mal auf der Platte gesehen hat, könnte sich trotz seiner Idealmaße verwundert die Augen gerieben und - wie die Aufrufe bei handball-world zeigen - Informationen über den ungewöhnlichen Akteur gesucht haben. Weil Wagner nicht wie ein Modellathlet, sondern eher wie der stämmige Kerl von nebenan aussieht.
Der ehemalige Bundesliga-Spieler weiß um diese Vorurteile - er weiß aber vor allen Dingen auch, wie sehr sein Körper ihm als Kreisläufer hilft. "Es ist viel schwieriger, um mich herauszuarbeiten als um einen 80-Kilo-Menschen", sagt er. "Unter 100 Kilogramm wird es im internationalen Handball am Kreis ganz schwer. Es gibt mittlerweile in Europa viele Kreisläufer, die nicht das Paradebeispiel eines Modellathleten sind."
Dazu zählt nicht nur er selbst, sondern beispielsweise auch Patrick Wiencek vom THW Kiel und damit einer der noch immer besten Abwehrspieler der Welt. Der Ungar Bence Bánhidi bringt bei 2,07 Metern Körpergröße sogar mehr als 130 Kilogramm auf die Waage und gehört ebenfalls zu den begehrtesten Kreisläufern des Kontinents.
"Das ist wichtig für uns, dass wir solche Körper haben", sagt Tobias Wagner. "Wir haben ganz sicher den meisten Körperkontakt und stecken ziemlich viel ein, da hilft das enorm." Aber warum tut man sich genau das freiwillig an? Wieso stecken Typen wie Wagner, Bánhidi oder der französische Weltklasse-Kreisläufer Ludovic Fabregas so gerne ein?
"Weil ich da die ganze Energie, dieses Urmenschliche, mein ganzes angestautes Testosteron abbauen kann", erzählt Tobias Wagner mit einem Schmunzeln. "Als Linksaußen könnte ich das nicht tun." Im normalen Leben sei er eher ein ruhiger Typ, auf der Platte dagegen könne er sich ausleben.
Ludovic Fabregas hat andere Beweggründe, aber im Prinzip gefällt ihm an seiner Position das Gleiche wie Wagner: die harte Arbeit. Wenn der Franzose das Spielfeld verlässt, ist er meistens ziemlich platt und nicht selten voller Schmerzen. Aber genau das mag er, weil er danach nicht nur weiß, sondern auch spürt, was er geleistet hat.
"Für mich ist das die beste Position im Handball", sagt der Profi von Telekom Veszprém. "Als Kreisläufer kannst du alles sein: groß, kräftig, stämmig. Wir müssen körperlich härter arbeiten als die anderen, unsere Position ist nicht leicht zu spielen." Genau darum brauchen Kreisläufer auch ihre außergewöhnlichen Körper: um sich durchsetzen, sich behaupten zu können.
Kurioserweise haben genau deshalb nicht wenige der heute besten Kreisläufer der Welt ursprünglich auf ganz anderen Positionen angefangen. Wagner und Fabregas etwa haben als Jugendliche noch im Rückraum gespielt. Erst als ihre Körper langsam die heute gigantische Statur annahmen, wurden sie zu Kreisläufern umgeschult. Denn eins ist offensichtlich: Mit der Figur eines Rechts- oder Linksaußen hätte man auf ihrer Position heutzutage keine Chance.
"Unsere Körper sind voll mit blauen Flecken, wenn das Spiel vorbei ist", sagt Wagner. "Als wir bei der EM gegen die Franzosen gespielt haben, hatte ich danach einen Cut über dem Auge. Auch Fabregas hatte einen Cut über dem Auge." Trotzdem liefen beide danach mit einem Lächeln durch die Katakomben der Kölner Arena. Business as usual eben, blaue Flecken oder Cuts gehören zu ihrem Job dazu . Man müsse einfach eine hohe Schmerzgrenze haben, so Wagner.
Hinweis: Das obige Stück über Kreisläufer im Handball stammt aus der Ausgabe 14 von Bock auf Handball, die im Frühjahr erschien. Das Heft ist im Online-Shop weiterhin bestellbar.
Eine große Bildergeschichte gibt einen exklusiven Blick hinter die Kulissen beim deutschen Topklub SC Magdeburg. Zudem haben wir mit Uwe Gensheimer über sein Karriereende gesprochen, Füchse-Keeper Dejan Milosavljev einen Besuch in Berlin abgestattet, Hendrik Pekeler auf seinem Dachboden zu Hause besucht und mit der deutschen Nationaltorhüterin Dinah Eckerle über das noch nicht ganz normale Chaos zwischen Profisport und Mutterschaft gesprochen.
Hinweis: Die aktuelle Ausgabe Nummer 15 von Bock auf Handball ist im Online-Shop ausverkauft - Restexemplare sind noch in einigen Zeitschriftenläden erhältlich. Wer die Ausgabe Nummer 16 nicht verpassen will, kann diese schon jetzt im Abo vorbestellen - im Online-Shop gibt es zudem noch frühere Ausgaben, teils zum reduzierten Preis.
» Frühere Ausgaben von Bock auf Handball im Online-Shop bestellen
Bock auf Handball erzählt interessante Geschichten über die Stars des Handballs. Das Einzelheft gibt es für 7,00 Euro im gut sortierten Zeitschriftenhandel sowie im Online-Shop als Einzelheft - versandkostenfrei in Deutschland - und im Abo. Zudem gab es im vergangenen Jahr ein Sonderheft zum THW Kiel und eines zum Themenbereich Schiedsrichter im Handball.
Nils Bastek, Bock auf Handball