20.02.2024, 09:32
Über Comeback, Krise der Rhein-Neckar Löwen und Zukunft
Tobias Reichmann zeigt sich im Interview trotz der aktuellen Krise der Rhein-Neckar Löwen optimistisch und nimmt einen viel kritisierten Mitspieler in Schutz. Zudem spricht der Handball-Europameister von 2016 über sein Comeback und äußert sich über seine Zukunft über das Saisonende hinaus.
Nach acht Pflichtspiel-Niederlagen in Folge empfangen die Rhein-Neckar Löwen in der European League den TSV Hannover-Burgdorf. Winter-Zugang Tobias Reichmann will helfen, die Krise zu beenden.
Im Interview mit handball-world spricht der dreifache Champions-League-Sieger und Europameister über sein Comeback und die Krise der Löwen, über Spielhallen und Handballhallen, über Kopfschmerzen und kluge Köpfe - und erklärt, warum Außenspieler zum Warten verdammt sind.
handball-world: Tobi, ganz viele Kinder in Kassel und Umgebung sind traurig - weil sie jetzt länger auf ihre Indoor-Spielhalle warten müssen. Nur, weil Du noch Handball spielen willst. Schlechtes Gewissen?
Tobias Reichmann (lacht): Ein bisschen schon. Im Ernst: An meinem Projekt, eine Indoor-Spielhalle für Kinder aufzumachen, halte ich fest. Aber aktuell hat der Handball zum Glück noch einmal Vorrang.
Hanteln im Home-Office statt Handball in der Halle - bevor Dich die Rhein-Neckar Löwen verpflichtet haben, hast Du Dich ein halbes Jahr lang zu Hause fitgehalten. Was hat das mit Dir gemacht?
Reichmann: Das hat mir schon Kopfschmerzen gemacht. Mit jeder Woche ist meine Hoffnung weniger geworden, noch eine Chance zu bekommen. Aber irgendwas in mir hat auch gesagt: "So wird Deine Handball-Zeit nicht enden …"
… was Dich motiviert hat, in Form zu bleiben. Denn Rasenmähen allein reicht vermutlich auch bei bestem Stellungsspiel nicht, um in der Bundesliga nochmal anzugreifen?
Reichmann: Exakt. Ich habe seit Oktober bei der MT Melsungen II mittrainiert und mich und meine Schulter am Laufen gehalten.
Im Januar kam dann der Anruf von Uwe Gensheimer. Und während Du Dich auf die Rhein-Neckar Löwen vorbereitet hast, waren einige Deiner Teamkollegen bei der Europameisterschaft am Ball.
Reichmann: Die EM habe ich natürlich verfolgt. Platz vier ist ok. Man sieht, dass es Fortschritte gibt in der Mannschaft. Aber man sieht auch, dass zu den Top-Nationen noch eine große Lücke besteht.
Du weißt aus eigener Erfahrung, wie man nicht Vierter, sondern Erster wird - warum ist die Lücke zur Weltspitze so groß?
Reichmann: In der Abwehr sind wir sogar auf Augenhöhe, würde ich sagen. Aber im Angriff ist einfach noch viel Luft nach oben. Da sind wir bei weitem noch nicht so variabel und nicht so gefestigt.
Apropos Angriffsspiel: Die EM war jetzt kein Torfestival für die deutschen Außenspieler. Mehr einfache, schnelle Tore hätten dem Spiel aber gutgetan. Ist nach Deinem Comeback in der Bundesliga auch ein Comeback in der Nationalmannschaft denkbar?
Reichmann: Das Thema ist weit weg. Ich arbeite aktuell jeden Tag hart daran, wieder bei hundert Prozent anzukommen, um den Löwen bestmöglich zu helfen. Aber man sollte niemals nie sagen.
Du hast in Deinen ersten vier Spielen jetzt 17 Tore gemacht, Dich nahtlos eingefügt ins Spiel und zumindest die Siebenmeter-Schwäche der Löwen schon mal abgestellt. Was ist von Dir persönlich noch zu erwarten in der Rückrunde?
Reichmann: Ich hoffe, jede Menge. Vier Kilo habe ich schon verloren, ich werde immer fitter. Neben meinen Toren und meinem spielerischen Pfund möchte ich aber auch gerade den vielen jungen Spielern mit meiner Erfahrung helfen. Auch da sehe ich meine Rolle.
Was traust Du Euch als Team noch zu? Heute Abend geht es gegen Hannover, die erste Mannschaft die seit fünf Monaten gegen Magdeburg gewinnen konnte …
Reichmann: Dann besiegen wir jetzt den Champions-League-Sieger-Besieger! Ich glaube fest daran, dass wir gegen die Recken gewinnen können. Da ist alles drin.
Trotz der aktuellen Krise?
Reichmann: Ja, absolut. Wir haben eine kleine Krise, ja. Aber ich bin überzeugt von der Qualität, die wir haben. Ganz ehrlich: Wir müssen nicht anfangen, uns mit dem Abstieg zu befassen. Dafür sind wir zu gut. Wir müssen anfangen, unsere Qualität auch auf die Platte zu bringen. Und das werden wir auch.
Wieso ist das bisher nicht regelmäßig gelungen?
Reichmann: Zumindest ist es nicht über 60 Minuten gelungen. Wir sind gut eingestellt gewesen, haben auch zum Beispiel gegen Flensburg 40 Minuten gut mitgespielt - aber dann mit vielen einfachen Fehlern das Spiel verloren.
Euer Angriffsspiel wirkt oft überhastet, besonders in engen, in entscheidenden Situationen.
Reichmann: Das ist es auch. Das liegt aber nicht an Juri. Dass er es als Spielgestalter dann manchmal erzwingen will und auch Fehler macht, ist erstens völlig normal für einen so jungen und spielwitzigen Mittelmann, und zweitens sind da auch seine Nebenmänner und die gesamte Mannschaft gefragt, den Druck und die Verantwortung breiter zu verteilen.
Auch ein Punkt, wo Du Deine Erfahrung ausspielen kannst?
Reichmann: Ganz klar! Vor allem junge Spieler lernen aus solchen Phasen. Und erfahrenere Spieler müssen dann helfen. Das werde ich auch. Und eins ist sicher: Juri ist ein sehr guter Spieler mit einem klugen Kopf. Und wir werden alle noch sehr viel Spaß an Juri haben.
Ist es trotzdem manchmal frustrierend, als sicherer Außen auf ein Anspiel zu warten und dann besonders in entscheidenden Situationen mitansehen zu müssen, wie wieder ein Angriff in einen Tempo-Gegenstoß mündet?
Reichmann: Sicher. Aber das gehört dazu. Wir Außenspieler sind dazu verdammt, auf unsere Chancen zu warten - und die Bälle dann einfach reinzumachen.
Wenn Handball ein Wunschkonzert wäre: Auf welcher Position, unter welchem Trainer und bei welchem Verein würdest Du gerne noch einmal spielen?
Reichmann: Nochmal in Polen, in Kielce, nochmal auf Rechtsaußen, nochmal unter Talant Dujshebaev. Er hat mir einfach unglaublich viel beigebracht.
Und wenn das Wunschkonzert - und die Rückrunde - beendet sind: Was kannst Du Dir für nächste Saison vorstellen?
Reichmann: Vielleicht bleibe ich ja länger bei den Löwen. Grundsätzlich bin ich für fast alles offen - ich habe einfach noch zu viel Spaß am Handball, um aufzuhören!
Daniel Duhr