vor 3 Stunden
Die Tür zum Viertelfinale ist geöffnet
Südkorea darf sich nach dem überraschenden Sieg gegen Deutschland Hoffnungen auf den Einzug ins Viertelfinale machen. Coach Henrik Signell will vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Slowenien jedoch nichts von einer Favoritenrolle wissen.
Sie schienen selbst am meisten überrascht: Die Südkoreanerinnen stürmten nach dem überraschenden Erfolg auf das Feld und jubelten ausgelassen. Auch auf dem Weg in die Kabine nahmen sie sich immer wieder in die Arme und strahlten. "Das ist der wichtigste Moment in meinem Leben", sagte die junge Rückraumspielerin Bitna Woo überwältigt.
Trainer Henrik Signell freute sich zusammen mit seinen Spielerinnen. "Mir geht das Herz auf, wenn ich ihre Freude sehe", konstatierte der Schwede, der die Mannschaft erst seit einem Jahr trainiert. Nach der verpatzten Weltmeisterschaft 2023 und der nur hauchdünnen Qualifikation war es auch für den Trainer ein wichtiger Erfolg: "Wir haben gespürt, dass die Spielerinnen uns vertrauen. Wir haben Tag für Tag einen Schritt nach dem anderen in der Entwicklung gemacht und haben jetzt das Ergebnis gegen ein wirklich gutes Team gesehen."
Die Südkoreanerinnen zeigten sich gegen die physisch überlegene deutsche Mannschaft ebenso bissig wie clever. "Deutschland ist so stark, aber wir haben gewonnen", freute sich Woo, die in der Schlussphase von der Siebenmeterlinie die Nerven bewahrte. "Obwohl wir mit vier Toren hinten gelegen haben, haben wir nie aufgegeben", sagte auch Starspielerin Eun Hee Ryu. "Und als wir die Chance hatten, sind wir zurückgekommen. Es ist wie ein Traum."
Die 34-Jährige ist die einzige Spielerin im südkoreanischen Aufgebot, die nicht in der Heimat unter Vertrag steht; sie spielt bei Champions-League-Sieger Gyori ETO KC. Ein Jahr lief sie auch für das Team Paris 92 aus Issy auf. "Es ist ganz besonders für mich, wieder hier zu sein", freute sie sich. Ebenso wie ihre Teamkolleginnen genoss sie die Atmosphäre beim Auftaktmatch.
"Ich habe in Europa gespielt und kenne die tolle Stimmung, aber ich habe auch viele koreanische Fans gesehen und das war eine Überraschung", strahlte sie. Viele neutrale Zuschauer schlugen sich ebenfalls auf die Seite des Underdogs und trieben Südkorea gegen Deutschland an. "Vielleicht liegt es daran, dass es etwas anderes ist, unsere Spielerinnen zu sehen", mutmaßte Signell.
Letztendlich war der Grund für die Unterstützung aber auch irrelevant. Südkorea genoss den Support und den Sieg. Ausschlaggebender Faktor für Signell war die Defensive. "Wie sind nicht so stark und massiv wie die Spielerinnen von Deutschland, aber wir hatten einen guten Plan", grinste der 48-Jährige, der vor seinem Engagement in Südkorea schwedischer Nationaltrainer war.
In der modernen Abwehr, erklärte Signell, "könne man nicht mehr Eins gegen Eins spielen." Entsprechend habe man den körperlichen Nachteil durch Zusammenarbeit zu kompensieren versucht. "Wir hatten ein sehr gutes Timing und die Spielerinnen haben die Vorgaben extrem gut umgesetzt. Es war defensiv vielleicht unser bestes Spiel überhaupt." Offensiv lobte er das Spiel im Sieben gegen Sechs, das Deutschland im zweiten Durchgang vor Probleme gestellt hatte.
Durch den Auftaktsieg ergibt sich eine interessante Konstellation. Leisten sich Norwegen, Schweden und Dänemark keinen Ausrutscher gegen die drei anderen Konkurrenten, sind sie für das Viertelfinale gesetzt. Hinter dem skandinavischen Trio wäre dann nur noch ein weiterer Viertelfinalplatz frei, auf den Südkorea nun durchaus Chancen hat.
Sollte das Team von Signell am Sonntag (11 Uhr) auch gegen Slowenien gewinnen, setzen die Asiatinnen Deutschland richtig unter Druck und stoßen die Tür für sich weit auf. "Wir haben gegen Deutschland gewonnen, aber wir sind kein Favorit gegen Slowenien", versuchte Signell jedoch die Euphorie einzufangen. "Das ist eine große Aufgabe. Wir müssen auf dem Boden bleiben und genauso hart arbeiten wie gegen Deutschland."
Dass der 17-fache Asienmeister an frühere Glanzzeiten anknüpfen kann - 1988 und 1992 gewann Südkorea Olympia-Gold - erscheint mit Blick auf die Konkurrenz durch die europäischen Topnationen unwahrscheinlich. Selbst, wenn der Viertelfinaleinzug gelänge, könnte als Gruppenvierter bereits Titelverteidiger Frankreich warten. Dennoch träumen die Spielerinnen natürlich. "Unser Ziel als Team war es, zu diesem Turnier zu kommen", sagte Eun Hee Ryu. "Persönlich denke ich jedoch, es wäre ein Traum, wenn wir es unter die besten Vier schaffen könnten."
jun