22.10.2024, 15:00
Ein Prunkstück und eine große Baustelle
Gut einen Monat haben die deutschen Handballerinnen noch bis zum EM-Auftakt. Wie groß ist die Lücke zur Weltspitze? Das Duell mit den Olympiasiegerinnen am Donnerstag (24. Oktober) ist ein wichtiger Gradmesser.
In Großwallstadt ist nicht viel los. Das nächste Highlight in der bayerischen Gemeinde ist das Kirchenkonzert des Männergesangsvereins im November. Vielleicht haben die deutschen Handballerinnen gerade deshalb den beschaulichen Ort in Unterfranken gewählt, um in die Vorbereitungsphase auf die Europameisterschaft zu starten. Kein Trubel, keine Ablenkung - voller Fokus auf den letzten EM-Feinschliff.
Der aktuelle Kader erhält mit insgesamt fünf neuen Spielerinnen eine Auffrischung. "Es sind Spielerinnen, die sich beim Rookie-Lehrgang durchgesetzt haben. Ich erwarte, dass sie mit Respekt, aber ohne Angst reingehen. Dass sie versuchen ihr Bestes zu geben und sich in die Mannschaft zu schieben", so Markus Gaugisch über das Quintett. "Ich erwarte, dass sie auch schauen, was sie sich abgucken können und einen gesunden Konkurrenzkampf reinbringen." Einzig Lisa Antl fehlt aktuell vom ursprünglich nominierten Aufgebot.
Das DHB-Team will den gestiegenen Erwartungen schließlich gerecht werden. Ein Platz in der erweiterten Weltspitze genügt den Ansprüchen nicht mehr. "Ziel ist es nun, die Frauen dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren und immer in der Lage zu sein, das Halbfinale zu erreichen. Passieren kann das auch schon bei der EM", sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann der Deutschen Presse-Agentur.
Keine drei Tage dauert der Kurz-Lehrgang in Großwallstadt. Schon an diesem Mittwoch reisen die Handballerinnen weiter zur Golden League nach Larvik. Die Duelle mit Olympiasieger und Gastgeber Norwegen (Donnerstag), EM-Gruppengegner Niederlande (Samstag) und Dänemark (Sonntag) sind ein wichtiger Härtetest auf dem Weg zum vorweihnachtlichen Handball-Fest vom 28. November bis 15. Dezember. Im Vorrundenspielort Innsbruck trifft die Auswahl von Bundestrainer Markus Gaugisch auf die Ukraine, die Niederlande und Island.
Die Ausgangsposition hat sich nicht verändert. Die Riege um Co-Kapitänin Emily Bölk nimmt mal wieder die Position der Verfolgerinnen ein. Wann gelingt der Rollentausch von den Jägerinnen zu den Gejagten?
Gebetsmühlenartig betonen die DHB-Verantwortlichen, die Lücke zur Weltspitze schließen zu wollen. Sie ist kleiner geworden - ein wesentlicher Sprung nach vorne gelang dem Kader bislang aber nicht. Noch hechelt er der Vierergruppe Norwegen, Dänemark, Schweden sowie Weltmeister Frankreich hinterher. "Natürlich ist unsere Zielsetzung, die vier zu attackieren. Das treibt uns an", sagte Gaugisch und sagte mit Blick auf das Handballturnier bei den Olympischen Spielen: "Wir waren gegen Dänemark und Frankreich dran zu punkten."
Der Weg stimmt aber. Da sind sich alle einig. Mit Rang sechs bei der WM im Vorjahr gelang dem DHB-Team die beste Platzierung seit 2007. Es folgte die erste Qualifikation für die Olympischen Spiele seit 16 Jahren und der Vorstoß ins Viertelfinale. Ausreißer nach unten wie das enttäuschende 22:23 gegen Südkorea werden seltener. "Nach hinten haben wir eine stabile Lücke gerissen", sagte Gaugisch über den Vorsprung auf andere Teams.
Vor allem in der Defensive habe sich sein Team gut entwickelt. "Wir waren bei Olympia die Mannschaft mit den meisten Steals, haben sogar Frankreich überholt", so der Bundestrainer und stellte fest: "Gegen unsere Defensive spielen die Gegner nicht so gerne."
"Dass wir die Möglichkeit haben, an der Golden League teilnehmen zu können, und auf drei Weltklasse-Gegner treffen werden, ist für uns eine gute Chance, auf höchstem Niveau an unserem Spiel zu arbeiten", sagte Gaugisch schon bei der Nominierung des Aufgebots Anfang des Monats.
Das deutsche Nationalteam könnte dabei auch von der internationalen Erfahrung vieler Leistungsträgerinnen profitieren. Führungsspielerin Alina Grijseels spielt beim rumänischen Erstligisten CSM Bukarest. Bölk läuft für Ferencváros Budapest auf. Bei Champions-League-Finalist Bietigheim, mittlerweile HB Ludwigsburg, spielen gleich fünf deutsche Nationalspielerinnen. "Die Entwicklung der deutschen Handballerinnen ist bisher auch so stark gewesen, weil sie ihre Komfortzonen verlassen haben", analysierte Michelmann.
Dennoch habe man gerade auf der zentralen Achse noch deutliche Reserven. Bei Olympia sei es "nicht gelungen, eine hohe Effizienz bei den Rückraumwürfen zu generieren", so der Bundestrainer und betonte: "Welche Nahtstellen laufen wir an und wo werfen wir? Das sind Dinge, woran wir arbeiten." Mit Kreisläuferin Julia Behnke habe man eine erfahrene Spielerin, die höchste Effizienz erreiche. Allerdings bekommt die Metzingerin noch zu wenige Bälle. "Wir sind noch nicht so weit, dass wir über den Kreis viele Abschlüsse generieren."
chs, Jordan Raza und Carolin Paul - dpa