11.11.2024, 17:30
Marc Fasthoff im Interview
Der Aufstieg in den nächsthöheren Kader oder endlich die Ansetzung für das Stadtderby: Viele Schiedsrichter*innen träumen vom nächsten Schritt ihrer Karriere. Marc Fasthoff spricht im Interview über die Kunst der Selbstanalyse.
Der Aufstieg in den nächsthöheren Kader oder endlich die Ansetzung für das Stadtderby: Viele Schiedsrichter*innen träumen vom nächsten Schritt ihrer Karriere. Dafür ist oft - neben einer gewissen Erfahrung auf dem Spielfeld - auch die eigene Weiterentwicklung entscheidend. Um herauszufinden, woran man arbeiten sollte, ist eine Selbstanalyse notwendig.
Warum diese mitunter schmerzhaft sein kann - und vielleicht sogar muss -, erklärt der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter und heutige Leiter Organisation im DHB-Schiedsrichterwesen Marc Fasthoff im Interview. Fasthoff, der gemeinsam mit Bernd Ullrich für die Ausbildung des Perspektivkaders zuständig ist, gibt zudem aus eigener Erfahrung Ratschläge, worauf es sich zu achten lohnt.
Marc, im Vorgespräch hast du den Satz gesagt: "Selbstanalyse tut weh." Magst du das erläutern?
Wenn man sich als Schiedsrichter entwickelt und von Kader zu Kader aufsteigt, erreicht man immer wieder einen Punkt, an dem man sich auch in der Persönlichkeit verändern muss, weil man merkt, dass man sonst nicht mehr weiterkommt. Man muss an den eigenen Kern herangehen und kann sich vor sich selbst nicht mehr verstecken. Das ist manchmal schmerzhaft. Außerdem hört natürlich niemand gerne, dass er etwas verkehrt macht. Diese beiden Aspekte machen den Prozess der erfolgreichen Selbstanalyse für einige Schiedsrichter schwierig.
Hast du ein Beispiel aus deiner eigenen Karriere?
Wir standen mehrere Male an dem Punkt, dass wir bestimmte Dinge verändern müssen, um einen Schritt voranzukommen. Wir waren gerade am Beginn ein sehr ernstes Gespann und wenn wir Druck von den Mannschaften bekommen haben, haben wir endgültig zugemacht. Wir haben uns von der Körpersprache zurückgenommen und die Anspannung hat sich auch im Gesichtsausdruck widergespiegelt. Das war natürlich nicht zielführend.
Was war die Konsequenz, die ihr gezogen habt?
Wir mussten lernen, das ein entspannter Gesichtsausdruck oder auch ein Lächeln manchmal hilfreich sein können (schmunzelt). Wir haben also bewusst daran gearbeitet, lockerer zu werden, aber das ist nicht so einfach, wie es jetzt vielleicht klingt. Wenn du an deiner Persönlichkeit und deinem Auftreten arbeiten möchtest, kann das wirklich wehtun, weil man vielleicht auch Dinge verändern muss, von denen man überzeugt gewesen ist.
Woran merkt man, dass man in seiner Karriere an so einem Punkt steht?
Als Schiedsrichter bekommt man viele Rückmeldungen - nach dem Spiel von dem Mannschaften, von Kollegen, von Coaches. Auch die Vereinsbeobachtungen sind eine Möglichkeit der Reflexion. Dieses gesammelte Feedback gibt Hinweise darauf, wie man als Schiedsrichter wahrgenommen wird. Und wenn man wiederholt auf dieselben Dinge angesprochen wird oder die Kritik sich immer wieder in erster Linie auf ein, zwei Punkte bezieht, lohnt es sich, sich damit intensiver zu beschäftigen.
Es gibt jedoch auch viel unsachliche Äußerungen und Kritik an der eigenen Leistung. Wie lerne ich, diese von sinnvollen Hinweisen zu unterscheiden?
Die Quantität einer Rückmeldung ist oft der beste Hinweis. Wenn immer wieder derselbe Punkt von unterschiedlichen Mannschaften und Personen kritisiert wird, scheint man an dieser Stelle einfach nicht weiterzukommen - und es lohnt sich, darüber nachzudenken, was an diesem Punkt vielleicht doch dran ist. Gerade die Vereinsbeobachtungen können einem zeigen, wie die Vereine einen als Schiedsrichter wahrnehmen, das kann eine wichtige Rückmeldung sein.
Und wenn es an der Basis keine Vereinsbeobachtungen gibt, kann man auf das Feedback direkt nach den Spielen achten und vielleicht sogar danach fragen. Immer direkt die Kabinentür abzuschließen oder gleich die Halle zu verlassen, ist in dem Fall nicht zielführend - auch, wenn man die Kritik vielleicht nicht hören will.
Das Feedback ist natürlich die Grundlage, aber wie entscheide ich als Schiedsrichter jetzt, was ich tatsächlich ändern will und was nicht?
Wenn man als Schiedsrichter darüber nachdenkt, etwas zu ändern, sollte man nur das ändern, von dem man selbst überzeugt ist. Wenn man eine Sache nur deshalb ändert, weil man sie gesagt bekommt, aber nicht dahinter steht, wird diese Veränderung keinen Erfolg bringen.
Wenn ich jedoch selbst davon überzeugt bin, dass ich es richtig mache und nicht hinter der Änderung stehe, komme ich nicht voran…
… und genau das ist der springende Punkt! An dieser Stelle fängt der schmerzhafte Prozess an, denn ich muss mir eingestehen, dass ich vielleicht mit meiner Meinung oder Überzeugung nicht richtig liege! Platt gesagt: Ich kann so überzeugt von meiner Art der Kommunikation sein, wie ich will - das hilft mir nicht, wenn jede Mannschaft dennoch meinen Kommunikationsstil kritisiert, weil er einfach bei den Teams nicht ankommt.
Und genau das ist der Knackpunkt: Ich kann an meiner Überzeugung festhalten und in der Kommunikation nicht ändern, dann muss ich aber auch damit klarkommen, wenn sich das Verhältnis zu den Mannschaften auf dem Spielfeld nicht bessert oder ich eben nicht aufsteige. Oder ich schaffe es, über meinen Schatten zu springen und mich damit zu beschäftigen, was ich ändern kann, um mich an diesem Punkt zu verbessern.
Sprich: Man muss über seinen eigenen Schatten springen?
Das kann manchmal helfen ja. Wenn man bereit ist, sich zu öffnen und vielleicht sogar etwas zu verändern, von dem man bis dahin überzeugt war, kann man einen großen Schritt nach vorne machen. Und man darf nicht unterschätzen, dass der Blick von Außen manchmal hilfreicher sein kann als die eigene Überzeugung.
Was wäre beispielsweise der erste Schritt?
Wenn eine bestimmte Kritik immer wieder kommt und man selbst das nicht nachvollziehen kann, kann man versuchen, die Kritik zu verifizieren. Man kann beispielsweise von einem Freund sein nächstes Spiel filmen lassen - mit Fokus auf sich als Schiedsrichter, nicht auf dem Spiel. Auf dem Video kann man dann nachgucken, ob man die Kritikpunkte nicht vielleicht doch nachvollziehen kann. Man kann sich das Video auch ohne Ton anschauen, nur für die Körpersprache - oder ohne Bild, wenn man nur darauf achten will, wie man pfeift. Wir haben es so geschafft, unsere nervige Angewohnheit, bei Freiwürfen mehrfach schnell zu pfeifen, herauszufiltern und zu eliminieren.
Inwiefern macht es einen Unterschied im Prozess der Analyse bzw. Veränderung, ob man Einzel- oder Gespann-Schiedsrichter ist?
Als Einzelschiedsrichter kann man sich alleine vortasten und ausprobieren. Pfeift man im Team, ist es wichtig, jede Veränderungen vorher gemeinsam zu besprechen. Es nützt ja nichts, wenn einer eine Veränderung vornimmt, aber den Partner nicht abgeholt hat. Wenn der eine plötzlich die ganze Zeit grinst und der andere nie, ergibt das keinen Sinn (lacht).
Wenn du sagst, dass man alleine ausprobieren kann: Wie viel ist Trial and Error? Denn man weiß ja nie, ob eine Veränderung an dem ausgemachten Punkt tatsächlich zum Erfolg führt.
Die Schiedsrichterei besteht eben nicht nur daraus, die Regeln so gut wie möglich umzusetzen, sondern hat viel mit Erfahrung und Persönlichkeit zu tun. Wenn man sich als junger Schiedsrichter entwickeln möchte, sieht man das ein oder andere bei Kollegen, schnappt hier etwas auf oder kriegt dort einen Ratschlag. Es ist normal, darauf basierend das ein oder andere für sich auszuprobieren. Und dann ist es relativ einfach: Was funktioniert, behält man bei - und was für einen selbst oder das eigene Schiedsrichter-Team nicht funktioniert, verwirft man wieder. Allerdings …
Ja?
Es gibt eine Sache, die generell wichtig ist, wenn man an sich arbeiten möchte: Ich würde dringend empfehlen, nicht zu viel auf einmal zu verändern. Es ist nicht zielführend, ganz viele verschiedene Dinge gleichzeitig zu bearbeiten oder eine Sache ganz drastisch zu verändern. Denn man darf nie vergessen: Man ist dorthin gekommen, wo man ist, weil man so pfeift, wie man pfeift. Für die Weiterentwicklung muss man sicherlich vorsichtig an einzelnen Stellschrauben drehen, aber man darf eben nicht überdrehen.
Was für einen Tipp kannst du für diesen Prozess noch geben?
Scheut euch nicht, euch Hilfe zu holen, wenn ihr merkt, dass ihr an einem Punkt nicht weiterkommt. Sprecht im Schiedsrichter-Team offen miteinander und fragt eventuell auch den Lehr- oder Schiedsrichterwart oder die Coaches um Rat. Für ein Schiedsrichter-Team, was sich in diesem Prozess befindet, kann auch eine außenstehende Person, die das Team kennt und der das Team vertraut, hilfreich sein - erstellt gemeinsam einen Plan, wie ihr das umsetzen könnt, was ihr euch vorgenommen habt.
Niemand beschäftigt sich, das sagtest du eingangs, gerne mit seinen Fehlern. Warum lohnt sich dieser Prozess dennoch?
Es ist oft genug gesagt, aber: Die Schiedsrichterei prägt für das Leben. Wenn ich es schaffe, mich auf Veränderungen einzulassen und diese umzusetzen, ist das oft auch positiv für das private Leben und das Berufsleben. Ich bin beispielsweise Außendienstmitarbeiter - und das hätte ich niemals sein können, wenn ich nicht als Schiedsrichter hätte nach außen verkaufen müssen. Das habe ich auf dem Feld gelernt und dann auch in der Firma umsetzen können: Diese Synergien machen das Hobby Schiedsrichter so wertvoll.
Hinweis: Dieses Interview erschien erstmals am 09. Mai 2024 im Schiedsrichterportal des Deutschen Handballbundes und wird anlässlich vom "Tag des Schiedsrichters" erneut veröffentlicht.
jun