05.01.2025, 16:30
"Bin schon viel lebhafter, seit ich in der Bundesliga arbeite"
Im Interview mit Frank Schneller gibt Roberto Garcia Parrondo, der Trainer ist mit der MT Melsungen aktueller Spitzenreiter der Handball Bundesliga, tiefe Einblicke in seine Philosophie, seine Arbeits-Prinzipien und die Hintergründe des begonnenen Wandels der Nordhessen. Er erklärt, was ihm wichtig ist. Warum er sich für `obsessiv` hält, aber noch nicht von der Meisterschaft spricht. In seinen Aussagen kommt nicht zuletzt auch der Mensch Parrondo zum Vorschein.
Herr Parrondo, Handball-Deutschland spricht über die 'neue' MT Melsungen. Sie kamen 2021 nach Nordhessen - damals fanden Sie noch die 'alte' MT Melsungen vor. Heute ist vieles anders dort. Erklären Sie uns bitte mal die 'neue' MT aus Ihrer Perspektive - und Ihren Anteil daran.
Roberto Garcia Parrondo: Ich bin ein vorwärts gewandter Typ, aber um die Frage zu beantworten bedarf es eines Blickes zurück: Als ich kam, litt Melsungen unter der Marketing-Idee 'MT Deutschland'. Eine oberflächlich gute Idee, die aber nicht funktionierte. Denn das war einfach keine marktgerechte Strategie - mit diesem Konzept konnte unter den damaligen Umständen kein homogenes Team entstehen.
Warum?
Roberto Garcia Parrondo: Deutsche Spieler, noch dazu Nationalspieler, sind meist viel teurer als vergleichbar gute Spieler aus dem Ausland. Für die Philosophie, möglichst viele von ihnen in Melsungen zu vereinen, wurde daher sehr viel Geld in die Hand genommen. Das hat das Gehaltsniveau stark angehoben.
Das Ergebnis: Die MT wurde die Komfortzone für viele Spieler. Sicher: Gewinnen wollten sie schon. Aber sie bewegten sich in einem wenig leistungsorientierten oder -förderlichen Umfeld. Sie wussten nicht, wie hart und fokussiert man täglich arbeiten muss, um zu gewinnen. Auch mal Widerstände zu überwinden. Und lange hat es niemand wirklich eingefordert.
Sie dann schon?
Roberto Garcia Parrondo: Ich habe zunächst meine Vorstellungen formuliert und entsprechende Rückendeckung abgeklärt, um das Team sukzessive umzubauen. Und zwar nicht nur mit dem dicken Portemonnaie.
Denn ich weiß, dass andere Faktoren wichtiger sind, wenn man eine echte Mannschaft aufbauen will. Natürlich mussten laufende Verträge berücksichtigt werden, also konnte der Umbau nur in mehreren Phasen geschehen. Außerdem musste ein anderes Anspruchsdenken, eine andere Leistungsbereitschaft einkehren.
Also spielten früher - vor der Ära Parrondo/Allendorf in Melsungen zu viele Spieler mit einer gewissen Söldner-Mentalität?
Roberto Garcia Parrondo: Stop! Ich würde mich niemals respektlos über Spieler äußern. Und: Aus Sicht von Handballprofis ist es legitim, möglichst viel verdienen zu wollen. Ein gutes Leben zu führen. Auch im Sinne ihrer Familien. Aber es stellt sich die Frage: Spiele ich, um zu gewinnen? Oder zunächst für die eigenen Interessen?
Das ist ein großer Unterschied. Es muss das Ansinnen des Vereins sein, die richtige Balance hinzubekommen und ein stimmiges Preis-Leistungs-Verhältnis herzustellen. Ich bin Angestellter des Vereins, also nehme ich diese Perspektive ein - und ich habe nun mal auch Vorstellungen, welche Typen ein Team für die richtige Balance braucht. Welche Spieler ein Team voranbringen.
Sie wären also nicht angetreten, hätte man von Ihnen damals kurzfristigen Erfolg verlangt?
Roberto Garcia Parrondo: Wie definiert man unter solchen Umständen Erfolg? Es musste allen klar werden, dass der Wandel Zeit braucht. Dass der Kader umgebaut werden muss, ungeachtet großer Namen. Ich habe damals gesagt: Wir müssen aufhören, dumme Dinge zu tun. Auch unsere damalige Aufsichtsratsvorsitzende und große Förderin Barbara Braun-Lüdicke hatte das angesichts ihres unglaublichen Engagements verdient.
Seit knapp zwei Jahren nimmt die Mannschaft immer mehr Formen an, hat Struktur bekommen - inzwischen ist es 'Ihre' Mannschaft. Stimmen Sie zu?
Roberto Garcia Parrondo: Dies ist eine Mannschaft nach meinen Vorstellungen, ja. Wir legen andere Kriterien an Neuverpflichtungen an als früher, müssen Spieler nicht mehr nur mit Geld überzeugen, zu uns zu kommen. Wir haben nun 16 Spieler auf sehr gutem Niveau.
Ich vertraue allen 16. Die Tiefe des Kaders ist besser geworden. Manchmal könnte ich eine Münze werfen, wenn es um die Startaufstellung geht. Nein, ernsthaft: Wir können ohne signifikanten Qualitätsverlust wechseln. Und ich habe mehr Optionen, Matchpläne auf den jeweiligen Gegner zuzuschneiden. Auf Verletzungen und Tagesform können wir besser reagieren mittlerweile.
Ist es eine Genugtuung für Sie, dass Ihr Konzept jetzt immer mehr greift, nachdem auch Ihre ersten zwei Jahre schwierig waren.
Roberto Garcia Parrondo: Genugtuung - in solchen Kategorien denke ich nicht. Ich wusste: Der Umbau brauchte viel Zeit, es gab zwangsläufig eine Überbrückungsphase mit personellen Zwischenlösungen. Und währenddessen eine Art Krise im Frühjahr 2023. Ich wurde medial in Frage gestellt. Da habe ich zur Klubführung gesagt: Wenn Ihr auch der Meinung seid, ich sei schuld daran, räume ich morgen meinen Platz.
Aber zu dem Zeitpunkt hatte schon ein gewisses Umdenken eingesetzt. Vor allem Michael Allendorf (heute Sportvorstand der MT und unmittelbarer Ansprechpartner des Trainers für den Profi-Bereich sowie großer Fürsprecher bei dessen Verpflichtung, damals noch Spieler, aber bereits Sportchef unter der Leitung des später entlassenen Geschäftsführers Axel Geerken; d. Red.) und Barbara Braun-Lüdicke glaubten daran, dass endlich Kontinuität auf der Trainerposition herrschen müsse.
Ein entscheidender Moment?
Roberto Garcia Parrondo: Ein wichtiger. Auch dank der Unterstützung von Michael Allendorf begannen die Neuerungen zu wirken. Schritt für Schritt. Zudem war mir klar: Die Verpflichtung von Dainis Kristopans würde uns auf ein neues Level bringen. Dass es schon letzte Saison viel besser lief und diese Spielzeit bislang so hervorragend war, ist dennoch außergewöhnlich.
Wissen Sie, im Fußball kriegt man solche Kaderumwälzungen in der Regel viel schneller hin als im Handball. Das ist etwas ganz anderes. Dennoch sage mittlerweile auch ich: Wir haben es geschafft, uns zu verändern. Das ist eine gute Nachricht.
Das wirkt auch nach außen: Absehbar kommt Johannes Golla zurück und verstärkt die MT. Es gibt aber auch Rückschläge: Elvar Örn Jonsson wechselt nächste Saison nach Magdeburg - ein herber Verlust für die MT. Wie soll er ersetzt werden?
Roberto Garcia Parrondo: Dass er uns verlässt ist sehr schade - ja. Er ist ein toller Typ und ein ganz außergewöhnlicher Spieler bei uns geworden, den wir aktuell eins zu eins nicht ersetzen können. Die Entscheidung fiel ihm schwer. Das Gesamtpaket, das ihn auszeichnet, können derzeit nur wenige Spieler auf der Welt anbieten. Diese sind für uns aktuell nicht zu haben. Wir werden seinen Weggang also mit neuen Ideen kompensieren müssen. Übrigens: Sein Weggang stimmt mich auch positiv.
Wie bitte?
Roberto Garcia Parrondo: Er ist ein Hinweis darauf, dass die MT inzwischen eine viel bessere Transferpolitik verfolgt. Es ist eine Anerkennung für uns. So gerne wir ihn behalten hätten: Letztlich bestätigt diese Personalie, dass wir genau auf dem Weg sind, den wir einschlagen wollten. Er war ein Rookie, als er zu uns kam, ein reiner Abwehrspieler. Bei der MT ist er immer besser geworden - heute ist er auch ein starker Offensivspieler.
Anders als viele, die Melsungen früher verlassen haben, hat er das Interesse großer Klubs durch seine Leistungssteigerung geweckt. Er ist kein Spieler, der hierbleibt, weil es ihm nirgends besser gehen könnte und er sich hier eingerichtet hat. Das spricht für unsere neue Linie.
Er wechselt nun aber zu einem Ihrer größten Konkurrenten …
Roberto Garcia Parrondo: Moment! Also, wir haben mittlerweile sicherlich ein wettbewerbsfähiges, starkes Team. Und das wird auch nächste Saison so sein. Doch die Wahrnehmung, wir wären schon auf Augenhöhe mit Magdeburg, ist nicht zielführend.
Auch wenn ich unseren Fans und unserem Verein, dem ganze Umfeld und der Region die Freude über unsere Entwicklung gönne. Ich freue mich selbst darüber. Was wir zuletzt erlebten, ist unglaublich. Alle in unserem Umfeld durften das auch genießen. Aber …
… aber Sie betrachten sich vergleichsweise noch immer als 'kleine Nummer', wie Sie es unlängst in etwa formulierten …? Ist das nicht zu viel Understatement?
Roberto Garcia Parrondo: Bleiben wir realistisch: Die HBL ist - um noch einmal den Fußball als Vergleich heranzuziehen - wie die spanische Fußballliga, in der es dreimal Real Madrid und dreimal den FC Barcelona gibt. Und um Meister zu werden, muss man diese Teams alle schlagen. Ziemlich kompliziert, oder?
Sie haben aber all die großen Teams bereits geschlagen in dieser Saison …
Roberto Garcia Parrondo: Das ist sensationell. Nur: Wir haben nicht annähernd eine solche Tradition und Reputation wie Kiel, Magdeburg und die anderen großen Teams der HBL.
Im Gegenteil: Unser Ruf war bis vor kurzem noch ziemlich schlecht. Ich brauche Ihnen nichts über das Image der MT vor noch nicht einmal zwei Jahren sagen, oder? Wir alle tun sehr viel dafür, das zu ändern. Unser Team wächst, aber auch das Umfeld muss noch weiterwachsen.
Wir müssen uns als Verein weiterentwickeln. Erst einmal unsere eigene Geschichte schreiben. Die großen Klubs haben diese Historie längst. Sie haben auch eine entsprechende Lobby. Wir nicht.
Bedeutet?
Roberto Garcia Parrondo: Wir haben beispielsweise noch keinen Schiedsrichter-Bonus. Bei Heimspielen ist es okay. Um aber auswärts mit zwei Toren zu gewinnen, müssen wir meistens fünf Tore besser sein als der Gegner. Wir müssen uns all das erst erkämpfen und verdienen.
Ich weiß, dass es so ist. Ich habe das als Spieler in Spanien selbst erlebt. Insofern sind wir noch ein 'kleiner' Verein. Es geht nicht um die Betrachtung eines Spiels gegen Kiel oder Flensburg. Sondern um den Blick auf die gesamte Spielzeit. Auf das Ganze.
Und wie lautet dann die Marschroute für die MT für die Rückrunde und nächste Saison? Die arrivierten Klubs haben die MT zum Titelkandidaten gemacht.
Roberto Garcia Parrondo: Um den Druck auf uns umzuleiten. Aber das ist mir völlig egal. Wir müssen begreifen, wer wir sind und wo wir stehen. Ich rede also nicht von der Meisterschaft oder von Titeln.
Wir müssen konstant jeden Tag hart und fokussiert arbeiten, dürfen uns nicht ablenken lassen - und das Training für Training, Spiel für Spiel. Dann wollen wir da sein und Druck ausüben, wenn von den Top-Teams das ein- oder andere Probleme hat, schwächelt oder sich ausruht. So wie in der Hinrunde.
Aus Ihren Antworten lässt sich auch Ihr Wunsch nach einem besonderen Spirit oder 'Mindset' ableiten. Sie gelten als extrem akribisch, fleißig und detailverliebt. Sie wollen so wenig wie möglich dem Zufall überlassen. Wofür steht der Trainer Parrondo sonst noch?
Roberto Garcia Parrondo: Ich weiß nicht, ob ich mit spannenden Antworten dienen kann. Ich finde Teamgeist, Ehrlichkeit und Klarheit sehr wichtig. Ich halte mich für einen Menschen mit einem guten moralischen Kompass.
Und so übe ich auch meinen Trainerjob aus. Ich bin immer offen und ehrlich zu meinen Spielern. Auch wenn es mal hart ist. Aber ich bin immer bereit, Entscheidungen zu begründen. Das erachte ich als sehr wichtig. Es geht um Respekt im Umgang miteinander. Respekt zwischen mir und den Spielern - und den Spielern untereinander. Das ist das Fundament für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Sie wirken sehr zentriert und selbstbewusst. Zweifeln Sie nie an sich?
Roberto Garcia Parrondo: Oh, doch. Ich zweifle häufiger innerlich, oder sagen wir: ich hinterfrage mich und meine Entscheidungen. Permanent. Aber tatsächlich vertraue ich mir, in der Regel Lösungen für Aufgabenstellungen zu haben - oder zu finden. Auch unter Stress.
Ich übe meinen Beruf so gewissenhaft aus, dass ich weiß: Ich habe alle Optionen für gute Entscheidungen und Angebote an das Team. Ich weiß, dass nicht alles planbar ist. Wir sind alle Menschen, keine Maschinen. Aber ich traue mir zu, Wahrscheinlichkeiten herbeiführen zu können.
Empfinden Sie sich als strenger Trainer? Der Kumpeltyp sind Sie gewiss nicht …
Roberto Garcia Parrondo: Ich muss kein Kumpel sein um mit der Mannschaft im Einklang zu sein. Es gibt eine natürliche Distanz. Sicher, man steht manchmal einem Spieler etwas näher als anderen. Aber genau dann bin ich eher härter als weicher zu ihm. Kritischer, weil ich ihm mehr abverlange.
Das ist ein wenig vergleichbar mit dem Verhältnis zu meinen Töchtern. Die stehen mir natürlich besonders nah - das drückt sich ab und zu auch durch Strenge aus. Kriegen Sie jedenfalls zur Antwort, wenn sie die beiden fragen.
Nehmen Sie Niederlagen persönlich?
Roberto Garcia Parrondo: Gewissermaßen. Ich suche immer erst einmal bei mir selbst nach dem 'Warum'. Das gehört bei allem Selbstvertrauen auch zu mir. Ich habe den Hang zum Perfektionismus. Ich bin sogar obsessiv. Aber ich kann es nicht ändern und akzeptiere diese Seite an mir.
Meinen Spielern nehme ich Niederlagen nie persönlich. Aber natürlich ärgert und enttäuscht es mich manchmal, wenn sie konkrete Vorgaben nicht umsetzen und dann genau das geschieht, was ich verhindern wollte.
Sie geben sich dennoch stoisch an der Seitenlinie. Wie die Ruhe selbst.
Roberto Garcia Parrondo: Stoisch? Ich bin schon viel lebhafter, seit ich in der Bundesliga arbeite. Denn ich habe mitbekommen: Viele andere Kollegen sind es ja auch. Diskutieren mit den Schiris, machen sich ständig bemerkbar und haben einen großen Aktionsradius neben dem Spielfeld. Da dachte ich mir: Okay, dann kann ich mir etwas mehr erlauben. Für meine Verhältnisse …
Sie machen dennoch einen sehr kontrollierten Eindruck - abseits des Spielfelds wirken Sie beinahe asketisch. Zumindest in der Öffentlichkeit.
Roberto Garcia Parrondo: Ich habe Selbstansprüche. Und ich will mich korrekt verhalten. Ein Trainer ist Vorbild. In jeder Hinsicht. Dazu gehört auch Selbstdisziplin. Wie soll ich Disziplin einfordern, wie professionelles Verhalten, wenn ich es nicht vorlebe?
Erlaube ich mir und meinem Staff beim gemeinsamen Mittagessen mit dem Team ein Bier oder ein Glas Wein? Natürlich nicht. Auch wenn wir es dürften. Das schließt sich für mich aus. Ich empfinde das aber überhaupt nicht als Verzicht.
Mit der Ernährung ist es im Kreis der Mannschaft genauso. Privat bin ich nicht mehr ganz so streng mit mir. Meine Frau kocht sehr, sehr gut. Außerdem genieße ich ein schönes Abendessen in unserem Stammlokal oder im Kreis von Familie und Freunden - das ist willkommene Entspannung. Dabei kann ich loslassen. Dafür ist selten genug Zeit.
Bei so viel Stress und Verantwortung: Lieben Sie Ihren Job trotzdem?
Roberto Garcia Parrondo: Klar ist, dass man die Zeit als Spieler viel mehr genießen kann. Man muss sich um nicht viel kümmern. Als Trainer ist das anders. Da würde ich nicht von Genuss sprechen.
Aber, wissen Sie: Mein Vater hat sehr hart gearbeitet, war Taxifahrer in Madrid und ist immer Doppelschichten gefahren, um seiner Familie etwas zu ermöglichen. Wie könnte ich mich da auch nur ansatzweise beklagen?
Handball ist meine Passion. Ich liebe, was ich tue. Meine Familie ist immer bei mir und unterstützt mich zu 100%. Ich lebe also einen Traum.
Frank Schneller