26.01.2024, 16:21
Letzter Einsatz für deutsche Schiedsrichter
2022 leiteten Robert Schulze und Tobias Tönnies das Finale der Handball-Europameisterschaft. In diesem Jahr steht die deutsche Nationalmannschaft im Halbfinale - und das Spiel um den fünften Platz zwischen Ungarn und Slowenien bedeutet für das deutsche Top-Gespann den bestmöglichen Abschluss.
Zwei Spiele in der Vorrunde in Berlin und München, zwei Spiele in der Hauptrunde in Hamburg und zum Abschluss das Platzierungsspiel in Köln: Das ist die Bilanz von Robert Schulze und Tobias Tönnies be der Handball-Europameisterschaft im eigenen Land.
Mit dem Einzug der deutschen Nationalmannschaft ins Halbfinale war klar, dass Schulze und Tönnies in diesem Jahr keine Rolle in der Vergabe der vier hochkarätigen Partien am Finalwochenende spielen würden. Wenn die eigene Nation noch im Wettbewerb ist, so die Maßgabe, ist für das Schiedsrichter-Gespann in der Regel Schluss.
Profiteure sind in diesem Jahr die spanischen Unparteiischen Andreu Marín Lorente und Ignacio Garcia Serradilla, deren Leistung nach dem Vorrunden-Aus der Iberer mit der Ansetzung für das Finale belohnt wird. Das Spiel um den dritten Platz erhalten die Montenegriner Ivan Pavicevic/Milos Raznatovic; die Halbfinals gehen an Slave Nikolov/Gjorgji Nachevski (Nordmazedonien) und Bojan Lah/David Sok aus Slowenien.
Für Schulze/Tönnies endete das Turnier am Freitagnachmittag mit der Partie Ungarn gegen Slowenien. Die Ansetzung in der Lanxess-Arena war der bestmögliche Abschluss. Anders als vor zwei Jahren, als sie das Endspiel zwischen Schweden und Spanien leiteten, bleibt ihnen in den heißen Duellen dieses Wochenende nur die Zuschauerrolle.
Das deutsche Top-Gespann stört das nicht. "Wir würden uns extrem freuen, auf der Tribüne in Köln zu sitzen und die deutsche Mannschaft zu begutachten", hatte Robert Schulze bereits am Montag in einem digitalen Medientermin gesagt. Genauso wird es am Freitag dann auch kommen, sobald die beiden Kindheitsfreunde die eigene Arbeit erledigt haben.
Für Schulze und Tönnies ist es die dritte Männer-Europameisterschaft in ihrer Karriere - und zugleich die ersten Einsätze bei einem Großturnier der Männer im eigenen Land. "Die EM ist absolut etwas Besonderes - gerade, wenn man auf die Stimmung zu sprechen kommt", betonte Schulze am Montag. Es sei, das unterstrich der Magdeburger ausdrücklich, "definitiv kein daily business".
An den spielfreien Tagen schlüpften die Magdeburger für ihre Kolleg:innen in die Gastgeberrolle. "Wir versuchen, den Schiedsrichtern und Delegierten etwas von der Stadt zu zeigen und ihnen schöne Erinnerungen an diese EM zu verschaffen", verriet Schulze. "Die Spiele sind das eine, aber man muss sich in der „Mannschaft" wohlfühlen - und das versuchen wir, zu ermöglichen.“
Dazu gehört auch das gemeinsame Public Viewing der Partien von anderen Spielorten. "Da wird es regelmäßig laut im Meetingraum, weil jeder für sein Team mitfiebern", verriet Schulze am Montag mit einem Schmunzeln. Hinzu kamen obligatorische Spielanalysen und täglich gemeinsame Online-Meetings mit den Schiedsrichter:innen von den verschiedenen Spielorten.
Erstmals kommen die Schiedsrichter bei diesem Turnier außerdem als "Video Referee Assistant" (VRA) im Einsatz. Ein Unparteiischer aus dem offiziellen Reservegespann unterstützt bei der Bildauswahl für den Videobeweis. "Es ist eine Neuerung, die wir begrüßen", erklärte Tönnies, der die Rolle am Dienstag bei der Partie zwischen Dänemark gegen Slowenien übernahm.
Neben Schulze/Tönnies war in Tanja Kuttler und Maike Merz auch das beste deutsche Frauen-Gespann bei dieser Männer-Europameisterschaft im Einsatz. In München absolvierten die beiden Teams aus dem Elitekader des Deutschen Handballbundes einen Spieltag gemeinsam. "Dass wir mit zwei Schiedsrichter-Teams da sind, ist für uns eine hohe Wertschätzung für unsere Arbeit in Deutschland", betonte Schiedsrichter-Chefin Jutta Ehrmann-Wolf.
Auch die Unparteiischen genießen das Großturnier trotz der großen Herausforderung, die jedes Spiel für sie darstellt. "Für uns ist jedes Spiel ein Endspiel, in dem wir versuchen, uns und den Deutschen Handballbund so gut wie möglich zu präsentieren", betonte Schulze. "Wir geben dafür alles." Das Wichtigste aber sei, so der Magdeburger weiter, "dass man bei jedem Spiel Spaß hat - dann wird es eine runde Sache."
Sie wissen jedoch ebenso um die Verantwortung, die mit ihrer Rolle verbunden ist. "Wir wissen, dass jeder Pfiff oder jeder nicht gegebene Pfiff eine große Tragweite hat", formulierte es Tönnies. "Auf dem Niveau, auf dem wir uns bewegen, ist es wichtig, über die Feinheiten zu sprechen. Man muss diese kleinen Details herausfiltern, um sich immer wieder ein kleines Stückchen zu verbessern."
Immer besser werden und immer weiter kommen: Das ist der Antrieb für Schulze und Tönnies. Seitdem die beiden Kindheitsfreunde 1999 ihr erstes Spiel leiteten, ging es steil nach oben. 2007 absolvierten sie ihr erstes Spiel in der 1. Bundesliga, 2012 folgte der erste Einsatz in der Champions League, dann rief der Weltverband. Ihr erstes Großturnier bei den Männern war die Weltmeisterschaft 2019.
Der Traum, der sie die ganze Zeit zusammenschweißte, war eine Teilnahme an den Olympischen Spielen. Dieser "Lebenstraum", wie beide es bezeichneten, ging 2021 Erfüllung. "All die Arbeit und alles, was wir investiert haben, zahlt sich jetzt aus", strahlte Tönnies damals vor dem Abflug nach Tokio. Das Finale der Männer-Europameisterschaft im Januar 2022 war kurz darauf der nächste Höhepunkt.
Ihre enge Freundschaft prägt das Leben der beiden. "Das ist wie eine lebenslangen Ehe", scherzte Tönnies in Bock auf Handball, während Schulze frotzelte: "Schiedsrichterei ist Paartherapie höchsten Grades." Da sie beide grundverschiedene Typen sind, ergänzen sich Stärken und Schwächen: Schulze st eher der kommunikative Typ, der auf Menschen zugeht, Tönnies der ruhige Pol im Gespann.
Inzwischen haben sich die beiden Magdeburger nicht nur die unumstrittene deutsche Nummer Eins, sondern auch international etabliert und geschätzt. Das macht es auf dem Spielfeld - manchmal - einfacher in Kommunikation, weil Schulze und Tönnies viele Spieler kennen.
"Die Zusammenarbeit und Kooperation mit Spielern und Trainern passiert auf einer höchstfairen Art", lobte Schulze am Montag. "Dass man verschiedene Blickwinkel auf Spielsituationen hat, ist das Normalste, aber was den Handball auszeichnet, ist, dass man darüber nach dem Spiel in den Dialog treten kann." Darauf könne man "im Handball stolz sein".
Während die EM für Kuttler/Merz bereits nach der Vorrunde beendet war und die Schwestern etwas durchatmen konnten, bleibt Schulze und Tönnies die Atempause verwehrt. Bereits in einer Woche, am 03. Februar, sind die Magdeburger im Viertelfinale des DHB-Pokals bei der Partie TuS N-Lübbecke gegen MT Melsungen gefordert. Und wenn alles gut läuft, wird auch für den Sommerurlaub nicht so viel Zeit bleiben. Denn das nächste große Ziel von Schulze und Tönnies ist klar: Die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
fcb, jun