14.02.2024, 01:00
Zweite Welle - Deine Handball-Kolumne
Wenn im Katastrophenfall das THW ausrückt, ist Hilfe in Sicht. Beim THW Kiel vor dem Duell bei Industria Kielce in der Handball Champions League den Katastrophenfall auszurufen, wäre natürlich übertrieben - aber ein wenig Hilfe kann der Rekordmeister schon gebrauchen. Nur: Wie könnte die aussehen? Das fragt sich Handball-Autor Daniel Duhr in seiner Kolumne.
Sechs Jahre ist es her, dass der THW Kiel mal mehr als vier Niederlagen in einer Saison der Handball Bundesliga verschmerzen musste. Neun waren es 2017/18. Aktuell stehen die Zebras schon bei sechs, der Kampf um die Meisterschaft und die erneute Champions-League-Qualifikation sind weit weg, es riecht nach European League.
Immerhin gelang den Kielern beim Bergischen HC ein hart erkämpfter Auswärtssieg. "Wir haben in unserer Entwicklung noch einen langen, steinigen Weg vor uns", sagte THW-Trainer Filip Jicha nach dem 29:25-Erfolg beim BHC. Aber warum ist der Weg überhaupt so steinig geworden? Und welche Steine lassen sich vielleicht aus dem Weg räumen?
Die Abgänge von Niklas Landin im Tor und den beiden Rückraum-Granden Miha Zarabec und Sander Sagosen wiegen vielleicht doch schwerer, als man es für möglich gehalten hatte.
Obwohl mit Elias Ellefsen a Skipagotu und Eduardo Gurbindo im Rückraum sowie Samir Bellahcene im Tor schon extrem interessante und vielversprechende Spieler verpflichtet wurden. Gurbindo, der spanische Routinier, die anderen zwei auch als Wette auf die Zukunft.
Dazu kommen mit Duvnjak, Pekeler, Wiencek, Ekberg, Weinhold, Dahmke und wie sie alle heißen jede Menge Handballer gewordene Titelsammlungen. Über genügend Qualität verfügt der Kader damit allemal. Die Frage ist, warum das Potenzial in dieser Saison nicht konstant abgerufen werden kann.
Wenn man sieht, wie Domagoj Duvnjak auf der Vorgezogenen-Position bis zur Erschöpfung (oder zur Roten Karte) alles wegarbeitet, wenn man schaut, wie Filip Jicha mit maximaler Spannung vor der Trainerbank jeden Angriff mitspielt und wenn man beobachtet, wie Patrick Wiencek bei jedem Block und jeder gelungenen Abwehraktion sich, seine Mitspieler und die Fans mitreißt - dann stellt sich die Mentalitätsfrage als solche nicht.
Ob tatsächlich jeder Spieler immer alles reinwirft, ist eine andere Frage, die in letzter Konsequenz nur jeder Spieler für sich selbst wird beantworten können.
Der THW Kiel ist aktuell nicht mehr das Maß aller Dinge. Nicht mehr so unantastbar, so unangreifbar, so unbesiegbar wie es lange Zeit in der Club-DNA und in Handball-Deutschland fest verankert war. Reichte den Kielern normalerweise der zweite Anzug, um einen Gala-Sieg gegen einen Konkurrenten aus dem Mittelfeld einzufahren, kommt diese Saison selbst die erste Garde auch mal mit einer Niederlage im Gepäck zurück aus Leipzig oder Hannover.
Das beobachten die anderen Vereine natürlich ganz genau und rechnen sich plötzlich Chancen aus. Es gab Zeiten, zu denen auch bei einem Fünf-Tore-Rückstand zehn Minuten vor dem Schlusspfiff eigentlich klar war, dass am Ende doch wieder die Zebras gewinnen. Aber dieses "Sich-zum-Sieg-Bayern" gibt es aktuell nicht. Nicht bei den Kielern - und nicht mal bei den Bayern selbst.
Was eher nicht weiterhilft, sind Krisendiskussionen und mediale Debatten rund um den Zustand der Kieler Mannschaft. Mediale Einschätzungen und Kommentare sind nichts, was ein kriselnder Verein braucht.
Und trotzdem gehören sie dazu. Denn natürlich ist es von Interesse, wieso der große THW Kiel im Moment ein wenig kleiner wirkt als sonst. Das in der Öffentlichkeit zu thematisieren, ist die Aufgabe der Medien und der Handball-Community. Das intern zu thematisieren und Lösungen zu finden, ist die Aufgabe von Jicha und seinem Trainerteam.
Andi Wolff. Fast ein Jahr ist es her, dass es mal kurz Gerüchte um eine mögliche Rückkehr Wolffs zum THW gab. Damals gab es finanzielle Probleme in Kielce, über den Weggang einiger Spieler wurde spekuliert. Ein Comeback von Andreas Wolff in der Bundesliga, speziell bei seinem Ex-Klub THW Kiel, wäre spektakulär.
Sportlich könnte er den Zebras - wie beinahe jedem anderen Verein - natürlich helfen. Drei Jahre in Kiel gespielt und keinen Meistertitel gewonnen zu haben, könnte für den ehrgeizigen Keeper durchaus auch ein Anreiz sein, es nochmal an der Ostsee zu versuchen. Aber ob sich die Beziehung der Zebras mit dem Wolff wiederbeleben lässt?
Kurzfristig wird Wolff auf jeden Fall nicht helfen können. Ganz im Gegenteil - es könnte sein, dass er im heutigen Champions-League-Spiel seinen Kasten einmal mehr vernagelt. Und so alles andere als eine Hilfe sein wird.
Ein Sieg in Kielce. Siege helfen immer - vor allem natürlich in der Champions-League, noch dazu auswärts bei einem Top-Verein. Aber der letzte Sieg in Kielce gelang den Zebras vor 13 Jahren. Im März 2011 - damals noch mit einem gewissen Filip Jicha auf Halblinks, der vier Tore beisteuerte. Er weiß also, wie man etwas Zählbares aus Kielce mitnimmt.
Der Kampfgeist. Und der Teamgeist. Beides Tugenden, die den THW über Jahre ausgezeichnet haben - obwohl sie sie aufgrund ihrer Dominanz oft gar nicht nötig hatten. Der Verein stand über allem.
Jetzt alles reinzuwerfen, alle Körner, alle Emotionen - kann bei der Qualität der Mannschaft auch schnell wieder in einen Aufwärtstrend münden. Denn über den Kampf gewinnt man auch mal Spiele, wenn man nicht in Topform ist. Wenn die Ergebnisse wieder stimmen, wächst mit wachsendem Punktekonto auch das Selbstbewusstsein wieder.
Und mit einem Sieg über Kielce im Rücken spielen sich auch die drei anstehenden Bundesliga-Partien gegen Stuttgart, Eisenach und Balingen leichter. Bevor dann die SG Flensburg-Handewitt nach Kiel kommt. Und wäre ein Sieg im Nord-Derby in der Wunderino Arena für Jicha und Co. nicht ganz wunderbar?
Was meint Ihr? Wo seht Ihr Ansätze, damit der THW wieder in die Überholspur findet?
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In Zweite Welle schreibt Bestseller-Autor Daniel Duhr regelmäßig über aktuelle Handballthemen auf und neben der Platte. Und lädt Euch damit zur Diskussion ein. Welchen Standpunkt vertretet Ihr? Wir freuen uns auf Eure Meinungen in den sozialen Medien!
Daniel Duhr ist Autor der Reihe "Handballhölle", die allesamt zu Bestsellern geworden sind. Ebenso wie das kurz vor der EM erschienene Buch "Bock auf Handball", in dem Persönlichkeiten aus dem Handball wie Silvio Heinevetter oder Bob Hanning interessante Geschichten aus dem Handball erzählen und Bennet Wiegert beispielsweise über eine Auswärtstour nach Sibirien berichtet.
Daniel Duhr