25.02.2021, 17:22
Schrittregel unter der Lupe
Es ist eine der grundlegenden Regeln im Handball: Die Schrittregel. Mit dem Ball in der Hand darf man - so legt es das Regelwerk fest - maximal drei Schritte machen; dann muss man auf das Tor werfen oder abspielen. Doch so klar die Regel auch formuliert sein mag: In der Praxis ist sie schwierig umzusetzen.
"Das Problem ist nicht, dass ein Schiedsrichter nicht bis drei zählen kann", schmunzelt Schiedsrichterlehrwart Kay Holm. "Da die Dynamik in vielen Aktionen allerdings unglaublich hoch ist, lassen sich die Schritte jedoch nicht einzeln zählen." Auch der so genannte Nullschritt vereinfacht die Situation nicht. Eine Annäherung an die Regel 7:3 - natürlich in drei Schritten
Wann zählt ein Schritt im Handball als Schritt?
Ein Schritt bedeutet, den Fuß vom Boden abzuheben und wieder aufzusetzen. Wenn der Fuß über den Boden rutscht, ist es regeltechnisch betrachtet kein Schritt.* Über das ganze Spielfeld zu "schlurfen", ist allerdings nicht möglich, da der Ball ohne Prellen ja nur drei Sekunden in der Hand gehalten wird. Den aus dem Basketball bekannten Sternschritt - ein Fuß bleibt stehen, der andere Fuß darf beliebig oft aufgesetzt werden - gibt es im Handball nicht.
Die genaue Definition, ab wann ein Schritt laut Regelwerk als ausgeführt gilt, findet ihr am Ende des Artikels.
Was ist der Nullschritt - und gibt es ihn überhaupt (noch)?
Es ist gerade an der Basis ein Thema, das immer wieder aufflackert: Gibt es den Nullschritt noch oder wurde er abgeschafft? "Regeltechnisch betrachtet gibt es den Nullschritt", bestätigt Kay Holm. Wenn ein Spieler den Ball vom Mitspieler zugespielt bekommt, den Ball in der Luft fängt und dann mit einem Fuß oder beiden Füßen gleichzeitig auf dem Boden landet, nennt sich das Nullschritt - denn diese Landung wird nicht als Schritt gezählt.
Fängt man den Ball vom Gegner ab, ist ein Nullschritt ebenfalls möglich - aus dem eigenen Anprellen hingegen nicht. "Der erste Schritt bzw. Bodenkontakt nach der Ballaufnahme zählt als der erste Schritt", betont auch Holm.
Warum ist die Schrittregel in der Praxis so schwierig umzusetzen?
Waren es Schritte oder nicht? Während Fernsehzuschauer bei TV-Übertragungen auf die Zeitlupe warten können, um sich ein Urteil zu bilden, müssen Schiedsrichter in der Halle die Entscheidung innerhalb von Sekundenbruchteilen bewerten. Und selbst nach der Zeitlupe auf dem Bildschirm bleibt oft noch Diskussionsstoff.
"Die Beobachtungsanforderung für die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter ist extrem hoch", unterstreicht Holm. Schritte fallen unterschiedlich groß aus. Sie werden unterschiedlich schnell gemacht. Gerade bei Täuschungen findet die Bewegung möglicherweise nur im Oberkörper statt, während die Füße stehen bleiben. Der (Sprung-)Wurf kann über das richtige oder "falsche" Bein erfolgen. Und ebenso entscheidend für die Bewertung einer Schrittsituation ist der Moment, in welcher der Ball die Hand verlässt.
"Ob ein Bewegungsablauf regelkonform ist oder nicht, ist daher ganz, ganz schwierig zu erkennen", weiß Holm. "Es gibt Spieler, die in ihren Bewegungsabläufen stark verfeinert sind, auch in ihrer Geschwindigkeit." Als Beispiel nennt er den Magdeburger Omar Ingi Magnusson: "Seine Aktionen sehen oft schrittegefährdet aus, aber er macht dennoch so gut wie nie einen Schrittfehler."
Statt die Schritte einzeln zu zählen, was durch Dynamik und Geschwindigkeit nicht möglich ist, sind die Schiedsrichter geschult, auf den gesamten Bewegungsablauf zu achten. Im Bundesligabereich ist der Vorteil, dass die Schiedsrichter viele Spieler irgendwann kennen - und beispielsweise wissen, ob jemand Links- oder Rechtshänder ist. "So kann man sich besser einstellen", weiß Holm. "Der übliche Schrittfehler passiert meistens bei Bewegungen gegen die Hand - weiß ich, dass ein Spieler die Bewegung gerne macht, bin ich unterbewusst vorbereitet."
Die Schrittregel ist immer wieder ein Schwerpunkt auf Lehrgängen - je mehr Szenen ein Schiedsrichter gesehen hat, umso besser ist er vorbereitet. Zudem hilft eigene Erfahrung als Spieler. "Als Spieler entwickelt man ein Gefühl, was Schritte sind und was nicht", sagt Holm. "Die Bewegungsabläufe werden einem vertraut und dieses Wissen lässt sich für den Einsatz als Schiedsrichter transferieren."
Seine Empfehlung für Unparteiische an der Basis, die vielleicht selbst nicht mehr spielen oder lange nicht gespielt haben: Der Besuch eines Trainings im Verein, für den man pfeift. "Das kann helfen, um ein Gefühl für Schrittsituationen zu entwickeln", erklärt der Schiedsrichter-Lehrwart und fasst zusammen: "Die Schrittregel als solche ist einfach, die Umsetzung in die Praxis der Knackpunkt. Wenn man sich intensiv damit auseinandersetzt, kann man sich als Schiedsrichter jedoch auch in diesem Punkt Schritt für Schritt entwickeln."
Es ist erlaubt ... (7:3) sich mit dem Ball höchstens 3 Schritte zu bewegen (13:1a).
Ein Schritt gilt als ausgeführt:
a) wenn ein mit beiden Füßen auf dem Boden stehender Spieler einen Fuß abhebt und ihn wieder hinsetzt oder einen Fuß von einer Stelle zu einer anderen hinbewegt;
b) wenn ein Spieler den Boden mit nur einem Fuß berührt, den Ball fängt und danach mit dem anderen Fuß den Boden berührt;
c) wenn ein Spieler nach einem Sprung mit nur einem Fuß den Boden berührt und danach auf demselben einen Sprung ausführt oder den Boden mit dem anderen Fuß berührt;
d) wenn ein Spieler nach einem Sprung mit beiden Füßen gleichzeitig den Boden berührt und danach einen Fuß abhebt und ihn wieder hinsetzt oder einen Fuß von einer Stelle zu einer anderen hinbewegt.
Kommentar:
Wird ein Fuß von einer Stelle zu einer anderen hinbewegt und der zweite nachgezogen, gilt dies als nur ein Schritt. Fällt ein Spieler mit dem Ball zu Boden, rutscht dann und steht auf mit dem Ball, um ihn weiterzuspielen, ist dies regelkonform. Dies gilt auch, wenn er sich nach dem Ball wirft, ihn kontrolliert, aufsteht und dann weiterspielt.
* Ergänzung vom 16. März 2021 nach einem Hinweis von IHF-Regelexperte Jürgen Scharoff:
Gemäß der im ersten Satz des Kommentars zur Regel 7:3 enthaltenen Bestimmung gilt dies allerdings nur, wenn ein Fuß von einer Stelle zu einer anderen hinbewegt wurde und der zweite Fuß nachgezogen wird. In diesem Ausnahmefall gilt diese Abfolge als nur ein Schritt. Eine eigenständige "Rutschbewegung" eines Fußes von einer Stelle zu einer anderen, zählt somit sehr wohl als Schritt (siehe auch Regel 7:3a letzter Satzteil: "? oder einen Fuß von einer Stelle zu einer anderen hinbewegt.").
Julia Nikoleit