04.09.2024, 06:00
Weltmeister im Interview
Als Spieler hat Pascal Hens selbst die Silbermedaille gewonnen. Als Dyn-Experte ordnet er den aktuellen Erfolg der Nationalmannschaft ein. Und als Vater erlebt er, wo die deutsche Nachwuchsförderung funktioniert - und wo nicht. Im Interview von handball-world spricht "Pommes" über die Handball-Euphorie im Land - und was es genau jetzt braucht.
handball-world: Pommes, hätte Dir vor sechs Wochen jemand gesagt, dass Deutschland bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille gewinnt, hättest auch Du sofort eingeschlagen - und demjenigen gleichzeitig jedweden Handballsachverstand abgesprochen, oder?
Pascal Hens: Auf jeden Fall. Vor allem, wenn man sich die Gruppenkonstellation angeschaut hat. Aber dann ist alles anders gelaufen, als erwartet. Besser, viel besser sogar. Schweden geschlagen, Frankreich in deren Wohnzimmer geschlagen, Spanien sogar zweimal geschlagen. Gerade, dass wir auch mal wieder große Handball-Nationen besiegt haben, darf uns sehr optimistisch stimmen. Das war ein geiles Turnier von den Jungs!
Was neben der allgemeinen Entwicklung und der Begeisterung, die diese Mannschaft entfacht hat, auffiel, war der enorme Anteil, den junge Spieler am Erfolg hatten. David Späth gegen Spanien, Renars Uscins gegen Frankreich …
Hens: Ja, das war beeindruckend, welchen Sprung der ein oder andere nochmal gemacht hat. Allen voran natürlich Renars Uscins, der sich in einen absoluten Flow gespielt hat.
Welche Rolle haben die jungen und aufstrebenden Spieler aus der U21-Weltmeistergeneration jetzt schon inne?
Hens: Es sind unsere Spieler für die Zukunft. Aber je früher jeder einzelne bei der A-Nationalmannschaft dabei ist, desto früher sammeln sie Erfahrungen - und desto besser können sie hintenraus noch werden. Uscins und Späth, um nur zwei rauszugreifen, performen ja jetzt schon richtig gut. Und sie können noch viele, viele Jahre spielen. Und das seit der Silbermedaille sicher nochmal auf einem anderen Level, was das Selbstvertrauen angeht. So ein Turnier macht was mit Dir, im positiven Sinn.
Was können wir denn von ihnen noch alles erwarten? Auf was - und auch auf wen - dürfen wir uns da noch freuen?
Hens: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir alle erwarten jetzt natürlich noch mehr, die Erwartungshaltung steigt parallel zum Erfolg. Das baut aber auch Druck auf. Diesen Druck möglichst nicht aufkommen zu lassen, ist eine wichtige Aufgabe jetzt - auch der Medien. Renars hat dazu direkt nach Olympia ein sehr gutes Interview gegeben im Aktuellen Sportstudio. Er hat gesagt, dass er die Leistung jetzt erst einmal bestätigen muss und dass das eben nicht selbstverständlich jetzt immer so weiterläuft. Und genau die Zeit, die es braucht, solche Leistungen konstant abrufen zu können, die sollten wir alle ihm und der deutschen Nationalmannschaft auch geben.
Du hast selbst die Silbermedaille gewonnen. Was bedeutet diese Silbermedaille für die Spieler, für die Entwicklung der Mannschaft und auch für Trainer Alfred Gislason?
Hens: So eine Medaille ist für immer da, meine von 2004 hängt auch immer noch gerahmt mit dem Trikot bei mir an der Wand. So ein Erfolg schweißt zusammen, gibt Selbstvertrauen - und entfacht gleichzeitig auch wieder neuen Hunger. Die Jungs werden jetzt heiß sein, das nächste Mal die Goldmedaille zu holen oder bei EM und WM einen großen Titel zu gewinnen. Denn sie haben jetzt erlebt, dass sie jeden schlagen können.
Jeden, außer Dänemark …
Hens: Die Einschränkung muss man aktuell noch machen, ja. Wobei im Finale nach den irren Spielen gegen Spanien und Frankreich auch die Kraft weg war - körperlich und sicher auch mental. Aber klar: Dänemark hat aktuell eine Über-Mannschaft. Aber nochmal: Das war ein ganz großes Turnier von uns. Und auch von Alfred Gislason übrigens, der das echt gut gecoacht hat, der einen richtig geilen Job gemacht hat - akribisch, clever und mit ein paar coolen Kniffen.
Um Erfolge auf höchstem Niveau zu feiern und perspektivisch auch die Dänen ernsthaft ärgern zu können - wie relevant ist da eine vernünftige Nachwuchsförderung?
Hens: Eine gute Nachwuchsförderung ist das A und O. Nach der berauschenden Heim-WM 2007 haben wir da vielleicht verpasst, noch besser auch inhaltlich an die Stimmung anzuknüpfen. Heute sind wir weiter mit mehr Sport-Internaten und den Nachwuchsleistungszentren. Aber klar ist auch: Wir müssen diese Förderung konsequent weiter ausbauen, um den Anschluss nicht zu verlieren und um die nachrückenden, talentierten und motivierten Handballer von morgen auch bestmöglich unterstützen zu können. Denn irgendwann sind sie diejenigen, die uns eine Medaille holen sollen.
Die Nachwuchsförderung im deutschen Handball steht immer wieder mal in der Kritik. Wie schätzt Du die Struktur und die Entwicklung ein?
Hens: Der deutsche Handball lebt vom Erfolg der Nationalmannschaft. Das ist so. Die Kinder und Jugendlichen brauchen Idole, denen sie nacheifern. Deswegen war auch die Silbermedaille enorm wichtig. Wenn wir weiter um Titel mitspielen, werden wir eine sehr gute Zukunft haben. Wir müssen die Kinder von klein auf bewegen zum Handball zu kommen, Bock auf diesen Sport zu haben. Und eine Stufe weiter dann auch die Strukturen haben, die besten bestmöglich aus den Jugend- und Auswahlmannschaften in die Bundesliga zu leiten.
Deine Frau Angela ist Trainerin, Deine Tochter Mila (9) und Dein Sohn Noah (14) spielen selbst - was nimmst Du persönlich in Bezug auf das Thema Nachwuchsförderung wahr?
Hens: Vieles läuft schon ganz gut, doch. Aber teilweise müssen wir uns auch weiterentwickeln. Beispiel: Bei all der Digitalisierung - und nach drei Jahren Corona umso mehr - brauchen die Kinder Bewegung, sie brauchen Sport. Wie kann es sein, dass in Deutschland fast jeder noch so kleine Bolzplatz mittlerweile abgesperrt ist? Gleichzeitig in Dänemark aber sogar die meisten Handballhallen für jeden zum Spielen offen sind? Das macht doch total Sinn, dass Kinder und Jugendliche immer und überall bolzen und auch Handball zocken können. Klar muss das organisiert werden - aber das muss doch machbar sein.
Der Streamingdienst Dyn, der jetzt in seine zweite Handball-Saison geht, hat sich genau dieses Thema - die Unterstützung des Nachwuchssports - auf die Fahne geschrieben. Du bist regelmäßig für Dyn als Experte im Einsatz. Erzähl uns was über die Intention Deines Arbeitgebers.
Hens: Dyn hat mit "Move Your Sport" eine geile, clevere Idee gehabt: Zehn Prozent aus dem Nettoerlös jedes verkauften Abos gehen direkt in die Sportartförderung. Es reden immer alle, dass mehr Gelder von Nöten sind. Das ist mal ein konkretes Projekt, bei dem es übrigens nur Gewinner gibt: Der Abonnent unterstützt automatisch seinen Lieblingssport, der Handballnachwuchs profitiert von den Geldern und Dyn engagiert sich auf breiter Front im Handball, was neben dem inhaltlichen Benefit auch auf das eigene Image positiv einzahlt.
Wie sieht diese sportartspezifische Förderung aus? Kannst Du uns Projekte schildern, die direkt von der Unterstützung profitieren?
Hens: Ja. Die Gelder gehen beispielsweise direkt in die Nachwuchsleistungsförderung, das heißt in die Ausbildung der Nachwuchsspieler in den Vereinen. Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt ist die Jugendtrainer-Ausbildung. Auch die wird durch die Förderung erheblich verbessert.
Nachwuchsförderung macht sich leider immer erst zeitversetzt bezahlt. Daher Dein Expertenblick in die Zukunft: Wann dürfen wir uns über den nächsten ganz großen Wurf einer deutschen Handball-Nationalmannschaft freuen?
Hens: Ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert. Silber heißt zwar nicht, dass wir automatisch auch wieder ins Finale kommen. Aber vielleicht sind wir zur WM 2027 im eigenen Land oder zu den Olympischen Spielen in L.A. 2028 so weit. Wenn es schon früher klappt, umso besser. Aber wir dürfen jetzt nicht durchdrehen. Die Jungs brauchen ihre Zeit. Geben wir sie ihnen!
Daniel Duhr