08.09.2024, 17:00
Ära Krumbholz (1998-2013, 2016-2024) ist zu Ende
Nach insgesamt 23 Jahren, unterbrochen von einem Intermezzo mit Alain Portes an der Seitenlinie zwischen 2013 und 2015, ist Olivier Krumbholz vor Ablauf seines bis 2025 laufenden Vertrages aus dem Amt des Nationaltrainers der französischen Handballerinnen zurückgetreten. Als Nachfolger wurde sein bisheriger Co-Trainer vorgestellt. Wer ist Sebastién Gardillou?
Sebastién Gardillou ist 49 Jahre alt und stammt, anders als der Lothringer Olivier Krumbholz, aus dem Südosten Frankreichs. In Périgeux geboren, ist er 100 Kilometer nördlich in Limoges aufgewachsen, wo er seine ersten Schritte als Spielertrainer bereits im Alter von 20 Jahren machte. Zwei Jahre später wechselte er nach Poitiers, wo er sich im Nachwuchscenter engagierte. Jugendarbeit ist ihm ähnlich wichtig wie Krumbholz, das sind seine Ursprünge.
Noch früher als bei seinem Vorgänger geriet die junge Trainerkarriere in den Fokus des Nationalverbands. Bereits 2001, da war Gardillou gerade 25 Jahre alt, übernahm er den Posten als Trainer der U20-Juniorinnen. 2005 setzte er seine Karriere als Video-Experte bei der A-Nationalmannschaft fort. Ab 2010, mit Mitte 30, folgten dann sechs Jahre als Trainer von Metz HB und OGC Nizza, ehe 2016 erneut der Ruf des Verbands kam: Die zweite Amtszeit von Olivier Krumbholz gestaltete Sebastién Gardillou, als Torwart- und Co-Trainer, entscheidend mit.
Wie Krumbholz erlernte Gardillou den Beruf des Sportlehrers. Dabei begeisterte er sich früh dafür, Mädchen zu trainieren, ihnen die nötigen Einsatzzeiten zu geben und ihr Handballspiel und das organisatorische Umfeld zu professionalisieren, wie er 2007 in einem Interview mit dem Portal handzone.net deutlich machte. Als einen Effekt solcher Überlegungen führte er fünf Jahre später an, dass 30 Prozent mehr Zuschauer zu den Heimspielen von Metz HB kamen.
Frankreichs Handballikone Daniel Costantini sei für ihn die Referenz im Traineramt. Er habe die junge Garde aktiviert und zu Weltmeistern gemacht. "Was ich auf dem Spielfeld mag, ist die Kontinuität im Spiel, dass wir im Kollektiv die ultimative Lösung für den freien Torwurf finden", sagte Gardillou im selben Interview. Sein Traum sei "ein Team von Altruisten", in dem jeder sich für den anderen einsetzt. Was er am meisten hasse, sei Selbstzufriedenheit.
Sebastién Gardillou ist jemand, der sich viele Gedanken macht, wie man den Handball voranbringen kann, auch medial - und welche Voraussetzungen dafür zu schaffen seien und der sich mit vielen anderen darüber austauscht. Er ist dabei ein Filigrantechniker und er ist auch ein guter Beobachter und Umsetzer. Diese Eigenschaften waren bei seiner Arbeit als Co-Trainer der französischen A-Nationalmannschaft seit 2016 sehr hifreich.
Einfach wieder Trainer zu sein und nicht, wie zuvor in Metz und Nizza als Cheftrainer vorne dran zu stehen, das kam Gardillou 2016 zupass, als er Co-Trainer von Olivier Krumbholz wurde, wie er im Interview mit dem Pressedienst des Verbands damals eingestand, denn er konnte sich darauf konzentrieren, das Spiel weiterzuentwickeln, damit es "morgen besser funktioniert". Er jage krankhaft nach Exaktheit, vertraute er der Zeitung "Républicain Lorrain" einmal an.
Inzwischen ist in Gardillou der Wunsch gereift, wieder Chef zu sein. Nachdem Krumbholz im September 2022 an die Öffentlichkeit gegangen war und sein Karriereende nach den Olympischen Spielen 2024 angekündigt hatte, hatte der Co-Trainer bei der Weltmeisterschaft im Dezember 2023 intern das Gespräch gesucht. Nicht nur die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Éric Baradat, dem heutigen Trainer der U20, machte ihn zu einem geeigneten Kandidaten.
Gardillou wurde damals auch zum Bindeglied der A- und der U20-Nationalteams der Frauen zum Ligaverband und zu den Klubs. Nach dem Olympischen Silber 2016 war erkannt worden, dass für den Erfolg mehr als nur der Blick auf die einzelne Mannschaft und die individuellen Anforderungen der Spielerinnen nötig ist. Der gegenseitige Austausch zwischen Staff und Spielerinnen sei indes ganz entscheidend gewesen, um in Río das Endspiel zu erreichen.
Der 49-Jährige hat gelernt, dass das Vertrauen in die psychologische Stärke einen wichtigen Anteil am Erfolg haben kann und weiß das Handwerkszeug zu schätzen, wie man daran arbeiten kann. Außerdem hat er stets die Entwicklung im Blick, registrierte etwa, als die Russinen 2016 erstmals mit sieben Feldspielerinnen angriffen - und ist stets darauf bedacht zu prüfen, welche Ideen er auf welche Weise in das Spiel der Französinnen einbauen kann.
"Das fasziniert mich", sagte Gardillou einmal mit Blick darauf, ein Team auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten und die Leistungsfähigkeit hoch zu halten. Vom Amt des Videowarts und Torhüterinnen-Trainers führte ihn der Weg wohl auch wegen dieser Neugierde dazu, Co-Trainer von Olivier Krumbholz zu werden. In der neuen Aufgabe kümmerte er sich seither darum, das Angriffsspiel möglichst exakt und vielseitig zu gestalten.
Dabei konnte Gardillou nach dem enttäuschenden vierten Platz bei der EURO 2022 im Angriffsspiel entscheidende neue Akzente setzen, mit dem Ziel, die Gegner zu überraschen. Zugleich wurde die "defensive Unnachgiebigkeit", die Krumbholz implementiert hatte, beibehalten. Die Beziehung zu Éric Baradat (Trainer der U20, Weltmeister in diesem Sommer) sei, um möglichst große Fortschritte zu erzielen, von grundlegender Bedeutung gewesen.
"Wir haben versucht, das Spiel für die Athleten so einfach wie möglich zu gestalten und für die Gegner so kompliziert zu verstehen wie möglich", ließ sich Gardillou jüngst vom Pressedienst des Verbands in die Karten schauen. "In gewisser Weise ist es ein echtes Paradoxon, denn je einfacher das Spiel, desto größer muss die technische Beherrschung sein. Heute befinden wir uns genau an diesem Balancepunkt."
"Was Sébastien geleistet hat, diese Schattenarbeit an der Seite von Olivier, ist zweifellos ein Erfolg", hatte der Präsident des Französischen Handballverbands, Eric Bana anlässlich der Berufung des 49-Jährigen als Nachfolger von Olivier Krumbholz gesagt. Gardillou soll die Equipe Tricolore nun zu den Olympischen Spielen 2028 führen. Es sollen seine vierten im Dunstkreis de Nationalteams der Frauen werden - eines Mannes mit großer Erfahrung.
Dabei wird für Gardillou zunächst wieder die Rolle als Kommunikator nach innen im Vordergrund stehen. "Wer ist in der Lage, sich auf ein mehrjähriges Projekt einzulassen? Wer hat die Kraft und Lust? Das müssen wir identifizieren. Und wie mobilisieren wir Ressourcen, damit dieses Projekt möglichst realisierbar ist und gleichzeitig langfristig gute Ergebnisse erzielt?" Das oberste Ziel sei es, weiterhin möglichst viele Spiele zu gewinnen: "Es geht um den Sieg!"
Der Austausch mit anderen für den Erfolg wird Gardillou weiterhin begleiten. "Ich hatte das Glück, an der Seite außergewöhnlicher Leute zu sein, mit ihnen diskutieren und ihnen Fragen stellen zu können, um eine fundierte Meinung zu bilden. Ich habe Olivier viel zu verdanken, die Erfolge seit 1998 basieren auf seiner Leistung - Hut ab!" Der Gesprächsfaden mit Krumbholz soll in dessen Ruhestand nicht abreißen. "Ich kann ihn jederzeit anrufen und er wird mir seine Beobachtungen mitteilen."