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Zweite Welle - Deine Handball-Kolumne
Pünktlich zur Halbzeit muss die deutsche Nationalmannschaft im Jahrzehnt des Handballs einen Rückschlag in Kauf nehmen. Das gehört dazu. Wichtig ist, jetzt schnell die Tempo-Lücke zuzufahren.
Eine Kolumne von Daniel Duhr
Auch zweimal schlafen nach dem Albtraum-Aus hat nichts verändert. Das Gefühl, dass unmittelbar nach dem Abpfiff gegen die bockstarken Portugiesen einsetzte, bleibt: Frust. Die Spieler sind frustriert, der Bundestrainer ist frustriert, die Fans sind frustriert. Wieso? Weil erstens das Ausscheiden gegen Portugal eine Runde früher als - wie erwartet - gegen überstarke Dänen die Medaillenträume beendet hat.
Weil zweitens die DHB-Auftritte beim letzten großen Turnier insgesamt überzeugender waren und man zumindest auf ein Anknüpfen an die Olympia-Form hatte hoffen dürfen. Und weil drittens das denkbar knappe Aus absolut vermeidbar gewesen wäre.
Was heißt das Viertelfinal-Ende jetzt für die deutsche Mannschaft, abgesehen von Platz sechs bei der WM und einem spielfreien Wochenende? Festhalten kann man: Es war nicht alles schlecht, bei weitem nicht. Teamspirit, die Torhüter, Lukas Zerbe, die Comeback-Qualitäten nach den WM-spieltäglichen Rückständen.
Und es wäre aktionistisch, jetzt wieder alles in Frage zu stellen. Festhalten muss man aber auch: Das Turnier war - legt man die Latte auf die Olympia-Euphorie-Höhe - ein Rückschlag. Dass der in einer Entwicklung, zumal bei einer jungen Mannschaft und nach einem großen Erfolg, passieren kann, ist klar und ist auch in jeder seriösen Potenzialanalyse eingepreist.
Und trotzdem darf, ja muss man auch bei einem Langzeitprojekt wie der Weiterentwicklung der deutschen Nationalmannschaft inklusive größerem Umbruch mal an ein paar Stellschrauben drehen. Vor allem an zweien: der am Anlasser und der am Geschwindigkeitsbegrenzer.
Das sind nämlich zwei nicht zu übersehende Mängel am DHB-Fahrzeug, die der Handball-TÜV in seinen Mängelbericht geschrieben hat. Bei sechs von sieben Spielen von Beginn an einem Rückstand hinterherzulaufen, darf kein Dauerzustand werden. Diese Hypotheken aus den Anfangsminuten kosten viel Kraft, manchmal zu viel Kraft. Da muss offensichtlich der Anlasser überprüft werden.
Einen etwas größeren Eingriff dürfte der zweite Mangel nach sich ziehen: der Geschwindigkeitsbegrenzer. Da müssen Chefschrauber Alfred Gislason und sein Team dringend das Tempomat ausbauen. Das deutsche Angriffsspiel, und dabei besonders die einfachen, weil eben schnellen Tore durch Tempo-Gegenstoß, erweiterten Gegenstoß und schnelle Mitte waren Mangelware.
Hier ist das Team bei weitem nicht auf dem Niveau der Top-Teams. Das Angriffsspiel muss schneller werden, im Positionsspiel auch gedankenschneller. Zumal ja mit Knorr, Uscins, Lichtlein und Co. junge, schnelle und spielwitzige Spieler da sind.
Die deutsche Nationalmannschaft muss Tempo aufnehmen für Halbzeit zwei des vom DHB ausgerufenen Jahrzehnts des Handballs. Damit spätestens zur Heim-WM 2027 die Tempo-Lücke zur Benchmark Dänemark - oder zumindest, ein Regal tiefer, zum Offensivfeuerwerk der Portugiesen zugefahren ist.
Es kann schließlich nicht der eigene Anspruch sein, in vielen Partien nur dank der Paraden von Andreas Wolff im Spiel zu bleiben. Der scheint zwar immer zu liefern - aber das reicht in Summe aktuell leider nur gegen gute Gegner - nicht gegen sehr gute.
In Zweite Welle schreibt Bestseller-Autor Daniel Duhr regelmäßig über aktuelle Handballthemen auf und neben der Platte. Und lädt Euch damit zur Diskussion ein. Welchen Standpunkt vertretet Ihr? Wir freuen uns auf Eure Meinungen!